Größer als eine Schuhkiste

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Nur noch wenige Politiker haben in Luxemburg Kultcharakter. Einer von ihnen ist langjähriger Präsident der Kommunistischen Partei und Chefredakteur der "Zeitung": Ali Ruckert (63).

„Wenn man an der Oberfläche der Kommunalpolitik kratzt, sieht man, dass ganz oft andere Interessen mitspielen als der Wille, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.“ Wer 2018 bei den Nationalwahlen nichts zu verlieren hat, kann Klartext reden. „Man muss aber auch sagen, dass unser Wahlsystem solch eine Herangehensweise fördert. Weil es ja oft um die Person und nicht um das Programm einer Partei geht.“

Ali Ruckert beobachtet das politische Spiel schon lange und kennt die systemischen Schwächen. Die Ikone der Kommunistischen Partei Luxemburgs (KPL) wird zwar selbst immer damit konfrontiert, einem politischen Anachronismus zu huldigen. Doch seine analytische Stärke und Spitzzüngigkeit sucht man oft vergeblich in Luxemburgs politischer Duzi-Kultur, in der jeder mit jedem ein wenig zu gut kann. Ruckert ist zwar kein Zyniker, doch so ziemlich der einzige Politiker, der „on the record“ offen zugibt, dass Kommunalpolitik auch mit privaten Eigeninteressen verbunden ist.

Parteikarriere zum eigenen Vorteil

„Wenn die eine oder andere Partei die Wahlen gewinnt, werden einige Menschen plötzlich Parteimitglied, weil sie sich etwas davon versprechen: einen Arbeitsplatz oder sonst irgendeinen Vorteil für ihre Kinder.“ Die Kritik sitzt und viele Luxemburger wissen, dass sie stimmt. Zu was diese Form von Politik führt, ist für Ruckert klar. Kommunal- und Nationalpolitik werde zum Teil von Menschen betrieben, die weder ihre Partei noch ihr eigenes Wahlprogramm kennen.

Wer Ruckert nun für einen übertreibenden Ideologen hält, sollte sich nicht von der weißen Mähne und dem dichten Schnurrbart täuschen lassen. Er blickt z.B. mit sehr viel Realismus auf die Frage der Doppelmandate. „Ich habe selbst erlebt, dass der ‚député-maire‘ für eine Gemeinde positiv sein kann.“ In der Vergangenheit habe man in Luxemburg gesehen, dass eine Reihe von Südgemeinden benachteiligt worden seien. „Wenn dann aber der Bürgermeister oder jemand aus dem Schöffen- oder Gemeinderat in der Chamber sitzt, kann er die Probleme seiner Gemeinde vor dem ganzen Land darlegen.“ Dadurch könne der „député-maire“ Druck ausüben. Dies besonders, wenn eine Reihe von Menschen aus den Südgemeinden in der Chamber vertreten seien, wie es bereits in der Vergangenheit der Fall gewesen war.

Alles nur Hinterbänkler?

Ruckert bezweifelt hingegen, dass Doppelmandate es Politikern erlauben, in die Tiefe zu gehen. „Man macht oft nur die eine Aufgabe und hat für die andere gar keine Zeit. Das führt zu Situationen, dass Leute, die ihre Arbeit in der Gemeinde gut machen, in der Chamber Hinterbänkler sind.“ Sie würden zu nichts Grundlegendem Stellung nehmen, weil sie nicht einmal Zeit für Themen hätten, die sie eigentlich interessieren würden.

Ruckert glaubt zudem, dass Kommunalpolitik Teil einer viel größeren Gesamtstrategie sein muss. „Bei großen Gemeinden wie Differdingen reicht Kommunalpolitik nicht aus. Da weiß man ganz genau, dass die Landesebene eine wichtige Rolle spielt.“ Wahlversprechen seien demnach im Gemeindewahlkampf hohle Phrasen, wenn sie diese Ebene nicht respektieren würden. „Man kann in Differdingen auftreten und sagen, wir haben dieses und jenes soziale Projekt gemacht. Was man den Menschen aber nicht sagt: Oft hat der gleiche Vertreter, der z.B. Gutes in Differdingen getan hat, in der Chamber für den Sozialabbau der Dreierkoalition gestimmt.“ Solche Probleme würden während des Wahlkampfs unter den Teppich gekehrt. „Über diese Zusammenhänge versuchen viele Politiker nicht zu sprechen.“ Ruckert sieht darin die Rolle der Kommunistischen Partei, auf solche Zusammenhänge hinzuweisen.

Politik hat viel mit dem Bekanntheitsgrad zu tun

Nicht weniger kritisch sieht der KPL-Präsident, dass Politik meist mit dem Bekanntheitsgrad, gelegentlich jedoch wenig mit Kompetenz zu tun habe. Bekanntsein helfe nun mal nicht dabei, das nötige Wissen zu erwerben. „Man braucht ‚e grousse Bagage‘. Den kriegt man nicht, wenn man ‚e schéinen Numm huet‘ und auch noch gepusht wird, indem viel Geld in den Kandidaten gepumpt wird.“ Man müsse sich vieles als Politiker erarbeiten, um adäquate Lösungen zu finden.

Auch wenn Ruckerts Analyse pointiert wirkt und z.T. den Nagel auf den Kopf trifft, ist er sich seiner Verantwortung als Politiker bewusst. Nicht alles und jeder sei schlecht. Totalopposition bringe nichts. Er nuanciert: „Wir sagen auch nicht, dass in der einen oder anderen Gemeinde, wo wir kandidieren, nicht gearbeitet oder Dinge umgesetzt wurden. Wir kritisieren hingegen, dass oft nicht die richtigen Prioritäten gesetzt worden sind.“ In Differdingen sei etwa die Problematik des bezahlbaren Wohnraums eine Katastrophe. Prinzipiell sei zudem das kulturelle Angebot in der „Cité du fer“ miserabel. „Differdingen hat kein Kino, kein Theater, kein Museum.“

Maulkorb und Protest

Dass Ruckert eine große Skepsis gegen das aktuelle Politsystem hegt, hat nicht nur mit kommunistischem Gedankengut zu tun. Die KPL wurde während des aktuellen Wahlkampfs Opfer einer Neuregelung. Man verpasste ihr einen Maulkorb, was die offiziellen Rundtischgespräche betrifft. „Es ist das erste Mal, dass so etwas passiert. Dass die Regierung auf administrative Maßnahmen zurückgreift, um einen politischen Gegner mundtot zu machen.“ Ruckert ist nicht mehr schockiert, aber enttäuscht. Bei all der Systemkritik und dem generellen Misstrauen hielt er solch einen Maulkorb nicht für möglich.

„Wir waren vielleicht so naiv, daran zu glauben, dass sie nicht versuchen würden, der Kommunistischen Partei einen Maulkorb zu verpassen.“ Vor allem eine Spitze gegen die Regierung sitzt: „Sogar die CSV hat das in den letzten Jahrzehnten zu keinem Zeitpunkt getan.“ Ruckert zeigt sich dennoch zuversichtlich. Es habe eine Reihe von Menschen gegeben, die gegen den Maulkorb und für die KPL protestiert hätten. Er freut sich umso mehr über die Entscheidung der betroffenen Medien: „RTL hat entschieden, dass wir dennoch im Fernsehen und im Radio dabei sind.“

KPL-Wahlkampf ist anders

Insofern ist der Wahlkampf der KPL ein ganz anderer als jener der restlichen Parteien. Die Gefahr, mundtot gemacht zu werden, ist größer denn je. Ruckert hat jedoch für eine Reihe Parteien und Personen Lob, die, wenn auch ohne große Medienwirksamkeit, gegen den Maulkorb protestiert hätten. „Soweit ich das mitgekriegt habe, haben die Piraten, die selbst davon betroffen sind, protestiert. Ich weiß auch, dass ‚déi Lénk‘ – auch wenn sie es nicht an die große Glocke gehängt hat – auch dagegen protestiert hat. Ich weiß, dass die Escher Bürgermeisterin der LSAP, Vera Spautz, dagegen protestiert hat.“

Er kenne zudem eine ganze Reihe von „Conseillers“ der LSAP, die dagegen protestiert hätten. „Sie haben ihre Minister angerufen und ihnen gesagt, das Ganze sei antidemokratisch.“ Dass viele den Maulkorb ähnlich kritisch sehen, bemerkt Ruckert im Gespräch mit den Bürgern. Er wirkt fast überrascht: „Bei den Protestaktionen, die wir hier in Esch in der ‚Uelzechtstrooss‘ und in Differdingen während der ‚Braderie‘ veranstaltet haben, gab es viele Menschen, die applaudiert haben, als wir mit unserem Transparent gegen den Maulkorb vorbeigelaufen sind.“

Protestaktionen reichen nicht

Weshalb die Kriterien für die Teilnahme am Rundtischgespräch geändert wurden und es so weit kommen musste, liegt für den KPL-Politiker auf der Hand. „Das arrangiert politische Gegner der KPL. Wenn jemand von uns an so einem Rundtischgespräch teilnimmt, ist er meistens für die anderen unbequem.“

Dass es jedoch mit ein paar Protestaktionen nicht reicht, um potenzielle Wähler für sich zu gewinnen, weiß auch Ruckert. Denn selbst die KPL muss auf dem doch sehr kapitalistischen und kommerziellen Facebook werben. „Besonders was die jungen Menschen betrifft, reicht es nicht, ihnen eine Zeitung zu präsentieren. Man muss auf andere Hilfsmittel wie Facebook zurückgreifen. Man muss seine Kandidaten vorstellen.“

Die jungen Kommunisten würden auch vor Gymnasien Flugblätter verteilen und das Gespräch mit ihren Mitschülern suchen. Insgesamt erreiche man so zwar nicht die große Masse der Menschen, aber die KPL habe mittlerweile etwas, das sie 20 Jahre lang nicht mehr gehabt hätte: eine kommunistische Jugend. „Es sind wirklich Menschen, die auch in der Zwischenzeit Gewerkschaftsmitglied sind und sich engagieren.“ Besonders ironisch ist aber Ruckerts Kommentar, wenn er sich an den ehemaligen OGBL-Präsidenten John Castegnaro mit einem Lächeln zurückerinnert. „Castegnaro sagte einst: ‚D’Kommunistesch Partei passt an eng Schungkëscht.‘ In der Zwischenzeit ist die Schuhkiste ein wenig größer geworden als damals.“

Edoardo TIBERI
5. Oktober 2017 - 7.43

Herr Monavisa, Die Linke macht zur zeit das Rennen, ja das sehe ich konkret in Griechenland und anderswo. Die Linke ist nur ein Trampolin für die Rechte. Schönen Tag. P.s. Normalerweise schreibe ich nicht mit Menschen die sich hinter einem Anonymat verstecken, aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.

Edoardo TIBERI
4. Oktober 2017 - 15.21

erratum: Die Linken sind eine Erfindung des Liberalismus um eine gerechte Gesellschaft im Namen des Volkes zu verhindern.

Edoardo TIBERI
4. Oktober 2017 - 15.19

Frau Monavisa, Die Kommunistische Partei Luxemburg ist eine offene fortschrittliche Partei. Die Mitglieder des linken Sammelsurium können sehr gerne bei uns aktiv werden. Ich erinnere Sie daran, dass in Griechenland die Linke regiert und hat den griechischen Kapitalismus gerettet. Mit solchen linken glaube ich nicht zusammenzukommen auch dass diese linke eine Schwesterpartei der linken in der EU ist. Die Linke wie sie sich selber definiert, ist eine bessere lsap. Die Mitglieder dieses Sammelsurium die mit Herz eine Veränderung wollen sollen die Einheit in der kommunistischen Partei stärken, alles andere ist eine Schwächung in Richtung gerechte Gesellschaft. Raten Sie mal was in Griechenland bei den nächsten Wahlen stattfinden wird. Das alleine ist Bestätigung genug. Im übrigen, in den letzten Tagen haben auch die Journalisten in Griechenland gestreikt aber bis heute habe ich noch keine Entschuldigung der Linken gegenüber der KPL gelesen als diese die lénk gewarnt hat, sich nicht so euphorisch hinter Syriza zu etablieren. Die Linken sind eine Erfindung des Liberalismus um eine gerechte Gesellschaft im Namen des Volkes zu errichten.