Gwyneth Ten Raa erreichte hingegen die erste Zwischenzeit als 61. mit 1,72 Sekunden Rückstand und hatte sich bei der zweiten mit 2,85 Sekunden schon auf Platz 54 vorgefahren. Wenig später verpasste sie aber ein Tor deutlich. „Sie war eigentlich sehr gut unterwegs, aber schon drei Tore vorher fuhr sie zu direkt, setzte die Schwünge dadurch zu spät an. Statt einmal länger querzustellen, war sie vielleicht etwas gierig und am nächsten Tor draußen“, analysiert Gilles Osch ihren Ausfall unmittelbar vor seinem Standort. „Das tut mir enorm leid für sie, aber auch fürs Team, das in diesen Tagen alles gemacht hat, um sie gut runterzubringen. Aber so ist Ski. Und auch aus diesen Erfahrungen kann sie lernen.“
Im rund gesteckten ersten Durchgang fuhr Lena Dürr mit Startnummer eins flüssig, ruhig und überraschend Bestzeit. Erst einmal hatte die 30-jährige Deutsche 2013 einen Parallel-Riesenslalom gewonnen und in einem eng beieinander liegenden Trio die Chance ihres Lebens, die Chance auf Gold. Von den weltbesten Fahrerinnen patzte im ersten Lauf eigentlich nur Shiffrin, aber bereits die viertplatzierte Slowenin Andreja Slokar hatte eine knappe halbe Sekunde Rückstand. Bei umgekehrter Startreihenfolge der Top 30 wurde die Entscheidung um den Sieg, wie so oft im Slalom, zum nervenzerreißenden Krimi.

Drama um Gold
Die slowakische Mitfavoritin Petra Vlhová hatte mit Startnummer zwei im ersten Durchgang zu viel gewollt und viel Zeit verloren. Als achtletzte Starterin hatte sie aber nichts zu verlieren und setzte sich nach perfekter Fahrt mit 77 Hundertstel Vorsprung souverän an die Spitze. Doch sofort fing das große Zittern an, denn auch die Weltmeisterin Katharina Liensberger fuhr einen starken Lauf und hatte als Siebte sechs Hundertstel Vorsprung aus dem ersten Lauf. Winzige acht Hundertstel hinter Vlhová sortierte sich die Österreicherin jedoch als Zweite ein. Die Schweizerin Wendy Holdener hatte als Fünfte des ersten Durchgangs ihren knappen Vorsprung zwar zur Mitte verspielt, lag an der letzten Zwischenzeit aber wieder hauchdünn auf Goldkurs. Im Ziel war es um zwölf Hundertstel dann Rang drei. Slokar flog danach mit 22 Hundertstel Rückstand als Vierte aus den Medaillenrängen, doch noch stand ein Trio mit seinem Polster von mehr als einer halben Sekunde auf die 25-fache Weltcupsiegerin Vlhová oben – hatte diese nur Blech sicher.
Obwohl die neue Olympiasiegerin im Riesenslalom Sara Hector noch nie besser als Fünfte in einem Weltcupslalom war, lag die 29-Jährige noch an der letzten Zwischenzeit kurz vorm Ziel fast eine halbe Sekunde vorne. Und fädelte ein. Die Schweizerin Michelle Gisin fand anschließend nie ihren Rhythmus und verspielte den ganzen Vorsprung bereits im Mittelteil. Nur noch Lena Dürr stand oben im Starthäuschen von Yanqing. Mit 72 Hundertstel Vorsprung. Der aber schwindet, Stange um Stange, Meter um Meter. Im Ziel dann Jubelschreie. Doch Dürr sackt in den Schnee und wischt sich Tränen aus den Augen. Um 19 Hundertstel verpasst sie Gold, um winzige sieben Bronze.
In Wiltz fieberte man mit

In Wiltz hat man dieses frühmorgendliche Drama nur noch am Rand wahrgenommen. Die amtierende Slalommeisterin und 14-jährige Laurene Ten Raa saß natürlich mit ihren Eltern bereits um drei Uhr vor dem Fernseher. Vater Roger hatte noch vor dem Lauf einen Anruf aus Peking: „Meine Trainingsläufe gestern waren nicht gut. Was soll ich machen, Papa?“ Er habe ihr geraten, dass sie schauen müsse, was sich für sie richtig anfühle. Sie könne ja einen Gang zurückschalten und wenn der erste Lauf gut klappe, im zweiten wieder normal fahren. „Sie ist dann aber richtig aus dem Starthäuschen gesprungen, mit Vollgas gestartet“, erzählt er trotz des Ausfalls nicht ohne Stolz. „Sie hat einfach den richtigen Charakter für einen Topsportler. Sie startet nicht, um mit einer halben Minute Rückstand ins Ziel zu fahren.“
Mutter Peggy erzählt, wie die Familie immer nervöser wurde, je näher die Startnummern an die FLS-Fahrerin heranrückten. „Leider gab es dann auch dieses Mal kaum Bilder. Eigentlich haben wir nur wieder ihren Ausfall gesehen“, beklagt sie, „das war kein schöner Moment.“ Am liebsten wäre sie jetzt vor Ort, um die Tochter einmal in den Arm zu nehmen und zu trösten, denn natürlich sei dieser Ausfall schlimm für sie. „Wir wussten aber lange vor den Spielen, dass wir nicht mitkönnen, und sie ist vor Ort in wirklich guten Händen“, tröstet sie sich. Gleich nach einem Interview fürs niederländische Fernsehen habe sie eine befreundete Fahrerin getröstet. Und im Team Lëtzeburg fühle sie sich sowieso sehr wohl, Teamchef Gilles Osch habe sogar sogleich angerufen, um abzusprechen, wie man mit der Tochter am besten nach dem Ausfall umgehen solle. Diese zieht sich zwar erst ein paar Stunden enttäuscht zurück. Aber redet dann schon wieder vom nächsten Training morgen (heute) mit Matthieu Osch.

„Ich finde es richtig, zu attackieren“
Tageblatt: Zwei Ausfälle im ersten Lauf in drei Tagen. Wie enttäuscht sind Sie?
Gwyneth Ten Raa: Mega enttäuscht, gerade hier bei den Olympischen Spielen. Wenn ich aus dem Starthäuschchen gehe, will ich den Lauf auch runterbringen. Jetzt habe ich kein Resultat und weiß nicht, wie gut ich im Vergleich zu den anderen bin. Aber ich muss das Positive aus dieser Erfahrung ziehen und nach vorne schauen.
Nachher ist man immer schlauer. Aber tut es Ihnen jetzt nicht leid, nicht mehr auf Sicherheit gefahren zu sein?
Ich finde es richtig, zu attackieren. Ich bin gestartet, um mein Bestes zu zeigen. Ich bin noch nie ein Rennen gefahren, nur um auf Sicherheit irgendwie ins Ziel zu kommen.
Vorher hatten Sie erst an 20 kleineren FIS-Rennen teilgenommen. Was war bei den Olympischen Spielen anders?
Die Pisten sind hier sehr anders. Steiler, eisiger, der Schnee viel aggressiver. Ich war so etwas noch nie gefahren. Ich habe mich dieser Tage an die Bedingungen gewöhnt, aber vielleicht noch nicht genug. Auch die Rennen sind hier sehr anders. Wie bei meinen ersten FIS-Rennen war ich doch etwas nervös. Und heute hatte ich mehr Druck, wollte es richtig gut machen, weil ich ja schon im Riesenslalom ausgefallen war. (ChB.)
De Maart
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