Klangwelten: Ausgezeichnete Songsammlung

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In unserer Rubrik Klangwelten werden regelmäßig Alben rezensiert. Unsere Musikspezialisten haben sich diese Woche die neuesten Alben von Jon Hopkins, Courtney Barnett, The New Mastersounds und Beach House angehört. Ihre Bilanz fällt sehr positiv aus. 


Der Nils Frahm des Techno

von Jeff Schinker

Da wo Nils Frahm seine klassischen Kompositionen in die Welt der elektronischen Sphären entführt, tut Jon Hopkins eigentlich genau das Gegenteil: Seine Techno-Tracks werden oftmals mithilfe von menschlichen Stimmen, Klavier und Synthies in die Atmosphäre kontemplativer elektronischer Klassik getunkt, so dass es im Endeffekt nur eine Frage der Zeit war, bis sich beide an den musikalischen Schnittstellen begegnen würden.

So geschehen dieses Jahr mit Frahms „All Melody“ und Hopkins’ neuem Album Singularity, das an seinen Durchbruch „Immunity“ (2013) anknüpft. Beide schaffen mithilfe des frenetischen Drehens an diversen Reglern eine fast mystische Klangwelt, die speziell bei Hopkins immer wieder zwischen den beiden Extremen von organischen Klängen und verdammt tanzbarem Techno pendelt. Kohärent ist das schon: Sowohl die monotone Redundanz der Beats wie auch die flächigen Ambient-Synthies vermögen es, in eine Art Trance zu versetzen.

Hopkins’ Beats sind schleppend, wirken zu Beginn durch ihre vertrackte Langsamkeit oftmals wie aus der Zeit gerissen, ehe sie dann den einschränkenden Gesetzen der Tanzfläche unterworfen werden, so als würde Hopkins zu Beginn die tanzende Schar erst skeptisch mit einem Long Drink in der Hand inspizieren, bevor er sich ins Vergnügen stürzt. Diesen Trick wiederholt er auf den ersten drei (tollen) Tracks „Singularity“, „Emerald Rush“ und „Neon Pattern Drum“, die allesamt eine tanzbare Melancholie ausstrahlen – obwohl Letzteres schneller zur Sache kommt und die affirmativen Beats nach und nach mit melodischen Elementen untermalt.

Die mit zehn Minuten zentrale Komposition „Everything Connected“ klingt vom Titel her so mystisch wie ein Frahm-Stück, vermag es dann auch, innerhalb der Spielzeit die ganze stilistische Palette der Platte auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Danach wird „Singularity“ für einige Songs ruhiger, die bereits vorher vorhandenen, durch die treibenden Beats in den Hintergrund gedrängten Synthies und das Klavier werden zum strukturellen Zentrum der Songs, die in ruhigeren Momenten auch mal an Post-Rock-Acts wie God Is An Astronaut erinnern, bevor gegen Ende mit „Luminous Beings“ noch einmal auf die Tanzfläche eingeladen wird.

Anspieltipps: Singularity, Emerald Rush, Feel First Life


Die Ästhetik des Abfucks

von Tom Haas

„Crippling Self Doubt And A General Lack Of Self Confidence“ ist der sperrige Titel des Herzstücks von Courtney Barnetts neuer Platte „Tell Me How You Really Feel“ – und der Song bringt das Album inhaltlich wie formal auf den Punkt. Barnett hat das Talent, zu grungigen Gitarrenriffs im fast schon distanzierten Plauderton von den Rissen und Löchern in ihrer Seele zu erzählen. Es ist die Musik eines Menschen, der sich in den existenziellen Weltschmerz eines Kurt Cobain kleidet und genau weiß, dass er darin eigentlich nur noch zu einer Bad-Taste-Party gehen kann.

Eigentlich – denn gerade diese aus der Zeit gefallene Musik macht den Reiz des vorliegenden Werkes aus. Der rasselnde Garagenrock vermischt sich nämlich mit Texten, die sich wohltuend von den poetischen Ergüssen der Massen jener Musiker abheben, die sich in Ermangelung von Talent und Tiefgang als Singer-Songwriter bezeichnen. „The city takes pity on your injured soul and heavenly prose ain’t enough good to fill that hole“, singt sie in „Pretty City Lights“, die Sinnlosigkeit der eigenen Kunst genüsslich zelebrierend.

In „Need A Little Time“ gleitet das lyrische Ich dann vollends in den eingangs erwähnten Selbstzweifel ab und thematisiert die zivilisatorische Bindungsunfähigkeit, das benötigte Time-out all jener, die weder mit sich selbst noch mit anderen Menschen klarkommen.
Daran knüpft dann auch „Nameless, Faceless“ an – in dem Song setzt sie diese Unfähigkeit in den Diskurskontext von #metoo. Der Refrain ist eine pointierte Zusammenfassung der Macht- und Missverhältnisse jener Debatte: „I wanna walk through the park in the dark/Men are scared that women will laugh at them/I wanna walk through the park in the dark/Women are scared that men will kill them.“

Neben diesen sarkastisch vorgetragenen Beobachtungen besticht Barnett auch immer wieder durch ihr Gitarrenspiel. Auch wenn die Anleihen von Velvet Underground schwer zu überhören sind, ist der Sound doch eher eine Reminiszenz als ein Abklatsch. Der experimentelle Charakter der Idole tritt zwar hinter der Eingängigkeit etwas zurück, dennoch gleitet die Musik niemals in die Anspruchslosigkeit ab. Das Album ist rundum gelungen.

Anspieltipps: Nameless, Faceless; Help Your Self; Sunday Roast


We’re jamming

von Gil Max

„Groovy groovy jazzy funky pounce bounce dance?“, kommt mir zuerst in den Sinn, als ich das Album „Renewable Energy“ der englischen Formation The New Mastersounds auf meinen Plattenteller gelegt, die Nadel aufgesetzt und ein paar Takte gehört habe. Man wird unweigerlich in einen kleinen Jazz-Club gebeamt, beginnt mit den Füßen zu trippeln, ein bisschen Air-Drumming zu spielen und manchmal ein beherztes „Yeah“ dazwischenzurufen.
Und in einem solchen Umfeld wurde die Band auch gegründet. Im englischen Leeds organisierten Gitarrist Eddie Roberts und Schlagzeuger Simon Allen Ende der 90er-Jahre Clubnächte. Als sie eine neue Location ausfindig machten, die neben dem DJ-Bereich Platz für Live-Bands bot, begannen sie mit ein paar ähnlich Gesinnten in ihrem eigenen Club zu jammen.

Und genau so klingt ihre Musik: Jammen auf hohem Niveau und im Vintage-Sound. Einige Tracks könnten DJs problemlos zwischen Booker T. und Jimmy McGriff in ihre Sets einbauen, so sehr nach Jazzfunk der 60er-Jahre aus dem Hause Stax klingt Joe Tattons Orgel. Doch auch der Gitarrist, dessen Sound und Phrasierungen ohne Zweifel von John Scofield beeinflusst sind, legt in „Green Was Beautiful“ so richtig los und zeigt in „Stash“, dass er auch ein Wah-Wah-Pedal bedienen kann.

Als Gastmusiker hat sich das Quartett auf seinem zwölften Studioalbum einen Perkussionisten sowie zwei Bläser hinzugeholt, die den Sound der Band angenehm erweitern, ohne zu sehr nach vorne zu drängen. Überhaupt geht es hier sehr entspannt und laid-back zu, auch in der Coverversion von „Funk 49“, dessen Original von Eagles-Gitarrist Joe Walsh stammt.

Gastsängerin Adryon de León von der LA-Band Orgone steuert schließlich die Eigenkomposition „Gonna Be Just Me“ bei, die wie der Hit „I Got the Blues“ aus dem Jahr 1968 klingt und die junge Sängerin so, als wäre sie die Enkelin der Soul-Legende Della Reese, die diesen vor genau 50 Jahren sang. All dies ist wahrlich nicht neu, doch es macht Spaß.

Anspieltipps: Chicago Girl, Gonna Be Just Me, Green Was Beautiful


Nuancierte Kursänderung

von Jeff Schinker

Kann man einer Band vorwerfen, zu sehr nach sich selbst zu klingen? Kann man es ihr übelnehmen, gleich zu Beginn ihrer Karriere ein Klangbild gefunden und entwickelt zu haben, das so zu ihr passt, dass sie es in der Folge nur noch mit Nuancen perfektioniert hat? Nachdem Beach House vor kurzem eine Sammlung von B-Sides herausbrachten, folgt nun auf das schöne „Depression Cherry“ (2015) und den knapp drei Monate später veröffentlichten Überraschungsnachfolger „Thank Your Lucky Stars“ (ebenfalls 2015) das siebte Album, das logischerweise dann auch den schlichten Titel 7 trägt.

Klar, Beach House sind nicht Radiohead, die sich im Laufe ihrer Karriere innerhalb von ein paar Alben vom Post-Grunge über Alternative Rock mit Britpop-Zitaten hin zur jazzigen Elektronik bewegten.

Wenn Beach House also von einer Kursänderung reden, kann man sich darauf einstellen, trotzdem Dream Pop mit Shoegaze-Einschlägen geboten zu bekommen. Klassische Beach-House-Tracks, die die Band ganz getreu dem Namen des Nischengenres, den sie mitgeprägt hat, fast schon im Schlaf schreibt, gibt es dann auch ein paar: „Pay No Mind“ z.B. ist kein schlechter Song, aber so typisches Beach-House-Material, dass er vielleicht eher in die B-Sides-Sammlung gepasst hätte.

Solche Nummern sind hier aber eher die Ausnahme, und auch wenn die stilistische Entwicklung wieder mal so diskret ist, dass sie kaum auffällt, ist auf „7“ – und darauf kommt es letztlich doch an – das Songwriting so stark wie schon lange nicht mehr, weswegen das Album im Bandpantheon neben einer Scheibe wie „Teen Dream“ stehen kann. Der Opener „Dark Spring“ erinnert an die frühen Tage der leider wenig bekannten Mew, „Lemon Glow“ und „Drunk In L.A.“ funkeln vor dunkler, melodischer Begierde.

Überhaupt sind die stärksten Tracks dunkler, aber intensiver als gewohnt: So sind „Black Car“ mit seinen leichten Elektroelementen und „L’Inconnue“ mit seinen flächigen Synthie-Sounds Album-Highlights und anstatt in der verträumten Lethargie zu versacken, findet das mit seinen Twang-Gitarren anfangs minimalistische „Dive“ in der Mitte plötzlich seinen Drive. Klar, „7“ ist keine Klangrevolution – dafür aber eine ausgezeichnete Songsammlung.

Anspieltipps: Lemon Glow, Drunk In L.A., Dark Spring