Die Senioren-WG-Initiative „Beienhaus“: Wie in Luxemburg Alternativen zum Altenheim entstehen

Die Senioren-WG-Initiative „Beienhaus“: Wie in Luxemburg Alternativen zum Altenheim entstehen

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Der Satz „das Dorf wird es schon richten“ gilt heute nicht mehr. Auch spukt in vielen Köpfen von Mittfünfzigern und noch älteren Menschen das negativ geprägte Bild von einem reglementierten Alltag im „Altenheim“ herum. Gibt es eine andere Perspektive? Gibt es. Joëlle Schuster (65) will eine Senioren-WG im Land gründen.

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Wiebke Trapp

„In westlichen Ländern sterben mehr Menschen an Isolation als an Alkohol oder Nikotin“, sagt Simon Gross, Direktor des „Center fir Altersfroen“ (RBS) in Itzig. Das ist mittlerweile auch in der Politik angekommen. In Großbritannien wurde gerade erst ein „Ministry of Loneliness“ eingerichtet. In Luxemburg entstehen zunehmend Mehr-Generationen-Projekte, die junge und ältere Menschen zusammenbringen sollen, und werden staatlich gefördert.

Joëlle Schuster

Entscheidung mit viel Klärungsbedarf

Für Joëlle Schuster ist das allerdings keine Alternative. Sie will mit Gleichaltrigen zusammenleben. Auch sie fürchtet die Perspektive „Foyer“, will gleichzeitig aber ihren zwei erwachsenen Kindern die Sorge um sie abnehmen. Damit steht sie nicht alleine da. „Die heutige Generation 50+ hat verstanden, dass in einer mobilen Welt nicht mehr zu erwarten ist, dass die Kinder im Alter bereit stehen“, sagt Gross. Und noch eine Erkenntnis macht sich breit. „Es ist in dieser Generation auch angekommen, dass man mit 50+ noch relativ lange zu leben hat.“

Beispiele

„PasSages“ in Soignies bei Brüssel

www.habitat-groupe.be/habitat-alternatif/habitat-ecologique/pas-sages/

www.abbeyfield.be

www.amaryllis-bonn.de

www.gemeinsam-wohnen-im-karmel.de

voormekaar.wordpress.com

Joëlle Schuster erging es so. Mit diesen und ähnlichen Gedanken fand sie sich in ihrem mittlerweile abbezahlten, für sie zu großen Apartment in Mamer wieder mit der Aussicht auf leere, einsame Abende. Pensioniert, geschieden, Kinder aus dem Haus und eine liebevolle „Bomi“, aber trotzdem nicht ausgefüllt. Und in der Ferne winkte die Aussicht auf ein Alter im „Foyer“ mit Tanz-, Sing- oder Bastelnachmittagen. Das sollte sich ändern. „Ich bin allein, aber ich will nicht alleine alt werden“, sagt sie. Daraus entwickelt sich mit der Zeit die Idee, Gleichgesinnte um sich zu scharen und etwas Neues, Selbstbestimmtes zu entwickeln. Aus dem umliegenden Ausland holt sie sich Inspirationen. „Beienhaus“ nennt sich die Initiative um rund zehn Personen, die Senioren-WGs im Land etablieren will.

Lange Vorbereitungszeit

Zu klären ist vieles. „Die Frage ist nicht, wie viel Gemeinschaftsraum, wie viel Privatsphäre“, sagt Altersexperte Simon Gross, „sondern die entscheidende Frage ist, ob man mit denjenigen die nächsten zehn, 20 oder vielleicht auch 30 Jahre verbringen will und kann.“ Das weiß auch WG-Pionierin Schuster. Viele gemeinsam verbrachte Wochenenden, Ausflüge und private Besuche liegen hinter ihr und den anderen. Die ersten Projekte, zehn Kilometer von der Stadt entfernt und in Consdorf, nehmen konkrete Formen an. „Ich kann nur jedem, der so etwas will, dazu raten, früh genug anzufangen“, sagt sie, „wir sind jetzt schon zwei Jahre dabei und wenn wir Glück haben, steht das Projekt in drei, vier Jahren.“

Ab einem gewissen Alter läuft die Zeit. „Wir wollen das ja machen, solange es noch geht“, sagt sie – trotz vieler nicht berechenbarer Faktoren. Wie die Menschen sich im Alter entwickeln, ist so unterschiedlich wie die individuellen Lebenswege. „Vielleicht möchte jemand mit 80 nicht mehr gemeinsam kochen und dauernd Leute um sich haben“, sagt RBS-Direktor Gross, „vielleicht hat die Person aber mit 80 Jahren noch Lust auf eine Weltreise.“

Das muss im Vorfeld, soweit es geht, geregelt werden. Genauso wie der Fall, dass ein Mitbewohner stirbt. Schuster hat für sich festgelegt, dass ihre Mitbewohner zwei Jahre Zeit haben, einen neuen Bewohner zu finden, bevor das Apartment von ihren Kindern verkauft werden darf. Demenz oder Alzheimer sind weitere Unwägbarkeiten. „Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen werde, wenn ich dement bin“, sagt Gross, „ich weiß nur, wie andere das sehen.“ Dafür gibt es auch bei „Beienhaus“ noch keine Lösung.

WGler müssen doppelt motiviert sein

In Luxemburg müssen potenzielle WGler zudem doppelt motiviert sein. Es fehlt an Möglichkeiten, diese Lebensform auszuprobieren. Vier von fünf Menschen in Luxemburg, die älter als 65 Jahre sind, haben nach Angaben von Statec ein Eigenheim. „Man muss hier viel Geld in die Hand nehmen und eine Immobilie kaufen, bauen oder umbauen“, sagt Altersexperte Gross zu den WG-Plänen. Schuster weiß das und bringt noch etwas anderes ins Spiel. „Die Lage muss stimmen“, sagt sie, „eine nahe Grundversorgung mit Ärzten, Apotheken, Supermärkten und öffentlichem Nahverkehr ist wichtig.“ Sie will außerdem im Zentrum des Landes bleiben, andere wollen ihr angestammtes Wohngebiet in anderen Teilen des Landes nicht verlassen.

Das Thema „Senioren-WG“ ist mittlerweile so aktuell, dass es auch die Filmindustrie für sich entdeckt hat. Andy Bauschs „Rusty Boys“ oder „Wir sind die Neuen“ sind zwei der bekanntesten Beispiele aus jüngster Zeit, deren Wohnprojekte allerdings weiter gehen als „Beienhaus“. Zusammen selbstverwaltet in einem Haus wohnen, aber mit der Möglichkeit, sich in seine eigenen vier Wände zurückzuziehen und trotzdem in der Gemeinschaft aufgehoben sein, das wollen die „Bienen“. Pionierin Schuster schaut optimistisch in die Zukunft: „Ich glaube an dieses Projekt und weiß, dass es gut wird.“


Zahlen und Fakten

Die Gesellschaft verändert sich. Das lässt sich an Zahlen festmachen. Zwischen 1946 und 2017 ist laut Statec-Angaben die Lebenserwartung der Männer von 61,7 auf 79,9 Jahre gestiegen. Bei den Frauen sieht es ähnlich aus: 1946 wurden sie im Durchschnitt 65,8 Jahre alt, 2017 lag die Lebenserwartung schon bei 84,4 Jahren. 2040 soll der Anteil der über 65-Jährigen bei 20 Prozent der Gesamtbevölkerung liegen. Auch steigen die Scheidungsraten in diesem Alter.

Für das Jahr 1950 verzeichnet Statec gerade mal eine Scheidung im Alter zwischen 60 und 69. 2015 waren es 107 Paare, die sich im gleichen Alter scheiden ließen, und 2017 immer noch 91 Paare. Einer Statec-Studie aus dem Jahr 2014 zufolge nennen 70,8 Prozent der Einwohner Luxemburgs die vier Wände, in denen sie wohnen, ihre eigenen. Aus derselben Studie geht hervor, dass vier von fünf Erwachsenen im Alter von über 65 Jahren Eigentümer sind. Statec macht das an der Tatsache fest, dass Menschen aus dieser Altersgruppe äußerst selten noch einen Immobilienkredit abzahlen.


„Nouma“

Emma Zimer ist die Gründerin von „Nouma“ und hat sich der Aufgabe verschrieben, wohngemeinschaftswillige Personen zusammenzubringen und die Projekte zu begleiten. Das „Beienhaus“ ist ein Resultat ihrer Arbeit. „Jede Wohngemeinschaft ist anders“, sagt Zimer, „so unterschiedlich wie die Menschen, die darin zusammenleben.“ Die erst 2016 gegründete Sàrl. ist ein Start-up. Zimer ist ausgebildete Ökonomin und kümmert sich auch um geeignete Wohnobjekte und die Abwicklung bzw. den Aus- und Umbau im Sinne der künftigen Bewohner.


 

Gilles Hoffmann
27. Oktober 2018 - 14.34

Seit einigen Jahren bin ich sehr offen zu dieser Thematik, aber es gibt (fast) keine InitiatorInnen zu einzelnen Projekten. Hier fehlt eine Anlaufstelle oder eine Kontaktperson. Ich glaube, es gibt viele ältere Menschen, die eine Alternative zum jetztigen Alt- und Abgeschoben-werden, suchen.

Pir
24. Oktober 2018 - 16.16

Wann een d'Haus/Appartement réicht nom Doud verkeeft gin et 10% Steiren op Plus-Value, sou pervers et och kléngt.

Emma
24. Oktober 2018 - 13.42

Jeden kann im Alter selbst für sich entscheiden was er machen will. SeniorenWohngemeinschaft ist eine neue Alternative die es bis jetzt nicht gab. Sie setzt den Mensch wieder in den Mittelpunkt. Wenn jemand Hilfe braucht im späten Alter dann kriegt er die von draußen als wäre es bei sich im Haus. Hier hat man eben Nachbarn die mann kennt und die einen unterstützen können und als Resultat hat es dass mann der Einsamkeit aus dem Weg geht. Um sich die besten Chancen zu geben etwas aufzustellen was funktioniert lässt man sich beraten und daran arbeitet Nouma schon mehr als 2 Jahre jetzt.

Laird Glenmore
24. Oktober 2018 - 10.46

Ich halte diese Idee für nicht gut, alte und ältere Menschen werden im fortgeschrittenen Alter schrullig und zickig, bei einer sogenannten Alten WG ist der Ärger und die Unzufriedenheit schon vorprogrammiert und wartet nur auf eine Gelegenheit sich zu entfalten, ältere Menschen sind da wie kleine Kinder wenn sie ihren Willen nicht bekommen fangen sie an zu schmollen bis hin zum Aggressivität. Wie soll denn die Betreuung sein wenn einer der Mitbewohner krank wird oder Bettlägerig oder medizinische Hilfe braucht kümmern sich die anderen darum ich denke nicht weil sie darin keine Erfahrung haben. Meiner Meinung nach wäre es besser die horrenden Kosten in den Pflegeheimen zu senken statt den Rentnern und deren Familie das Geld aus den Taschen zu ziehen, ich persönlich fände betreutes Wohnen in den eigenen vier Wänden durch geschulte Hausangestellte besser statt diese Menschen aus der gewohnten Umgebung zu entfernen nur weil die Kinder das oder die Häuser haben wollen oder sogar ihre eigenen Eltern aus lauter Geldgier unter Vormundschaft stellen. Wie sagt der Volksmund " ALTE BÄUME VERSETZT MAN NICHT ", da ist doch die Isolation schon vorprogrammiert. Der Staat schmeißt soviel Geld für unnützes zum Fenster heraus, man sollte lieber Geld in wohltätiges Wohnen für die ALTEN investieren denn schließlich haben diese Menschen mitgeholfen Luxemburg zu dem zu machen was es heute ist und wenn das der Dank ist, na denn.

Jang
24. Oktober 2018 - 8.34

Weil die Politik nichts für ältere Leute tut, müssen leider diese Menschen nach eigenen Alternativen suchen,Wohn- Ghetto ist vorprogrammiert, armseliges reiches Luxusburg, Steuergelder werden nach wie vor verschwendet für unützige Projekte. All Kommentare sind überflüssig.