Im Krisenmodus: Von der Widerstandsfähigkeit der Grünen

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Am Donnerstag sollen „déi gréng“ auf einem außerordentlichen Kongress in Luxemburg die Regierungsumbildung auf grüner Seite gutheißen und damit die Entscheidung eines engen Zirkels führender Parteimenschen absegnen.

Bereits letzte Woche zirkulierte der Name des potenziellen neuen Regierungsmitglieds, nachdem zuvor versichert worden war, die Parteimitglieder würden als Erste informiert. Am Samstag dann bestätigte François Bausch auf RTL, Henri Kox werde ins Rennen geschickt. Ob mit diesem Vorstoß die Basis vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollte, sei mal dahingestellt. Dass Druck auf dieselbe aufgebaut wurde, deutete Bausch jedoch selbst an mit der Aussage, er werde „mit Haut und Haaren“ Kox’ Kandidatur verteidigen.

Quereinsteiger sind nicht in Sicht

Der Neue in der Ministerriege dürfte demnach Henri Kox heißen, es sei denn, der Kongress würde es sich erlauben, in der aktuellen, für die Partei angespannten Situation gegen den eigenen Vizepremierminister zu rebellieren. Wer stünde als Gegenkandidat bereit? Die neben Kox genannte Fraktionschefin und Bettemburger Schöffin Josée Lorsché hat bereits abgelehnt. Mögliche Quereinsteiger sind vorerst nicht in Sicht. Ein öffentlich ausgetragener Streit um die Neubesetzung eines wichtigen Amtes ist daher wohl kaum zu erwarten.

Die Partei der liberalen und sozialistischen Koalitionspartner befindet sich in ihrer bisher schwersten Krise. Vor anderthalb Jahren brach Staatssekretär Camille Gira während seiner Rede zum neuen Naturschutzgesetz im Parlament zusammen, um wenig später an Herzversagen zu sterben. Rund ein Jahr später erkrankte Félix Braz. Dann verstrickte sich Differdingens „député-maire“ Traversini in eine unscheinbare Gartenhaus-Affäre, aus der er nur einen Ausweg sah: die Demission als Bürgermeister. Und sozusagen als Kirsche auf dem Kuchen, um das geflügelte Wort von Transportminister Bausch zum Gratistransport zu benutzen, legte die CSV ein juristisches Gutachten vor, das Umweltministerin Carole Dieschbourg in die Schusslinie nimmt. Gesetzwidrig sei ihre dem Parteikollegen Traversini nachträglich erteilte Genehmigung für Arbeiten am Gartenhäuschen im Naturreservat Prënzebierg.

Seltene Spezies

Dabei schien es, als hätte die Grünen-Krise mit Traversinis Rücktritt ihren Höhepunkt erreicht, da die Partei mit ihm nicht nur einen „député-maire“, sondern auch einen „Ministrablen“ verliert – eine Spezies, die auch bei den Grünen selten ist. Bereits die Nachfolge von Camille Gira vor einem Jahr verdeutlichte, dass das personalpolitische Reservoir der Partei so gut wie ausgeschöpft ist. Ausgerechnet ihren besten Mann in Europafragen musste sie zurückbeordern, um das durch Gira gerissene Loch in der Regierung und im Wahlbezirk Norden zu füllen. Ihre bekanntesten Gesichter hat die Partei nun so gut wie alle in der Regierung verbraucht. Und sie gehören nahezu alle derselben Altersgruppe an. Nachrücker baue man auf, so Bausch. Doch vorerst sind sie kaum sichtbar.

Ihre personelle Schwäche kann die Partei teilweise damit kompensieren, dass sie anders als die politische Konkurrenz vor allem wegen ihrer Inhalte bewertet und gewählt wird. Nicht zuletzt das Europawahlergebnis führte dies vor Augen. Auch ohne ihren Eurofighter Turmes errang die Partei 18,9 Prozent, ein Plus von 3,9 Prozent im Vergleich zu den Wahlen 2014. Natürlich profitierten „déi gréng“ auch vom grünen Boom u.a. in Deutschland, der durch die Diskussionen um Klimawandel und sich häufende extreme Wetterereignisse angeheizt wird.

Mit alten Denkschemata gebrochen

Fakt ist auch: In einer scheinbar entideologisierten Welt kommen „déi gréng“ gut an, da sie angeblich bar jeglicher ideologischer Scheuklappen sind. Nahezu alle traditionellen politischen Strömungen, die sich historisch bedingt auf eine Weltanschauung berufen, haben erheblich an Einfluss verloren. Ihnen haftet der Ruch des Gestrigen an. Ihren Lösungsansätzen für die Probleme des 21. Jahrhunderts mangelt es oftmals an Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht gleich als billige Kopien entlarvt werden. Im Kampf gegen Umweltzerstörung, für eine gesunde Lebensweise und mehr Lebensqualität, für intelligente Antworten auf den Wohnungsnotstand gelten die Grünen als das Original.

Tatsächlich haben grüne Politiker dort, wo sie kommunale und Regierungsverantwortung tragen, für frischen Wind gesorgt, mit alten Denkschemata gebrochen. Eine Vorbildfunktion erfüllte lange Zeit Camille Gira, der als Bürgermeister von Beckerich seine Gemeinde zu einem Musterbeispiel für ökologischen Umbau machte. Ähnliche Erfolge weisen grüne Politiker in anderen Gemeinden auf, nicht zuletzt der nun zurückgetretene Roberto Traversini in Differdingen, der mutig Sozial- und Umweltpolitik verknüpfte. Die Grünen entsprechen dem Zeitgeist, den junge und weniger junge, erfolgreiche, gut verdienende, sich für aufgeschlossen haltende Menschen verkörpern und die alternativ wählen möchten, also grün. Die scheinbar verstaubten, alten Parteien können dem bisher wenig entgegensetzen. Die einzigen die ihnen ansatzweise und bei oberflächlicher Betrachtung Paroli bieten könnten, sind die Liberalen mit einem aufgeschlossenen Spitzenpersonal im sogenannten besten Alter.

Den Grünen gelang es bisher, ihre Wähler davon zu überzeugen, dass sie das umsetzen, was sie ankündigen, sie damit ganz und gar nicht dem gängigen und meist falschen Politiker-Klischee entsprechen, wonach viel versprochen, aber wenig umgesetzt wird. Die bisherige Handhabung der Traversini-Affäre soll auch verdeutlichen, dass Verfehlungen in den eigenen Reihen nicht geduldet werden. Wohl nicht zufällig wiederholte Umweltministerin Carole Dieschbourg am Montag, das Dossier Gartenhäuschen des Parteikollegen Traversini sei wie jedes andere auch behandelt worden – eine Aussage, der ranghohe Beamte mit ihrer Präsenz und ihren technischen Erklärungen den nötigen Nachdruck verliehen.

Personaländerungen sind zu verkraften

Bedeutet das nun, grüne Wähler ließen sich in der Wahlkabine ausschließlich von programmatischen Aussagen leiten? Keinesfalls nur, dass Inhalten beim grünen Wahlentscheid eine größere Bedeutung als bei den anderen Parteien zukommen, wo vor allem Köpfe ausschlaggebend sind. So legten bei den Europawahlen im Juni „déi gréng“ zu, auch ohne Turmes. Im Wahlbezirk Zentrum konnten sie bei den Legislativwahlen 2018 die Zahl ihrer Mandate von zwei auf vier verdoppeln, obwohl lang gediente Abgeordnete und Kommunalpolitiker wie Viviane Loschetter und Claude Adam nicht mehr kandidierten.

Die rezenten Wahlergebnisse zeigen, dass die Grünen dramatische personalpolitische Änderungen wohl doch leichter verkraften. Ob die Konkurrenz derlei Entwicklungen ebenfalls so leicht wegstecken kann? Ohne Juncker und Frieden büßte die CSV 2018 massiv Stimmen ein. Eine ähnlich schmerzvolle Erfahrung steht wohl der LSAP bevor, sollten in wenigen Jahren Stimmenmagneten wie Jean Asselborn, Mars di Bartolomeo oder Alex Bodry die Lust an der Politik verlieren.

Kox hat sich hervorgetan

Heute Abend dürfte die grüne Basis im Limpertsberger Tramsschapp dem Vorschlag zur Nominierung von Henri Kox zum neuen Wohnungsbauminister, zum delegierten Minister für Innere Sicherheit und Armee zustimmen. Der 58-Jährige ist sicherlich eine gute Wahl. Zumal er sich in der rezenten Vergangenheit als wohnungsbaupolitischer Sprecher seiner Fraktion hervorgetan hat. Die schlechte Nachricht für ihn: Er übernimmt einen Bereich, der schnell zum politischen Schleudersitz werden kann. Dem Neuen wird die heiße Kartoffel weitergereicht, an der sich seine Amtsvorgänger in der vergangenen Legislaturperiode bereits die Finger verbrannt haben.

Kox wird liefern müssen, auch wenn sein Ministerium dieses ressortübergreifende Problem kaum im Alleingang wird lösen können. Einfach wird es ihm die größte Oppositionspartei nicht machen. Zumal die CSV die Grünen und damit die ganze Koalition mit der Affäre Traversini nach Herzenslust vor sich hertreiben wird. Das Operationsschema haben die Grünen mit der Affäre Liwingen/Wickringen (Einkaufszentrum und Fußballstadion) 2012 und nicht zuletzt mit dem SREL-Skandal 2012/13 selbst geliefert.

de Schmatt
3. Oktober 2019 - 10.20

Die Grünen stecken in der Krise. Und ? Krise bedeutet immer Neuanfang!