Frankreich setzt sich an die Spitze

Frankreich setzt sich an die Spitze
(Jean-Claude Ernst)

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Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron setzt sich an die Spitze der Stahl-Verteidiger in Europa. Am kommenden Montag wird er an der europäischen Stahlkonferenz in Brüssel teilnehmen.

Stahl hat für Frankreich eine besondere Bedeutung. Das Land liegt an der Spitze der Stahlproduzenten in Europa und hat in den Stahlkrisen seit den 70er Jahren einen hohen Tribut im Verlust an Arbeitsplätzen und Produktionsstätten bezahlt. Im Vergleich pro Kopf der Bevölkerung hat nur Luxemburg einen höheren Tribut bezahlt.

Die europäische Stahlindustrie produziert etwa 210 Millionen Tonnen Stahl im Jahr. Das sind bei der derzeitigen Nachfrage auf dem Kontinent nach Angaben des Verbandes Eurofer etwa 40 Millionen Tonnen zu viel. Diese 40 Millionen Tonnen bedeuten 70.000 Arbeitskrfte im Stahlsektor in Europa nach Eurofer Angaben. Arbeitskräfte, deren Job auf Dauer nicht mehr sicher sein könnte. Unter Druck steht die Stahlindustrie aus zwei Gründen: Russische, aber vor chinesische Importe aus der Überschuss-Produktion des Landes und europäische, politische Umweltvorgaben, die die Stahlproduktion so teuer macht, dass sie droht „in Europa Stahlproduktion unmöglich zu machen“, sagt ArcelorMittal Finanzchef Aditya Mittal.

Überproduktion von 410 Millionen Tonnen

Die europäische Stahlindustrie warnt seit mehr als einem Jahr vor einer Überflutung des Weltmarktes mit chinesischen Stahlprodukten. In China gibt es eine Überproduktion von etwa 410 Millionen Tonnen Stahl. Das entspricht beinahe der doppelten europäischen Jahresproduktion. Da China eine Strukturreform seiner Stahlindustrie nicht vornimmt, vagabundieren 410 Millionen Tonnen Stahl über den Erdball und suchen Absatzmärkte. In den jeweils nationalen Märkten fordern die Unternehmen von ihren Regierungen, sie vor den chinesischen Produkten zu schützen. Das gilt für Europa, für die USA, für Brasilien, aber auch für Nordafrika. Ein Weltstahlkonzern wie ArcelorMittal vertritt diese Forderungen in allen Fällen. Das kann zu der absurden Situation führen, dass die USA beispielsweise Schutzzölle gegen europäische Stahlprodukte erheben, obwohl der Protest sich gegen China richtet.

Wirklichen Erfolg hatten die europäischen Stahlproduzenten in Brüssel mit ihren Wünschen im vergangenen Jahr nicht. Die Situation musste dramatisch werden. ArcelorMittal machte in Europa Verlust und schrieb einen Milliardenverlust für den Konzern. Andere europäische Hersteller melden Schwierigkeiten. ArcelorMittal stellte den Strom in einem Elektrostahlwerk in Spanien ab. Der indische Produzent Tata will seine europäische Langstahlsparte verkaufen, darunter ein hochspezialisiertes Werk im lothringischen Hayange, in dem unter anderen Schienen für TGV Trassen hergestellt werden. Das Bremer ArcelorMittal integrierte Stahlwerk meldet wegen des Preisverfalls durch die chinesische Konkurrenz extreme wirtschaftliche Schwierigkeiten, was in der Hansestadt alle Warnlampen zum Leuchten bringt.

In Lothringen gibt es Gefahren durch die chinesischen warmgewalzten Coils, weil dort dieselben Produkte für die Automobilindustrie hergestellt werden. Und das von der lothringischen Familie Wendel einst in Fos erbaute Stahlwerk sieht sich mit seinen in den Mittelmeer Raum exportierten Produkten der geballten chinesischen Exportmacht gegenüber. Großbritannien hat 5. 000 Stahl-Arbeitsplätze durch die Tata Aktionen im letzten Vierteljahr 2015 verloren.

Fusionen

Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hat sich nun an die Sitze der politischen Bewegung gesetzt. Macron steht im Bereich der Stahlindustrie in Europa vor den größten Gefahren. Die einst staatliche Industrie, die von 1970 an, Stahlwerk um Stahlwerk schloss, ist über die Fusionen Arbed, Aceralia und Usinor dann über die Fusion zwischen Mittal und Arcelor in die Hand des weltgrößten privaten Stahlkonzerns gelangt. Und da Frankreich im Rahmen der Fusionen seine Anteile verkaufte, hat es sogar seinen politischen Einfluss verloren. Es sei denn, Macron kaufte sich bei dem Unternehmen zum Tiefpreis von um die drei Euro pro Aktie wieder ein.

ArcelorMittal beschäftigt in Frankreich direkt 20.000 Menschen, in Deutschand 8.000. Der Konzern hat seine Produktionsorte auf Dünkirchen und Fos konzentriert, versorgt seine Walzwerke in Gandrange oder Florange oder in Belgien mit Vorprodukten aus Dünkirchen, Duisburg und Hamburg. Genau hier liegt das Problem für den französischen Wirtschaftsminister: Die Walzwerke in Lothringen sind der Konkurrenz chinesischer Produkte ausgesetzt und bedrohen nicht nur Frankreich, sondern auch Belgien und Deutschland, sogar Polen, wo der Konzern eine gigantische frühere Staatsindustrie restrukturiert.

Langwierige Prozeduren

Frankreich weist um die 5,7 Millionen Arbeitslose auf. Das Land kann sich eine weitere Stahlkrise nicht leisten. Die Europäische Kommission hat erst zu reagieren begonnen, als in Spanien ein Stahlwerk geschlossen wurde. Ende Januar gab es einen Brief nach China mit der Bitte, Verhandlungen aufzunehmen. Macron aber will mehr. Solche Prozeduren sind langwierig, dauern in der Regel bis zu neun Monaten. Er will Handlung jetzt. In einem von ihm initiierten Brief in der vergangenen Woche, der von den Wirtschaftsministern Deutschlands, Belgiens, Luxemburgs, Großbritanniens, Polens und Italiens unterschrieben wurde, verlangten die Minister „Verteidigungsmaßnahmen“, wie sie die Welthandelsorganisation erlauben. „Die Kommission sollte alle Instrumente der Handelspolitik einsetzen, um den deloyalen Wettbewerb zu unterbinden“, verlangen die Minister in dem dreiseitigen Schreiben, das der Redaktion vorliegt. . Die Kommission solle außerdem von sich aus tätig werden um Untersuchungen einzuleiten. Nach dem Brandbrief der Minister hat die EU-Kommission hat begonnen, Schutzzölle vorzubereiten.

Macron reicht das nicht. Er wird am kommenden Montag bei der europäischen Stahlkonferenz zugegen sein und hat auch die Situation der Stahlbranche auf die Tagesordnung des Ministerrates setzen lassen, der sich am 29. Februar mit Fragen des Wettbewerbs beschäftigen will. Es versteht sich, dass Macron daran teilnehmen wird. In 14 Monaten sind in Frankreich Wahlen. Und bis dahin darf nichts geschehen, was das Land wirtschaftlich oder sozial in Schwierigkeiten bringen könnte.