Wer darf was entscheiden? Deshalb sorgt das neue Luxemburger Sorgerechtsgesetz für Kopfzerbrechen

Wer darf was entscheiden? Deshalb sorgt das neue Luxemburger Sorgerechtsgesetz für Kopfzerbrechen

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Das neue Sorgerechtsgesetz löst bei den neu ernannten Familienrichtern Stress aus. Mit Hochdruck müssen sie nun bestimmen, wie das Gesetz auszulegen ist. Ministerien, Familien, Schulen und Vereine befinden sich derweil in einer rechtlichen Übergangszeit, die für Unsicherheit und jede Menge Konfliktpotenzial sorgt.

Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar „Ratlosigkeit im Hause Meisch“. 

Was lange währt …

… wird endlich gut? Ob diese Binsenweisheit auch für die Reform des Sorgerechts in Luxemburg gilt, muss sich zeigen. Immerhin wurde fast 20 Jahre an dem Gesetz gearbeitet.

Bereits 1999 wurde vom Verfassungsgericht festgestellt, dass der bisherige Gesetzestext zum Sorgerecht eigentlich verfassungswidrig ist. Das Problem: Bei nicht verheirateten Eltern hatte im Regelfall die Mutter das alleinige Sorgerecht.

Während diese Regelung für viele Paare eigentlich keine Rolle spielte, konnte die Situation bei einem Streit oder einer Trennung kompliziert werden. Einigten sich die Eltern nicht außergerichtlich über die Folgen ihrer Trennung, konnte der Fall vor unterschiedlichen Richtern landen. Ging es „nur“ um Unterhaltszahlungen, wurde vor dem Friedensrichter verhandelt. Versuchte der Vater aber, ein geteiltes Sorgerecht oder ein Besuchsrecht zu erlangen, musste dieser Streit parallel vom Vormundschaftsgericht entschieden werden. Wenn ein Gesetz verfassungswidrig ist, sollte es eigentlich zügig von der Politik geändert werden. Doch nach der Gerichtsentscheidung 1999 passierte erst einmal überhaupt nichts.

Zur Person

Alexandra Huberty ist Vizepräsidentin des Bezirksgerichts Luxemburg und hat seit Januar 2014 die vierte Kammer des Gerichtsbezirks Luxemburg, die für Scheidungen zuständig ist, geleitet. Sie ist eine der 14 neu ernannten Familienrichter und wacht somit unter anderem über die Anwendung des neuen Sorgerechtsgesetzes.

Während Luxemburgs Nachbarländer schon Anfang 2000 das gemeinsame Sorgerecht einführten, herrschte im Großherzogtum Stillstand. Erst 2006 griff ein Gesetzesvorschlag des Parlamentariers Laurent Mosar (CSV) das Thema wieder auf. Seitdem dokterten die politischen Verantwortlichen immer wieder an einem neuen Gesetz herum.
Aber nie schaffte es ein Gesetzentwurf so weit, dass das Parlament ihn verabschieden konnte. In den zuständigen Kommissionen wurde jahrelang heftig diskutiert, verhärtete Fronten verhinderten immer wieder ein Weiterkommen der dringend nötigen Sorgerechtsreform.

Erst am 14. Juni 2018 wurde sie als Teil des neuen Scheidungsgesetzes im Parlament angenommen – ganze 19 Jahre nach dem Urteil des Verfassungsgerichts. „Die Reform des Sorgerechts hat viel zu lange gedauert“, sagt die zukünftige Familienrichterin Alexandra Huberty. „Jedes minderjährige Kind im heutigen Luxemburg, dessen Eltern nicht verheiratet sind, kam auf die Welt, nachdem das Sorgerecht in Luxemburg für verfassungswidrig erklärt wurde. Das ist kaum zu glauben.“ Die Juristin hatte 1999 selbst die Anfrage ans Verfassungsgericht gestellt, die alles ins Rollen brachte. „Dass danach jahrelang nichts passierte, hat mich frustriert.“


Das neue Sorgerecht

Seit Juni 2018 ist das neue Gesetz endlich in Kraft. „Die Eltern üben das Sorgerecht gemeinsam aus“, heißt es darin. Damit haben beide Elternteile im Prinzip die gleichen Rechte und Pflichten, egal ob sie ledig, verheiratet oder geschieden sind. Unverheiratete Paare werden am meisten von diesen Neuerungen betroffen sein.

Die Ausnahmen: Die Vaterschaft wurde gerichtlich festgestellt oder es besteht bereits ein gerichtlicher Beschluss, der einer Mutter oder einem Vater das alleinige Sorgerecht zuteilt. Bestehende Beschlüsse bleiben nämlich vom neuen Gesetz unangetastet. „Wenn ein Gerichtsurteil das alleinige Sorgerecht einem Elternteil zugeteilt hat, muss dies auch durch ein Gerichtsurteil wieder geändert werden“, sagt Sam Tanson („déi gréng“), die das neue Gesetz im Luxemburger Parlament als Berichterstatterin begleitete.

Anders ist die Situation für Paare, die sich außergerichtlich geeinigt haben – oder nur die Unterhaltszahlungen haben vor Gericht klären lassen. Denn nach dem neuen Gesetz haben beide Elternteile in diesen Fällen seit Juni 2018 die gleichen Rechte und Pflichten. Sie müssen seitdem wichtige Entscheidungen zum Wohl des Kindes gemeinsam treffen.

„Das ist der Teil des Familiengesetzes, von dem aus ich die meiste Arbeit auf uns zukommen sehe“, erklärt die zukünftige Familienrichterin Alexandra Huberty. „Viele alleinerziehende Eltern sind gewohnt, alles für ihre Kinder zu entscheiden. Ich weiß nicht, ob sie darauf vorbereitet sind, dass sie das rechtlich nicht mehr alleine dürfen.“
Diese neue Regelung könnte zu einem „Run“ auf das neu geschaffene Familiengericht führen. „Ich erwarte, dass sich vor unseren Büros Schlangen bilden“, sagt die Richterin. Sie vermutet, dass auf den Schreibtischen der Familienrichter zahlreiche Anträge auf ein alleiniges Sorgerecht landen werden – auch wenn diese nicht alle ausreichend begründet sind. „Nach dem Motto: Jetzt kümmert sich mein Ex-Partner seit Jahren nicht ums Kind, wieso soll er jetzt mitentscheiden dürfen?“ Zudem erwartet die Richterin, dass einige Prozesse auf die Justiz zukommen, weil Eltern sich über die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts streiten.

Mit dem neuen Gesetz haben die Eltern nun auch ein Recht auf die „Résidence alternée“, wenn sie im Sinne des Kindes ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Kind an zwei Adressen gemeldet ist. Es gibt weiterhin nur einen Hauptwohnsitz, auf den sich entweder die Eltern einigen oder den der Familienrichter festhält.

Auch bleiben beide Elternteile verpflichtet, sich an den Kosten für den Kindesunterhalt zu beteiligen – das allerdings im Verhältnis zu den jeweiligen Möglichkeiten der Eltern.
Ein weiterer Unterschied zum alten Gesetz: Alle Facetten, ob Unterhalts- oder Sorgerechtsstreitigkeiten, werden vor einem einzigen Richter – dem neu ernannten Familienrichter – verhandelt.


Das Problem: Wer darf was entscheiden?

Das größte Konfliktpotenzial beim neuen Sorgerechtsgesetz steckt im Entscheidungsrecht der Elternteile. Laut dem Gesetzestext müssen zwar beide Elternteile gemeinsam über das Leben des Kindes entscheiden. Allerdings reicht bei einem „Acte usuel“ die Entscheidung eines Elternteils, die Zustimmung des anderen wird angenommen. Bei einem „Acte non-usuel“ müssen beide Elternteile der Entscheidung ausdrücklich zustimmen.

Während in Luxemburg der Begriff noch nicht klar definiert ist, ist man im französischen Recht schon weiter. Betrifft eine Entscheidung oder Handlung eines Elternteils (ein „Acte“) das „gewöhnliche“ Leben des Kindes, wird es als „Acte usuel“ eingestuft. Ist es eine „gravierende“ Entscheidung, die das Leben des Kindes deutlich verändert, fällt es unter die Kategorie „Acte non-usuel“. Im Klartext: Nicht unter jedes Dokument müssen beide Eltern ihre Unterschriften setzen. Doch wann ist eine Entscheidung nach luxemburgischem Recht ein „Acte usuel“ oder ein „Acte non-usuel“? Das muss das Familiengericht erst noch festlegen. „Das Familiengericht wird über diese Frage ein Grundsatzurteil fällen“, erklärt Alexandra Huberty.

Dabei sind viele Lebensbereiche des Kindes betroffen. Zum Beispiel in der Schule: Müssen beide Eltern über das Prüfungsergebnis informiert werden? Muss ein Schulausflug von beiden Eltern genehmigt werden? Wer darf entscheiden, ob ein Kind die Schule wechselt? Auch bei der Freizeitgestaltung gibt es rechtlichen Klärungsbedarf. Ist die Anmeldung bei einem Verein ein „Acte usuel“ oder ein „Acte non-usuel“? Und was ist mit einer Ferienreise zu Verwandten oder Freunden? All diese Fragen sind bisher noch unbeantwortet.

„Wir können den Richtern nicht vorschreiben, wie sie ein Gesetz zu interpretieren haben“, antwortet das Justizministerium auf Nachfrage des Tageblatt. „Es müssen eben erst Präzedenzfälle geschaffen werden.“ Auch die Parlamentsabgeordnete Sam Tanson („déi gréng“) meint, dass es „an sich nichts Ungewöhnliches ist, dass ein Gericht einen Gesetzestext erst interpretieren muss“. Alexandra Huberty stimmt dem zu – man müsse den Richtern die Freiheit geben, das Gesetz auszulegen. Allerdings „hätte man das Gesetz präziser fassen können“.

Laut der Familienrichterin war im ersten Entwurf des neuen Gesetzes sogar eine genauere Definition der „Actes“ niedergeschrieben: Als „Acte non-usuel“ wurde eine Entscheidung interpretiert, „die mit der Vergangenheit bricht und die Zukunft des Kindes beeinflusst oder die fundamentalen Rechte des Kindes berührt“.

Auf Drängen des Staatsrats wurde dieser Satz allerdings gestrichen. Dabei warnen mehrere Stellungnahmen zu dem Gesetzestext, dass die offene Formulierung für Streit sorgen könnte. So schreibt beispielsweise das Ombudskomitee über die Rechte des Kindes: „Man muss aufpassen, dass nicht zu viele Unsicherheiten und Diskussionen zwischen den Eltern darüber geschaffen werden, was ein ’Acte usuel‘ sei und was nicht.“

„Solche Situationen lassen Konflikte entstehen“, sagt auch Huberty. Zum Beispiel, wenn es darum geht, einen neuen Pass für das Kind zu beantragen. Den Antrag dazu müssen nach dem neuen Sorgerecht wahrscheinlich beide Elternteile unterschreiben – und zwar selbst dann, wenn das Kind schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zum anderen Elternteil hat.
„Glauben Sie nicht, dass so mancher Ex-Partner Genugtuung draus ziehen wird, die Unterschrift zu verweigern?“, fragt Huberty. „Besonders wenn man ihm jahrelang gezeigt hat, dass man ihn nicht braucht – und plötzlich ist man von ihm abhängig?“


Rentrée in einer Grauzone

Luxemburg steht derzeit ganz im Zeichen der „Rentrée“ – die Sommerpause bei Schule und Verein ist vorbei, für viele Kinder beginnt eine neue Lebensphase. Vor diesem Hintergrund müssen die Eltern einige Entscheidungen treffen. Und nur kurz zuvor ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die Rechtsgrundlage für diese Entscheidungen neu aufstellt. Sind die Anmeldungen für Grundschule und Fußballverein überhaupt rechtens?

Diese Frage kann derzeit niemand beantworten. Da bis zum November keine Präzedenzfälle geschaffen werden, existiert eine rechtliche Grauzone. Das Justizministerium sieht seine Arbeit mit der Ausarbeitung des Gesetzestextes getan – und verweist auf die Deutungshoheit der Richter. Auch im Bildungsministerium scheint man sich mit den offenen Formulierungen des neuen Sorgerechts noch auseinandersetzen zu müssen: Auf Nachfrage des Tageblatt erklärt eine Sprecherin, dass man dabei sei, „interne Richtlinien zu erarbeiten“. Lehrer könnten sich derzeit bei Fragen an das Ministerium wenden. Alexandra Huberty bestätigt, dass das Bildungsministerium mit dem Familiengericht in den nächsten Wochen über die Auswirkungen des Sorgerechtsgesetzes diskutieren will.

Auf die Frage, ob sich schon Vereine beim Familiengericht wegen des neuen Sorgerechts gemeldet haben, entgegnet die Familienrichterin: „Nein – und ich bin mir nicht sicher, ob die Freizeitvereine schon realisiert haben, dass das neue Gesetz auch sie betreffen kann.“ Sie gibt den Vereinsoffiziellen einen Tipp: „Wenn sie auf der sicheren Seite sein möchten, sollten sie die Unterschrift von beiden Eltern einfordern.“ Und die Eltern selbst? Was sollen sie tun, wenn für die Anmeldung an der Schule – oder nur für einen Schulausflug – ihre eigene Unterschrift plötzlich nicht mehr reichen könnte? „Am besten ist es, sich im Zweifelsfall bei einem Anwalt Rat einzuholen“, rät Familienrichterin Alexandra Huberty.

Ratlosigkeit im Hause Meisch

DePetz
24. September 2018 - 18.36

Ich habe Frau H selbst erlebt. Sie war leider nicht fähig die Manipulationen der Gegenseite zu erkennen. Mit der traurigen Konsequenz, daß die Gegenpartei immer radikaler wurde, da Sie in Ihren Manipulationen ja bestätigt wurde. Ich musse feststellen, daß man als Vater in Ratlosigkeit, Verzweiflung, und auch Wut verfällt weil man als Vater vollkommen machtlos ist, und darüber hinaus auf ein Zahlungsmittel degradiert wird. Ich habe in dieser schlimmen Zeit gelernt, daß Frauen viel zielorentierter, hinterhältiger und grausamer Vorgehen können als Männer sich das überhaupt vorstellen können, die eher Punktuell reagieren. Mir wurden viele wichtigen Jahre geraubt, die ich leider nie und nimmer aufholen kann. Ich wurde zum Bittsteller um meine Kinder zu sehen und mußte unzälige Erniedrigungen über mich ergehen lassen, die ich mir vorher, mal nicht vorstellen konnte. Jeder Vater der seine Kinder liebt und vermißt, wird durch diese Emotionale Folter irgendwann krank. So hatte auch bei mir diese extrem Streßbezogene Zeit gravierende Gesundheitskonsequenzen und Finzanverluste zur Folge. Mittlerweile kenne ich mehrere Väter denen Ansatzweise das gleiche passiert ist. Es handelt sich also um ein fest inkrustiertes schädliches System und das gehört endlich abgeschafft. Ich hoffe sehr, daß die Familienrichter die zukünftigen Fälle kritisch und neutral analysieren und nicht auf die Manipulation der Kontrahenten hereinfallen. Wichtig ist es den Anwälten die Luft aus den Segeln nehmen. Es gibt gibt leider Anwältinnen, die vor nichts zurückschrecken um Prozesse in die Länge zu ziehen und viele Menschen, hauptsächlich die Mütter fallen darauf ein. Sie stellen dann viel zu spät fest, daß die Anwältinnen den Haß und den Konflikte nur aus reinem Ego und Finanzintresse inszeniert haben. Nämlich dann, wenn sie sehen, daß die von den Anwältinnen versprochenen Leistungen reine Phantasie waren und die Verteuflung des ehemaligen Partners dann doch nicht stimmt. Leider ist es dann oft zu spät und viele, viele tiefe Verletzungen sind entstanden und sehr wichtige Elemente, wurden zerstört. Was ich bei der Reform vermisse, ist ein Code de Conduite für Anwälte. Denn Anwälte werden für Lügen, Unterstellungen und Erniedrigungen nicht belangt. Anwällte sollten keinen Rosenkrieg vom Zaun brechen sondern mit den Menschen Lösungen suchen. Umsomher wenn beide Eltern die Kinder lieben und an sich ein anständiges Leben führen. Eine Pflichtbegleitung von einem Spezialisten in der Scheidungswaise für beide Eltern wäre sehr auch sehr sinnvoll. Denn dieser könnte die Streitstrategie der Anwälte entschärfen und die Leute auf das Steuern was wichtig ist : Die eigenen Kinder.

Clemi
21. September 2018 - 23.34

mal abgesehen von der ratlosigkeit im hause meisch hätte bei so einem sensiblen thema duchaus vielleicht möglicherweise einer der scheinbar sehr vielen beteiligten eventuell daran denken können, dass da möglicherweise vielleicht durchaus etwas wenn nicht sogar sehr viel sensibilisierung im vorfeld hätte sinn machen können... luxemburg auf so einem extremst wichtigen punkt 19 jahre amtlich festgestellt (!!!) verfassungswidrig ... ich fass es nicht. bei uns gibt es wirklich rein gar nichts mehr was es nicht gibt, im negativst möglichen sinne. quo vadis politik???