Von unserem Korrespondenten Joachim Penner
Denn Bundeskanzler Helmut Kohl war durchaus klar, dass das Zeitfenster für eine staatliche Vereinigung nicht ewig offen bleiben müsste. Die Sowjetunion, beispielsweise durch einen Sturz Gorbatschows, könnte schnell wieder politisch in stalinistische Zeiten zurückfallen und der Eiserne Vorhang erneut heruntergehen. Bei einem vereinigten Wirtschaftsgebiet, so das Kalkül in Bonn, wäre der Weg zurück zumindest erheblich schwerer, wenn nicht unmöglich geworden.
Technik auf dem Stand von 1960
Bereits am 18. Mai, also wenige Wochen nach der ersten freien Wahl mit dem Sieg der ,,Allianz für Deutschland“ unter der Führung der Christdemokraten in der DDR, hatten die Finanzminister der beiden deutschen Staaten den Staatsvertrag über die Währungsunion unterzeichnet. Letztendlich hat sich der eingeschlagene Weg als richtig bestätigt.
Die deutsch-deutsche Währungsunion war zwar von grundlegender wirtschaftlicher Bedeutung in der ehemaligen Sowjetzone, die alte Bundesrepublik sah sich indes zunächst weniger betroffen.
Westdeutschland befand sich zur damaligen Zeit ökonomisch und fiskalisch in gutem Zustand und glaubte die Einheit zwar nicht aus der Portokasse, wie später unterstellt wurde, bezahlen zu können. Doch meinte man am Rhein, die Finanzierung der Einheit ohne große Probleme stemmen zu können. Zumal die Bundesregierung davon überzeugt war, dass sich die neuen Länder im Osten ähnlich schnell aus der planwirtschaftlichen Misere befreien würden, wie das im Westen nach 1949 der Fall gewesen war. Schließlich handelte es sich ja auch um Deutsche.
Endlich „richtiges Geld“ in den Händen
Die Einführung der DM an Stelle der „Mark der DDR“ war für die Menschen im Osten ein Top-Ereignis. Endlich verfügten sie auch „über richtiges Geld“, mit dem man alles kaufen konnte, was das Herz begehrte. So war denn der 1. Juli 1990 ein Freudentag zwischen Rügen und Erzgebirge und zwischen Harz und Oder.
Dass es bei einer Wirtschafts- und Währungsunion um mehr geht als um den Umtausch von Geld, war dem normalen Deutschen diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze kaum bewusst. Ökonomen und Politiker indes wussten um den grundsätzlichen Wandel, den die DDR zu durchleben haben würde.
Deshalb kam es in Westdeutschland auch zu bitteren Diskussionen über den Sinn der wirtschaftlichen Vereinigung, vor allem aber über deren Details.
Dass man die Deutschen in der DDR nicht ihrer wirtschaftlichen und sozialen Misere überlassen konnte, war Konsens im Westen. Über das Wie wurde heftig gestritten. Vom Sachverständigenrat bis zur Bundesbank gab es schwere Bedenken, die DDR-Wirtschaft von heute auf morgen dem internationalen Wettbewerb auszusetzen.
Diese Rosskur, so das Argument der Kritiker, würden viele DDR-Firmen nicht überleben, zumal die ganze DDR-Wirtschaft einen massiven Produktivitätsrückstand gegenüber dem Westen aufwies. Die Befürchtungen haben sich zumindest teilweise bewahrheitet.
Vor allem aber der Umtauschkurs von 1:1 beziehungsweise 2:1 erhitzte die Gemüter. Ökonomisch realistisch wäre wohl 1:4 oder 1:5 gewesen.
Es war ein politischer Umtauschkurs, ein psychologisches Manöver, um die DDR-Deutschen nicht zu verprellen. Die meisten Menschen in der DDR hatten über viele Jahr gespart, nicht zuletzt weil es kaum etwas zu kaufen gab, was die Leute wünschten. So hatten denn viele auf ihren Sparkonten beträchtliche Summen aufgehäuft. Sie bekamen nun in Nachhinein für ihre Arbeit noch wirklichen Lohn.
Der Umtauschkurserhitzte die Gemüter
Nach 20 Jahren mühevoller Aufbauarbeit in den neuen Ländern und Billionen an Transferleistungen relativiert sich der Streit über den Umtauschkurs. Er hat zumindest, was die Spareinlagen und Kontoguthaben angeht, für die Gesamtentwicklung der vereinigten Volkswirtschaft keine Bedeutung erlangt. Dazu waren die Summen am Ende viel zu gering.
Anders bei den Folgen für die Wirtschaft in der DDR. Mit einer Produktivität von weniger als 50 Prozent im Vergleich zu Westdeutschland, zeigten sich die Firmen in der DDR weitestgehend nicht konkurrenzfähig. Zumal die technische Ausrüstung der DDR-Wirtschaft vielfach nur den westlichen Stand von 1960 erreicht hatte. Selbst Firmen, die moderne Maschinen aus dem Westen erworben hatten, konnten die damit angestrebte Produktivität in der Regel nicht erreichen, weil das gesamtwirtschaftliche Umfeld, etwa die Verkehrsinfrastruktur, marode war.
Planwirtschaft hat Spuren hinterlassen
Die Annäherung der Lebensverhältnisse in Ost und West wurde indes noch zusätzlich erschwert, weil in der DDR zu wenig fähige Unternehmensführer zu finden waren. Es gab natürlich auch in den DDR-Kombinaten Mitarbeiter, die das Zeug zu Führungskräften besaßen, doch waren die meistens nicht zum Zug gekommen, weil die Kader in der Regel unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt worden waren, während die Mitarbeiter mit der Fähigkeit zu Führungsfunktionen oft bewusst zurückgesetzt worden waren.
Besonders überrascht hat im Laufe der Jahre, dass sehr viele DDR-Arbeitnehmer lange brauchten, um sich an die Intensität und die Geschwindigkeit der Arbeit im Westen zu gewöhnen. Der Sozialismus in den Köpfen erwies sich als deutlich stärker als erwartet. Ein Phänomen, das es nach 1945 nicht gegeben hatte. Mehr als 40 Jahre Planwirtschaft hinterlassen doch erhebliche Spuren, auch bei den Menschen.
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