„Du bist doch ein Berufspolitiker“

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Grünen-Politiker François Benoy über Wahlkampf und das Privatleben

„Das war jetzt bestimmt viel zu viel.“ François Benoy lacht. Der Grünenpolitiker ist noch nicht so abgeklärt wie die älteren Semester. Wo die Politschwergewichte druckreif formulieren, erzählt Benoy einfach drauf los. Was bei Interviews für Politiker problematisch sein kann, ist beim Hintergrundgespräch ideal. Es ermöglicht den Einblick in die Gedankenwelt eines Kandidaten. Er kann frei erzählen, ohne sich ständig um jedes Komma sorgen zu müssen.

„Ich bin Vater, mein Sohn ist jetzt zwei Jahre alt. Es ist momentan heftig, weil ich ihn nicht wirklich viel sehe. Auch im Job ist es quasi unmöglich, normal zu arbeiten“, beschreibt Benoy. Er beklagt sich nicht. „Ich habe mit meinem Chef vereinbart, dass ich während der heißen Phase des Wahlkampfs höchstens einen Tag pro Woche arbeite.“

Benoy war die letzten vier Jahre bereits „Conseiller“ in Luxemburg-Stadt. Er weiß, was ein kommunales Mandat bedeutet. „Mein ‚congé politique‘ reicht knapp, damit ich die Arbeit früher verlassen kann, um an Kommissions- und Gemeinderatssitzungen teilzunehmen, die abends stattfinden. Aber die ganze Vorbereitungsarbeit und alles, was mit der Lokalsektion zu tun hat, läuft nebenbei.“

Andere Arena

Doch der Wahlkampf ist nochmal eine ganz andere Arena als die tägliche Kommunalroutine. Jeder hat seine Projekte, kennt das Koalitionsabkommen, weiß, wofür er sich einsetzen und wie er punkten kann – doch im Kampf um die Stimmen ist alles offen. Wer nicht aus einer der luxemburgischen Politikerdynastien kommt, ein Promi ist oder ein sonstiges medienwirksames Mandat bekleidet, muss sich besonders anstrengen, um das Wahlvolk auf sich aufmerksam zu machen. „Den Wahlkampf muss man selbst machen. Man muss abends zu den Leuten gehen. Wir haben dieses Mal vier Wahlversammlungen, v.a. Stände und ‚Cargo Bikes‘, mit denen wir uns irgendwo in der Gemeinde hinstellen und die Menschen konkret ansprechen.“

„Wir haben zwar ein wenig Unterstützung von der Partei, um die Plakate herstellen zu lassen. Aber ansonsten machen wir alles selbst. Wir haben uns vor einem Jahr Gedanken gemacht, welches Budget wir benötigen, wie wir die Liste zusammenstellen usw. Danach hatten wir vier, fünf Workshops, die ganze Abende oder gar Tage dauerten, um das Wahlprogramm auszuarbeiten.“

Heiße Phase hat begonnen

Erst im Juli ging es richtig los, mittlerweile ist die heiße Phase des Wahlkampfs angesagt. Ein- bis zweimal pro Tag zieht Benoy mit seinem Team durch Luxemburg-Stadt, um für seine Ideen zu werben. Doch es bleibt nicht dabei. „Jetzt kommt alles zusammen: Facebook, die Print-Arbeit für die Flyer, die Organisation der Stände, Pressearbeit usw.“
Dass solch ein Lebensrhythmus nicht ohne Folgen bleibt, zeigt sich immer deutlicher. „Für die Familie versuche ich immer noch, die maximale Zeit, die mir bleibt, zu nutzen. Aber viele Freundschaften leiden unter diesem Lebensstil“, bedauert Benoy.

Der Politiker sieht das Ganze sportlich. Er finde es nur schade, dass die meisten Menschen sich eigentlich gar nicht bewusst seien, wie das Leben eines Kommunalpolitikers aussehe. Viele glaubten, er würde Vollzeit als Politiker arbeiten. „Sie sagen: ‚Du bist doch ein Berufspolitiker.‘ Das stimmt natürlich nicht. Deswegen ist der Wahlkampf so wichtig, um sich direkt mit den Menschen austauschen zu können.“ Viele meinten, dass einfach ein Wahlprogramm umgesetzt werde. Dabei seien es gerade die vielen Kompromisse, die erst zu einem Konsens in der Gemeindepolitik führten.

Ein Drahtseilakt

„Wir haben bereits seit einer Weile mit der DP die Mehrheit in Luxemburg-Stadt. Es gibt aber auch Projekte, die wir nicht in die Wege geleitet haben, vielleicht auch nicht unbedingt gut finden und verbessern wollen. Aber wir können sie nicht von null auf ändern. Man hat ja auch einen Koalitionspartner.“

„déi gréng“ seien der kleine Partner. Man könne viele Impulse geben, aber in einer Koalition finde die grüne Politik im Rahmen des Schöffenrats statt. „Es ist nicht das grüne Wahlprogramm, das eins zu eins umgesetzt wird.“

Auch mit Blick auf die „Députés-maires“ äußert sich Benoy deutlich. „Wenn ich sehe, wie viele Herausforderungen wir in Luxemburg-Stadt haben, finde ich, dass der Bürgermeister ein hauptberufliches Mandat sein muss.“ Allerdings könne er nicht für andere Gemeinden und Dörfer sprechen.

Prinzipiell glaubt er, dass auch der Job des Abgeordneten ein Vollzeitberuf sein müsse. Dennoch gilt auch hier wie bei allen anderen Verbesserungsvorschlägen im politischen Leben: Solange die anderen nicht mitmachen, tut sich überhaupt nichts. „Wir könnten uns als Grüne jetzt nicht leisten, zu sagen: ‚Niemand, der bei uns kommunalpolitisch aktiv ist, geht jetzt mehr mit in die Nationalwahlen.'“

Kommunalpolitik bleibt ein Drahtseilakt

Und so bleibt Kommunalpolitik ein Drahtseilakt. Wer es parteiintern und bei Wahlen schaffen will, muss kollegial, aber bestimmt an seinem Profil arbeiten. Benoy ist sich dieser Herausforderungen bewusst und redet respektvoll über die grüne Mitstreiterin und Spitzenkandidatin: „In Luxemburg-Stadt ist Sam Tanson seit vier Jahren Schöffin, sie war vorher ‚Conseillère‘. Sie ist bekannt. Ich bin im Vergleich weniger bekannt. Jetzt können die Leute sagen, dass wir weniger Chancen haben, weil uns Politschwergewichte wie François Bausch und Viviane Loschetter fehlen. Andererseits wird immer davon gesprochen, dass wir Erneuerung brauchen.“

Doch nicht nur parteiintern gibt es diese Widersprüche und Zwänge. Wer in Luxemburg-Stadt Wahlkampf betreibt, hat es mit einer komplexen Situation
zu tun. „Die Leute in Luxemburg-Stadt zu erreichen, ist schwierig.“ Weshalb dem so ist, verdeutlicht François Benoy an einer Handvoll Zahlen.

Schwerer Wahlkampf in Luxemburg-Stadt

„Es gibt 114.900 Einwohner. Davon sind 70,81 Prozent Ausländer und 29,19 Luxemburger. Es gibt 34.113 Wähler in Luxemburg-Stadt. Von ihnen sind 6.307 Ausländer. Jetzt habe ich noch nicht die Menschen hinzugezählt, die jeden Tag zu uns arbeiten kommen. Am Tag hat Luxemburg-Stadt über 200.000 Menschen, die hier arbeiten. Während der Nacht sind es etwas mehr als die Hälfte davon.“ Diese Situation erschwere den Wahlkampf in Luxemburg-Stadt um ein Vielfaches.

Benoy kritisiert zudem das demokratische Defizit, das sich aus der aktuellen Gesetzeslage ergebe. „Das hat mir die Wahlkampagne noch einmal bestätigt: Es ist eigentlich eine Minorität in Luxemburg-Stadt, die bei den Wahlen politisch mitbestimmt.“

Er habe dies bei seiner Kampagne bemerkt. Seine Partei erreiche viele Menschen, die eigentlich nicht wahlberechtigt seien. „Facebook kennt das Luxemburger Wahlrecht nicht. Den Leuten, die zu unseren Ständen kommen, ist es auch egal“, lacht der Politiker. Und weiter: „Deswegen ist die aktuelle Situation eigentlich eine Katastrophe. Das kann nicht so weitergehen. Die Residenzklausel für Ausländer ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“

Centser
5. Oktober 2017 - 15.39

Frau Emma, Ach hoeren Sie doch auf... "Es gibt 114.900 Einwohner. Davon sind 70,81 Prozent Ausländer und 29,19 Luxemburger. Es gibt 34.113 Wähler in Luxemburg-Stadt. Von ihnen sind 6.307 Ausländer." Was haben sie an diesen Zahlen nicht verstanden? Soll das demokratisch sein? Die Zahlen sprechen fuer sich... Die "Luxemburger Demokratie" ist ihres Namens laengst nicht mehr wuerdig. Luxemburger Oligarchie waere wohl angemessener...

Emma
3. Oktober 2017 - 19.16

Herr Benoy Ich kann das Geschwafel von Euch Politikern und das Ausländerwahlrecht nicht mehr hören! Ist ein Land wie Deutschland undemokratisch weil auch nur ein gewisser % wählt ( weil es freiwillig ist )? a) Die meisten Ausländer können und dürfen wählen ( Gemeinde) , sie müssen nur einige Formalitäten machen. Wenn das Wahlrecht wie saures Bier angepriesen werden muss, dann ist das unerträglich und eine Blamage für das jeweilige Land! Vielleicht nehmt Ihr vielleicht einfach zur Kenntnis, dass viele Ausländer/Grenzgänger kurzfristig oder länger in Luxemburg arbeiten und leben wollen, was legitim ist und beiden Seiten etwas bringt und völlig ok ist! b) Wäre bei den Luxemburgern keine Wahlpflicht, dann käme ein noch geringer Prozentsatz raus, würdet Ihr dann keine Wahlen mehr machen, weil undemokratisch? c) Ausländer die sich nicht Luxemburger machen wollen, was auch ok ist, und auf ihre Nationalität beharren oder stolz sind, sind auch nicht wesentlich an politischen Entscheidungen interessiert, es sei denn es würde sie persönlich betreffen. d) Da sowieso viele Gesetze auf europäischer Ebene geschehen und alle an der Europawahl teilnehmen können außer Drittländer, sowie bei Sozialwahlen Chambre des salariés , alle Mitarbeiter wählen können, steht wohl außer Frage, dass der nicht Luxemburger der will, an vielen Prozessen teilnehmen kann, wenn er will! e) Das was Ihr Politiker erreicht mit dieser ewigen leidigen Diskussion, dass an dem Tag, wo in Luxemburg eine AFD ähnliche Partei aufschlägt, ganz dumm aus der Wäsche schauen werdet. Ich glaube Ihr habt das Resultat vom Referendum schon vergessen und was noch viel schlimmer ist, nichts verstanden! Die Luxemburger sind mehr als tolerant, doch man kann den Bogen auch überspannen und dann ist es meistens zu spät! Und an die Gemeinde der Stadt Luxemburg welches eine CITY Zeitung rausgibt in französischer und englischer Sprache! Wo bleibt die luxemburgische und deutsche Sprache?