Das blonde Mädchen

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Heidi Benneckenstein wuchs in einer Nazi-Familie auf – und erzählt von ihrem Ausstieg aus der Szene in einem packenden Buch.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Knoblauch ist verboten, ordnete der Vater an. Ein orientalisches Gewächs sei nichts für deutsche Menschen. Das Wort „Polen“ gab es nicht in der Familie, man hatte „Ostpreußen“ zu sagen. Und als Handys aufkamen, verbot der Vater den Kindern den Begriff, es hatte gefälligst „Handtelefon“ zu heißen.

Heidrun Benneckenstein, geborene Redeker, Jahrgang 1992, hat mit „Ein deutsches Mädchen“ ein Aussteigerbuch geschrieben. Als sie 15 war, stand sie das letzte Mal stramm vor ihrem Erzeuger, dem Patriarchen einer Nazi-Familie in einem Dorf bei München. Der Ostpreuße wollte seine Heimat „regermanisieren“ und achtete bei seinen vier Mädchen auf anständige Sitten. Eine begehrte auf.

Absurdes und Komisches

Die Töchter durften am Tisch nur sprechen, wenn sie dazu aufgefordert wurden. Schlugen sie die Tür zu laut zu, war zehnmaliges Leise-Schließen angesagt. Auch die Treppe im Haus musste langsam begangen werden, sonst wurde das zehnmal geübt. Beim Schulsportfest fasste Heidi ein philippinisches Mädchen bei der Hand. Eine Schwester petzte zu Hause, es gab ein Donnerwetter, „Fidschis“ fasse man nicht an.

Wie er die Preußische Allgemeine richtig fand, die jeden Tag ins Haus kam, Bücher über Nationalsozialisten standen im Regal und es gab Stickdecken mit völkischen Sprüchen. Die heute 25-Jährige hat viel zu erzählen an Absurdem und Komischem. Kamen Lehrer ins Haus, trat der Vater ihnen als Oberhaupt der Sippe autoritär entgegen. Als Heidi mit ihrer Klasse das Konzentrationslager Dachau besuchte, nahm der Alte sich das Kind vor und bläute ihm ein, dass es der Lehrerin kritische Fragen stellen und provozieren sollte. Der passiven Mutter war ideologisch die Rolle als Hausfrau vorgegeben.

Urlaub in „Germania“

In Deutschland gibt es Parallelwelten. Schulen, Jugendamt und Behörden lassen zu, dass Siebenjährige von ihren Eltern in die „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) gesteckt, dass sie in Zeltlager geschickt werden, wo sie allmorgendlich um sieben Uhr zum Appell antreten müssen, wo sie leichtes Murren mit Liegestützenzwang ausgetrieben bekommen.

Da werden die „Ehrenmitglieder“ der HDJ, Wehrmachtsflieger Hans Ulrich Rudel oder die Dichterin Agnes Miegel, eine Hitlerverehrerin, als Vorbilder angepriesen. Da wird klar, was ein deutsches Mädel an Werten eingeprägt erhalten soll: Gehorsam, Disziplin, Fleiß, Ehre, Heimatliebe. Im Camp gab es auch Vorträge zum Thema „Rassekunde“, zum Zweck der Heranzüchtung einer rechtsextremen Elite. Die Zelte trugen Namen wie „Germania“ oder „Führerbunker“. Mädchen nähten auf Heuhaufen und sammelten Kräuter, Jungen rangen miteinander, um stark zu werden. Aus einem Stück Sperrholz sägten die Kinder die Deutschlandkarte – in den Grenzen von 1937.

Kind führt zum Umdenken

Dieses Befreiungsbuch liefert Informationen aus einer unbekannten Sphäre. Benneckenstein verortet das rechte Netzwerk von München bis nach Sachsen. Sie schreibt von „Ausläufern rechten Denkens“, bis tief in die bürgerliche Gesellschaft hinein. Jetzt endlich, mit Pegida und AfD, darf es aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit gebracht werden. Die Identitäre Bewegung will rechtes Denken cool machen in sozialen Netzwerken. Und die Anhänger halten fest zusammen. „Bis 18 kannte ich fast nur Nazis“, so Benneckenstein. Ihr Mann Felix ist als rechter Liedermacher Flex bekannt.

Als die junge Frau schwanger wurde, begann das Umdenken. Sie wollte ihr Kind nicht im Milieu aufwachsen sehen, auch ihr Mann nicht. Dem Paar gelang über die Aussteigerorganisation Exit der Schritt in die Freiheit. Das Buch ist eine Abrechnung, es zu schreiben hat Mut erfordert. Die Familie hat einen kurzen Draht zur Polizei. Für alle Fälle.

Heidi Benneckenstein: „Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie.“, Tropen-Verlag, Stuttgart, 252 S., 16,95 Euro.

Eine Leseprobe des Klett-Cotta-Verlags gibt es hier.