Politik im Film: Die richtige Dosis

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Wie politisch soll und darf ein Dokumentarfilm sein? Das Max-Ophüls-Festival ist nicht nur ein Treff für Cineasten. Neben dem Wettbewerb widmen sich Workshops Grundsatzfragen der Branche. Einer beschäftigte sich am Samstag mit der Frage, welche Haltung die Dokumentarfilmregisseure bei „ihrem“ Dreh eingenommen haben.

Die erste Einsicht gleich vorweg: Investigatives Meinungsdokumentarkino à la Michael Moore ist „out“. Nicht ein einziger Wettbewerbsbeitrag in der Kategorie Dokumentarfilm versuchte auch nur ansatzweise, es dem Amerikaner gleichzutun. Alle auf dem Podium vertretenen Nachwuchsregisseure haben Filme mit mehr oder weniger politisch brisanten Themen eingereicht. Sie verzichten bewusst darauf, im Film aufzutauchen und sie sind offen genug, die eigene Haltung zum Thema immer wieder neu zu überdenken. „Germania“ porträtiert ein schlagendes Studentencorps in München, dessen Selbstverständnis das einer „Elite“ in der Bundesrepublik ist. Die 77 Filmminuten sind der schonungslose Versuch, dem Trend zu jungem Konservatismus auf den Grund zu gehen. Die Bilder stehen für sich, die Antworten auf gesellschaftliche Fragen sind 250 Jahre alt, ziehen aber offensichtlich immer noch. Sechs Wochen ist das Kamerateam in diese befremdliche Welt eingetaucht. „Es hat einen irrsinnigen Reiz, als Dokumentarfilmer in eine Welt zu gehen, die man nicht kennt und dabei offen zu bleiben“, sagt Regisseur Lion Bischof.

Neutraler Beobachterstatus

Offen bleiben, heißt für ihn Beobachterstatus – möglichst ohne vorgefasste Meinung, viel mehr mit einer gehörigen Portion Offenheit. „Ich möchte es dem Zuschauer überlassen, auf einer emotionalen Ebene Sachen für sich zu entdecken“, sagt Bischof. Er ist damit gut gefahren. „Germania“ polarisiert, das belegen die Diskussionen im Anschluss an die Vorführungen. Der Film hat den Preis für die beste Filmmusik bekommen. Sie übernimmt, das sieht die Jury so, den Kommentar. „Die Musik beginnt mit einer leisen Dissonanz, die im Laufe des Films nach und nach eingelöst wird: Zischende, geräuschhafte Klänge aus angedeuteten Blechblasinstrumenten, die ein unbehagliches Gefühl auslösen“, heißt es dazu in der Begründung für den Preis. Der Emotionalität verschrieben hat sich auch „Following Habeck“, wenn auch mit einem ganz anderen Thema. Obwohl es das Porträt eines Politikers ist, kommen die 75 Filmminuten völlig ohne Privatleben des Protagonisten und politische Statements aus. Zweieinhalb Jahre lang hat sich Regisseur Male Blockhaus dicht an die Fersen des schleswig-holsteinischen Umweltministers Robert Habeck geheftet. Das so entstandene Bild des Politikeralltags gewinnt durch die gestrige Wahl zum Chef der Partei „Bündnis90/die Grünen“ auf dem Parteitag in Hannover ungewollte Aktualität. „Der Dokumentarfilm ist im besten Falle eine Realität, die den Zuschauer emotional erreicht“, sagt Blockhaus.

Emotionale Erreichbarkeit

Er will mit dem Film der Politikverdrossenheit etwas entgegensetzen. „Das Fernsehen und seine Bilder schaffen es offensichtlich nicht mehr, Menschen für Politik zu interessieren“, sagt er mit dem Verweis auf die sich wandelnde Parteienlandschaft Europas, „ich wollte andere Bilder zeigen“. Habeck ist gegenüber der ihn begleitenden Kamera erstaunlich offen. Vor dem Hintergrund der nachlassenden Faszination der großen politischen Theorien und einer offensichtlich „vergessenen“ emotionalen Komponente bei Politikern wie Wählern wird es spannend, wie sich der anstehende Wahlkampf für die Nationalwahlen in Luxemburg im Oktober entwickelt. „Es gehört Mut dazu, sich zu öffnen und sich nicht hinter Phrasen zu verstecken“, sagt der Regisseur. Habeck hatte wahrscheinlich auch nicht viele andere Möglichkeiten. Dafür war die Kamera zu dicht an ihm dran. Auch das muss man zulassen können.

Den Hauptpreis in der Kategorie hat „Global Family“ gewonnen, der sich mit einem immer wiederkehrenden Thema bei Max Ophüls beschäftigt: dem von Flucht und Exil. Wie schafft man es, Familie zu bleiben, wenn die Mitglieder über den ganzen Globus verteilt sind und wo ist eigentlich dann Heimat, sind die zentralen Fragen des Films. Das Regieduo Andreas Köhler und Melanie Andernach hat das am Schicksal der Familie Shaash aus Somalia festgemacht. Shaash war vor seiner Flucht vor dem Bürgerkrieg Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft und eine Berühmtheit in seiner Heimat. Als er in Deutschland ankommt, ist er ein Nichts. Jahrzehnte später soll seine Mutter aus Äthiopien nachreisen und reißt Gräben auf. Tief sind die Spuren, die der Wunsch nach Integration und die Kultur des Aufnahmelandes hinterlassen haben.

Und es ist schwierig geworden, eine lebendige „Familien“-Kommunikation über weite Distanzen aufrechtzuerhalten. Auch diese sehenswerte Dokumentation steht für sich – gerade auf der emotionalen Ebene.


„Cops“

Der österreichische Beitrag in der Wettbewerbskategorie Spielfilm hat gleich drei Preise eingeheimst. Den Preis für den gesellschaftlich relevanten Film, den für die beste Nebenrolle und den des Publikums, für das alle Filme gemacht sind.
Tief taucht Regisseur Stefan A. Lukacs in eine normalerweise hermetisch abgeriegelte Welt ein und legt mit „Cops“ ein nachdenklich stimmendes Porträt der „Wega“ vor. Die österreichische Spezialeinheit wird immer dann gerufen, wenn Streifen- oder Sicherheitsbeamte ein „Back-up“, wie es im Film heißt, brauchen. Hauptfigur Christoph schildert das Dilemma eines Menschen, der sich bewusst für die Aufgabe entschieden hat, in der Gesellschaft für Recht und Ordnung zu sorgen und in diesem Fall das genaue Gegenteil erreicht. Christoph erschießt einen psychisch kranken Mann bei einem nächtlichen Einsatz, der eskaliert. „Notwehr“ sagen die einen, „fahrlässige Tötung“ die anderen. Mit starken Bildern entlarvt der Film die schiere Unmöglichkeit, immer und in jeder Situation das Richtige zu tun, so als sei Fehlermachen ausgeschlossen. Und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen nötigt er dem Zuschauer Respekt vor denjenigen ab, die ihr Leben und übrigens auch ihre Physis dieser Aufgabe gewidmet haben. Aufwühlend, verstörend und absolut sehenswerter Film zu einem Tabu.
Vor dem Hintergrund dessen, dass sich hier zunehmend Hilfs- und Einsatzkräfte darüber beschweren, selbst zu Opfern zu werden (siehe Tageblatt vom 26. Januar), hat auch dieser Film eine ungeahnte politisch-gesellschaftliche Brisanz, weil er die andere Seite zeigt. Gleiches wie die Rettungsdienste beklagt auch die „Police grand-ducale“, in deren täglichen Berichten zunehmend von Übergriffen auf Beamte die Rede ist. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die österreichischen Organisationsstrukturen natürlich nicht zu hundert Prozent mit denen in Luxemburg übereinstimmen. Er sei ein politischer Filmemacher und werde weitermachen, sagte Lukacs auf der Preisverleihung am Samstag in Richtung Publikum. Mit „Cops“ hat er eine deutliche Handschrift hinterlassen und es wird spannend, was in Zukunft noch so aus Österreich kommt.


Die Gewinner

Die Gewinner des 39. Max-Ophüls-Festivals stehen fest. Vergeben werden Preisgelder von rund 115.000 Euro. Das Festival hat die Förderung von Nachwuchs-RegisseurInnen im deutschsprachigen Raum zum Ziel.

Die Filme des Wettbewerbs sind Abschlussarbeiten von Studierenden, Uraufführungen und Premieren.

Bester Spielfilm: „Landrauschen“, unter der Regie von Lisa Miller.
Beste Regie: Lisa Brühlmann für den Film „Blue my Mind“.
Bester Schauspielnachwuchs: Loane Balthasar für den Film „Sarah spielt einen Werwolf“ (von Katharina Wyss).
Bester Schauspielnachwuchs (Nebenrolle): Ana Suk für den Film „Cops“ (von Stefan A. Lukacs).
Fritz-Raff-Drehbuchpreis: Lisa Miller für den Film „Landrauschen“
Publikumspreis: „Cops“, unter der Regie von Stefan A. Lukacs.
Preis für den gesellschaftlich relevanten Film: Regisseur Stefan A. Lukacs für seinen Film „Cops“.
Preis der Jugendjury: Eibe Maleen Krebs für den Film „Draußen in meinem Kopf“.
Preis der Ökomenischen Jury: „Landrauschen“ von Regisseurin Lisa Miller.
Bester Dokumentarfilm: „Global Family“, unter der Regie von Andreas Köhler und Melanie Andernach.
Beste Filmmusik: Matthias Lindermayr und Lion Bischof für „Germania“ (Regie: Lion Bischof).
Bester Mittellanger Film: „Bester Mann“ von Florian Forsch.
Publikumspreis Mittellanger Film: „Endling“, unter der Regie von Alex Schaad.
Bester Kurzfilm: „Sacrilege“ von Christophe M. Saber.
Publikumspreis Kurzfilm: „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“, unter der Regie von Bernhard Wenger.