Dialog auf Augenhöhe: Holzbildhauer beschreiten neue Wege

Dialog auf Augenhöhe: Holzbildhauer beschreiten neue Wege

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Das Südtiroler Grödnertal im Herzen der Dolomiten gilt als bedeutendes Zentrum der Bildhauerei, insbesondere im Bereich sakraler Kunst. Das Museum am Dom in Trier zeigt in der Ausstellung „Zug um Zug – was aus Figuren Menschen macht“ den künstlerischen Aufbruch bekannter Holzbildhauer zu zeitgenössischen Interpretationen des Themas Begegnung und Beziehung: des Individuums mit sich selbst und seiner Spiritualität, aber auch mit dem Mitmenschen.

Von Martina Kaub

Info

„Zug um Zug – was aus Figuren Menschen macht“ Museum am Dom, Trier
Finissage mit Führungen
am 7. September 2019 von 18 bis 24 Uhr. Die Ausstellung ist noch bis zum 9. September 2019 geöffnet

Unika-Kunstmesse
in Gröden/Südtirol vom 29.8.
bis zum 1.9.2019

https://www.unika.org/de/

Angefangen hat es vor rund 400 Jahren mit dem Schnitzen von Spielzeug, Krippenfiguren und Holztieren, die Bauernfamilien an langen Wintertagen fertigten, um sie auf Frühjahrsmärkten zu verkaufen. Manche erzielten mit der Holzschnitzerei einen kleinen Nebenverdienst, andere, mit besonderem Talent und Kunstfertigkeit, brachten es nach einer Ausbildung an Akademien in München, Wien, Rom oder Venedig zum nachgefragten „Herrgottschnitzer“.

Erste Bildhauerdynastien formten die Identität dieses Kunsthandwerks und legten die Basis für seine hohe Qualität. Imposante Altäre, Kruzifixe, Krippen, sakrale und profane Figuren sowie Reliefs begründeten in der Folge das einzigartige Renommee der Region.
Die Einrichtung eigener Schulen in den Orten St. Ulrich und Wolkenstein sowie die Weitergabe des handwerklichen Könnens von Generation zu Generation machten das Grödnertal schließlich zum internationalen Zentrum dieser Kunstrichtung.

In jüngster Zeit erweist sich das traditionsreiche Kunsthandwerk als überaus wandlungsfähig. Beim Anblick der Exponate in der Trierer Ausstellung wird schnell deutlich, dass sich die Künstler von normativen Gestaltungsprinzipien und verfeinerten Schnitztechniken lösen. An deren Stelle tritt eine klare Formensprache, die bei aller Unterschiedlichkeit der künstlerischen Positionen durch eine überraschende Schlichtheit besticht, der gleichzeitig eine starke Expressivität innewohnt. Zirbelkiefer, Nussbaum, Lärche, Linde oder Birnbaum liefern den Werkstoff, mal als ganzen Stamm, mal als uralte gefundene Wurzel.

Eine vielseitige Kunstszene

Für alle Künstler sind der Wald und die Natur wichtige Quellen der Inspiration; manche schöpfen auch aus ihrem Glauben. Ihre Arbeiten reflektieren das Thema Begegnung und die daraus entstehende Beziehung sehr individuell. Sie berühren Fragen des Menschseins, der menschlichen Existenz in ihrem Eingebundensein in eine bestimmte Zeit, Umgebung und Verhältnisse.

Der Tradition am nächsten kommen einzelne kleinere Arbeiten, wie zwei Figurengruppen von Georg Demetz Pilat zeigen: die in Gröden bekannten (real existierenden) Vagabunden „Louis und Gottfried“ und die „Musikanten“, deren sorgfältig ausgearbeitete Gesichter, Bekleidung und Körperhaltung dem Betrachter einen lebendigen Eindruck von der individuellen Persönlichkeit der Dargestellten und ihrem Verhältnis zueinander vermitteln.
Individualisiert treten auch bekannte Personen aus der Politik Südtirols als Figuren eines Schachspiels auf, eine Arbeit von Roland Perathoner, auf die sich der Titel der Ausstellung bezieht. Alleinstehende Beobachter oder mit dem Handy Telefonierende befinden sich an der Peripherie, während sich andere gerade aufeinander zubewegen, im Austausch gegenüberstehen oder kleine interne Gruppen bilden.

Körperhaltung, Sprache, Gestik und Mimik sind die den Akteuren verliehenen Mittel der Auseinandersetzung. Ob sie sich ihrer weitreichenden Verantwortung bewusst sind, sich in der „Königsdisziplin“ bewähren werden?

Aktuelle Themen 

Das gegenwärtig viel diskutierte Thema Kommunikation spielt eine große Rolle in Perathoners Werk. Eine alltägliche Szene: Zwei Jugendliche auf einer Bank, vielleicht an einer Bushaltestelle, der eine mit cool aufgesetzter Basecap, der andere mit Kopfhörern, beide den Blick nach unten gerichtet – aufs Handy. Hier hat die Face-to-Face-Kommunikation keine Chance mehr, der Dialog wird ausgebremst. Hubert Mussner greift die aktuelle Gender-Debatte auf: Wie ausgewogen ist das Geschlechterverhältnis zwischen Frau und Mann, wo erkennen sie sich im anderen wieder? Viele Fragen, die sich aus seinen spannenden Arbeiten ergeben.

In eine ganz andere Stilrichtung weisen die Skulpturen von Armin Grunt. Aus knorrigen Hölzern, die ihren Ursprung noch deutlich erkennen lassen, schafft er stark bewegte Figuren, die um Erkenntnis zu ringen scheinen („Figurative Transzendenz“) oder wie der „Freigeist“ sich über alles Bodenständige erheben und mit der inneren und äußeren Aufrichtekraft den Blick nach oben richten. Der Freigeist Goethe hat auf seiner Italienreise in den Dolomiten „die ungewöhnliche Farbe dieser Berge mit ihren schönen, einzigartigen und schroffen Formen“ bewundert.

Eine gewisse Rauheit wird häufig den Bewohnern der Bergregionen zugeschrieben, sie kommt in dieser Skulptur mit türkisen und purpurnen Farbsegmenten zum Tragen. Alle Bildhauer arbeiten sehr individuell, gleichzeitig inspirieren sie sich gegenseitig. Sie verleugnen nicht die Tradition, haben sich aber bewusst dafür entschieden, eigene Wege zu gehen. Die Auseinandersetzung mit der vorgefundenen Realität und der Bilderflut der Medien treibt sie an, eine Sprache zu entwickeln, mit der sie ihre Zeitgenossen erreichen.
Die Trierer Ausstellung lädt zu einer spannenden Begegnung mit den unterschiedlichen Ansätzen der elf Künstler ein.

Justin
24. August 2019 - 17.52

Wie sinnig, dass das Foto eine Reihe vom Computer ausgedruckten 'Schnitzereien' zeigt.