Samstag18. Oktober 2025

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„Macht gesund und reich“

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Ein neuer Energy Drink macht die Runde. Er heißt „Verve“. In Läden kann man ihn nicht kaufen. Aber reich werden damit, das geht. Gesund ist er obendrein. Das behauptet zumindest der Hersteller.

Mit einem Energy Drink reich werden? Ja, das geht, glauben die Jugendlichen, die zu Vertriebspartnern werden und ihre eigene Revolution, ihren Lifestyle ausgerufen haben: die „Young People Revolution Europe“ (YPRE). Das Ganze riecht nach Schneeballsystem. Eine Spurensuche.

„Vor einem Jahr hat mich mein amerikanischer Freund Kenny über Facebook kontaktiert, um mir eine Business-Idee vorzuschlagen. Am Anfang war ich skeptisch und habe mich im Internet über die Produkte informiert“, erzählt der 20-jährige Giacomo, der vor etwa einem Jahr als erster Luxemburger als Vertreter bei „Vemma“ einstieg, und den wir auf einem YPRE-Treffen der Firma begegnen, die die Energy Drinks herstellt.

Multi-Level-Marketing

Seit 2004 expandiert die amerikanische Firma „Vemma“ ihr Verkaufsgebiet. Seit einer Weile ist sie auch in Luxemburg angekommen. Und wie. Ihre Produkte werden weder in Läden verkauft noch gibt es bunte Werbeplakate mit orangefarbenen Dosen. Genau hinter dieser Abwesenheit von Werbung steckt das Gewinnprinzip von „Vemma“: Vertrieben werden die Produkte nur online oder über Vermittler, die in den letzten Jahren ein Netzwerk in der ganzen Welt gesponnen haben. Multi-Level-Marketing nennt sich diese Strategie. Doch steckt mehr dahinter. Im Vordergrund des Systems steht nämlich die um das Produkt und dessen Vertrieb entstandene Jugendbewegung „Young People Revolution Europe“. Diese wiederum kämpft, erneut vordergründig, für die finanzielle Autonomie von Studenten.

Eigentlich zu einfach, um wahr zu sein

Doch wie funktioniert etwas, das eigentlich zu einfach ist, um wahr zu sein? Zuerst ist man nur Kunde und bestellt Drinks im Wert von etwa 120 Euro. Schon beginnt die Karriere als Privatpartner von „Vemma“. Bei der Einschreibung erhält man eine eigene Website und Handy-Applikation.

„Wir konsumieren und verteilen die Dosen, verkaufen sie aber nicht. Die Produkte werden nur online über die Webseite der Firma verkauft“, erklärt Giacomo. Der nächste Schritt: Man baut sich sein eigenes Kunden- und Vertreter-System auf. Jeder neue Interessent, den man ins Programm einschreibt und der selbst Bestellungen aufgibt, bringt einem Punkte. Diese Punkte werden von der Firma finanziell vergütet. Es gilt also, weitere Jugendliche durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu überzeugen, das Gleiche zu tun. So entsteht ein Netzwerk an Vertriebspartnern; alle sind miteinander verknüpft, alle zusammen sollen so für ein passives Einkommen sorgen. Willkommen im Vemma-Schneeballsystem.

Hauptvertreter der Marke sind junge Studierende zwischen 18 und 25 Jahren. Soziale Netzwerke wie Facebook, aber auch Skype und Youtube spielen bei der Verbreitung der „Vemma-Revolution“ eine große Rolle. Sie sind der einfachste Weg, andere Jugendliche zu erreichen.

Neben den „gesunden“ Produkten – sie sind als Nahrungsergänzungsmittel gekennzeichnet – lockt vor allem das Erfolgsversprechen, durch Einsatz schnell zu Geld zu kommen; ohne besondere Vorkenntnisse oder Schulung, mit Motivation als einziger Voraussetzung. „Je mehr du dich reinkniest, desto erfolgreicher wirst du sein“, umschreibt der 20-jährige Giacomo das System. Dass der Erfolg der einen auf dem Verlust anderer aufbaut, interessiert die Studenten wenig. Die italienische Konkurrenzbehörde interessierte dies schon. Mit der Folge, dass die Firma in Italien zu einer Geldstrafe über 100.000 Euro verklagt wurde. Wegen ihrem vermeintlich illegalen Pyramiden-Schema-System.

Auf den Treppen hinter der Coque sitzen mittlerweile mehr als 60 junge Zuhörer, die der Einladung Giacomos und seiner „Geschäftspartner“ zum „Vemma“-Treffen gefolgt sind.

„Anfangs waren wir nur zu dritt. Mittlerweile haben wir ein Netzwerk von über 200 Leuten in Luxemburg aufgebaut“, berichtet Manu, der seit etwa fünf Monaten im Geschäft ist und nun die Tausendergrenze beim monatlichen Einkommen erreicht hat. Auch Kenny hat in der Zwischenzeit einen so hohen Rang erreicht, dass er genug verdient, um sich ein nicht gerade billiges Auto leasen zu können. Bisher konnten Kenny und die anderen Vertreter sich ein steuerfreies Zusatzgehalt mit „Verve“ verdienen. Bald müssen sie ihren Verdienst versteuern. Mit ihrem Gehalt haben sie den Status eines autonomen Unternehmers erreicht.

Neben Open-Air-Events wie dem hinter der Coque treffen sich die YPRE-Mitglieder in Jugendhäusern. Hier finden Video-Konferenzen mit Vemma-CEO BK Boreyko und weiteren amerikanischen Vertretern der Firma statt. Hier werden die neuen Kunden angeworben. „Die Gemeinde und Leitung der Jugendhäuser haben nichts mit diesen Veranstaltungen zu tun. Wir stellen den Jugendlichen nur die Räumlichkeiten zur Verfügung“, erklärt ein Erzieher aus Eich die ungewöhnliche Nutzung öffentlich subventionierter Einrichtungen, die Jugendhäuser nun einmal sind. Na denn. In Luxemburg-Stadt scheint man da strikter zu sein: „In einem Jugendhaus dürfen in der Regel keine Veranstaltungen mit kommerziellem Gewinnzweck stattfinden. Das Verkaufsmodell, das hier durchgeführt wird, ist in unseren Augen fragwürdig“, heißt es aus Luxemburg-Stadt.

Kritik oder Zweifel werden weggebügelt

Doch was kümmert das die „jungen Revolutionäre“. An ihre Idee, an ihr Produkt lassen sie nichts ran. Im Gegenteil: Manu und seine Arbeitskollegen sind überzeugt von der positiven Wirkung der Produkte auf Körper und Geist. „Welcher andere Energy Drink enthält 65 Mineralien, die ein ausgewogenes Frühstück ersetzen können?“ Dass „Verve“ eine ähnliche Dosis Koffein enthält wie etwa die Konkurrenzprodukte wie „Red Bull“ oder „Monster“, scheint sie nicht weiter zu stören. Sogar manche Eltern haben sich nach anfänglichen Sorgen von „Verve“ überzeugen lassen. Manus Eltern etwa sind treue Kunden des Drinks.

Von offizieller Seite aus Informationen über Verve zu bekommen, stellt sich als schwierig heraus. Trotz mehrfacher Nachfrage bei unterschiedlichen öffentlichen Stellen fühlte sich kaum einer von der Sachlage betroffen. Luxemburg habe zu wenig Erfahrung mit solchen Marketing-Strategien, die Produkte seien ihnen nicht bekannt, so die Antworten auf Fragen nach Legalität des Systems und Qualität des Drinks.

Aus dem Wirtschaftsministerium hieß es aber: „Das Marketing-Schema der Firma kann auf EU-Basis nicht angeprangert werden, da sich Verkauf sowie Sitz der Firma in den USA befinden. Einzig bei Falschaussagen über die Produkte würde sich das Unternehmen strafbar machen. Für die Vertreter gibt es jedoch in dieser Hinsicht wenig Risiken, da sie als Privatleute und Konsumenten fungieren und sich nicht auf professionellem Niveau bewegen.“ Doktor Simone Steil vom Gesundheitsministerium zweifelt die Produktangaben des Herstellers an. „Die Informationen, die man auf ihrer Webseite über das Getränk findet, scheinen sehr selektiv und teilweise sogar unwahrhaftig zu sein.“

Durchbruch

Das geschlossene Auftreten der Mitglieder kann auf Außenstehende einschüchternd, fast sektenähnlich wirken. In Internet-Foren distanzieren sich „Eingeweihte“ ganz deutlich von Vemma-Skeptikern. Wer sich bemüht, die Vemma-Produkte verteidigenden User zurückzuverfolgen, wird schnell fündig – und zwar bei der Firma selbst. Auch fallen die sich extrem ähnelnden Aussagen auf, welche immer wieder die gleichen Beispielsätze zitieren. Ausformulierte Antworten auf die meistgestellten Fragen stellt die Firma den Jugendlichen praktischerweise in ihrer Online-Bibel zur Verfügung. „Der Name dieses Kapitels soll geändert werden, da es sich wirklich ein wenig komisch anhört“, findet auch Manu diese Masche zu offensichtlich, hat das Vemma-Jargon aber bereits in seine Sprache integriert. Er und seine Mitstreiter haben schnell gelernt, mit welchen Worten sie „Vemma“, also den Drink und die Jugendbewegung, für andere verlockend beschreiben können. Beispiel gefällig? Auf die Frage, ob in ihrer Bewegung Konkurrenz herrscht, antworten die beiden Studenten, dies sei nicht der Fall. Alle würden sich gegenseitig helfen. „Young People Revolution Europe ist eine Bewegung, mit der sich viele Jugendliche identifizieren können“, meint Manu.

Nach dem Motto „Don’t be the King, be the King-maker“, erhoffen sich die Luxemburger Studenten einen Durchbruch in Europa und beschreiben „Vemma“ als „The next Facebook“. „Wir Jugendlichen aus Luxemburg haben den Vorteil, dass wir mehrere Sprachen beherrschen und so problemlos mit jungen Leuten aus anderen Ländern kommunizieren können. Ich bin jetzt ein Jahr lang durch Kroatien gereist, um unsere Idee zu verbreiten. Eine andere Gruppe ist gerade auf dem Weg nach Innsbruck“, meint der abenteuerlustige Giacomo.

Da sich das System in Europa noch in der Anfangsphase befindet, haben Einsteiger einen Vorteil. Jedoch fehlen auch die Erfahrungswerte, was Nachteile oder etwaige Gefahren angeht. „Ich bin davon überzeugt“, so Manu, „dass in zehn Jahren jeder unser Produkt konsumiert.“ Ob am Ende jeder als „King“, als Gewinner aus dem „Verve“-Abenteuer hervorgeht, bleibt unbeantwortet. Es wäre zu schön, um wahr zu sein.