Freitag24. Oktober 2025

Demaart De Maart

Paule KremerWarum die Luxemburger Ultrasportlerin in diesem Sommer nicht den Nordkanal durchschwimmt

Paule Kremer / Warum die Luxemburger Ultrasportlerin in diesem Sommer nicht den Nordkanal durchschwimmt
Von Nordirland bis nach Schottland wollte Paule Kremer schwimmen – doch wegen ihrer mentalen Gesundheit entschied sich die Schwimmerin dagegen Foto: privat / Grafik: Tageblatt

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

34 Kilometer Wasser, 14 Grad kalt: Eigentlich wollte Paule Kremer in diesem Sommer schwimmend den Nordkanal durchqueren – ihre vierte Challenge der „Ocean’s Seven“. Doch wegen ihrer mentalen Gesundheit entschied sich die Ultraschwimmerin dagegen.

„Wenn man eine Challenge beendet hat, ist das schon wie so ein ‚High’“, erklärt Paule Kremer, eine von Luxemburgs bekanntesten Extremsportlern, die bis dato drei Meerengen der „Ocean’s Seven“ erfolgreich durchschwommen hat. „Diese ewige Suche nach mehr ist ein wenig das Problem des Sports, den ich mache, gefällt mir aber auch daran. Dafür muss man mit dem Kopf aber zu 100 Prozent dabei sein.“ Dass sie das nicht war, hat die Ultraschwimmerin in den letzten Wochen erkennen müssen und sich deshalb zu einem schweren Schritt entschieden. Ihre nächste große Herausforderung, die Durchquerung des Nordkanals zwischen Nordirland und Schottland – die bisher größte und auch anspruchsvollste Challenge –, die sie in diesen Tagen am liebsten hätte feiern wollen, hat sie abgesagt. Dabei hat sich ihr komplettes Leben in den vergangenen zwei Jahren fast ausschließlich darum gedreht.

Paule Kremer hat ihre positive Art, trotz der schweren Monate, nicht verloren
Paule Kremer hat ihre positive Art, trotz der schweren Monate, nicht verloren Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Doch Ende Mai, als die 37-Jährige in Dover endlich die Qualifikation für die berüchtigte North Channel schwimmen wollte, verließ sie nach nicht einmal einer Stunde wieder das Wasser. „Hauptsächlich, weil ich nicht stundenlang mit meinen Gedanken allein im Wasser sein wollte. Ich fühlte mich nicht stark. Ich fühlte mich nicht mutig. Ich fühlte mich leer“, schrieb sie anschließend in den sozialen Medien. „Es gab schon vorher einige Anzeichen“, erklärt Kremer, bei der einige Qualifikationsversuche – sechs oder acht Stunden schwimmen, je nach Temperatur des Wassers – aufgrund verschiedener Ursachen scheiterten und die sich in den Wochen zuvor etwa auch mit akuten Nackenproblemen herumschlug. „Doch als Sportler ist man gewohnt, dass es mal gute und mal schlechte Tage gibt und ich konnte es zudem gut ignorieren. An diesem Tag in Dover ist dann aber alles in sich zusammengefallen.“ Schweren Herzens musste sich Kremer eingestehen, dass ihre mentale Gesundheit einen Start in diesem Sommer nicht zulassen würde.

Keine Erholungsphasen

Inzwischen ist sich die Ultraschwimmerin bewusst, dass sie sich nach ihrer letzten großen Herausforderung, der Straße von Gibraltar, die sie im letzten Sommer in 3:55 Stunden schaffte, eine längere Pause hätte zugestehen müssen. Immerhin kamen in den vergangenen Jahren viele Challenges zusammen. 2017 durchschwamm Paule Kremer als erste luxemburgische Person den Ärmelkanal, die erste erfolgreiche Etappe der „Ocean’s Seven“. Während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 folgte eine Aktion im Stausee, bei der sie elf Stunden schwamm, und 2022 schließlich der mehr als 32 Kilometer breite Catalina-Kanal, die zweite erfolgreich absolvierte Herausforderung der großen sieben. In diesen Jahren gab es für die Ultraschwimmerin aber auch immer wieder Phasen mit längeren Erholungspausen.

2023 schaffte Paule Kremer die „20 Bridges“ in Manhattan
2023 schaffte Paule Kremer die „20 Bridges“ in Manhattan Foto: privat

In den vergangenen Jahren ging es dann allerdings Schlag auf Schlag. 2023 schaffte sie die „20 Bridges“ rund um Manhattan und im vergangenen Jahr dann die Straße von Gibraltar, womit die dritte Meerenge der „Ocean’s Seven“ abgehakt werden konnte. Dabei war der Fokus zu dieser Zeit eigentlich schon auf den Nordkanal gerichtet. Doch nach mehreren Jahren des Wartens gab es für Paule Kremer plötzlich einen Slot für Gibraltar, den sie nicht ablehnen wollte. „Eigentlich hätte ich mir nach Gibraltar ein Jahr mehr Zeit nehmen müssen. Denn schon im Training merkte ich, dass ich froh war, dass ich dort nicht sechs Stunden schwimmen muss.“ Doch die ehrgeizige Sportlerin suchte immer wieder nach Ausreden, ohne dabei wirklich zu schauen, wie es ihr selbst geht. „Ich dachte, mit dem Wechsel meiner Arbeitsstelle würde der Stress schon weniger und es dadurch einfacher werden.“ 

Die North Channel ist bei mir im Kopf so groß geworden, dass ich einfach alles abgesagt habe. Ich hatte kaum noch Kontakt mit Leuten, die nichts damit zu tun haben.

Paule Kremer

Und so drehte sich seither im Kopf alles nur noch um die North Challenge, eine komplett andere Hausnummer als die bisherigen Meerengen, die die 37-Jährige schon geschafft hat. Denn mit einer Temperatur von gerade einmal 14 Grad ist das Wasser auch im Sommer extrem kalt. Hinzu kommen eine starke Strömung, vor allem auf den letzten der insgesamt 34 Kilometer, die die Gesamtlänge durchaus um einige Kilometer erhöhen kann, sowie Quallen, aufgrund derer so mancher Schwimmer schon abbrechen musste. Und so drehte sich in den vergangenen Monaten auch das ganze Leben von Paule Kremer nur um die Challenge im Sommer und neben der Arbeit beherrschte das Training damit den Alltag. „Es gab kaum noch ein Privatleben. Die North Channel ist bei mir im Kopf so groß geworden, dass ich einfach alles abgesagt habe. Ich hatte kaum noch Kontakt mit Leuten, die nichts damit zu tun haben.“

Viele Selbstzweifel

Für die 37-Jährige, die mit dem „Cap to Cap“ in Frankreich bisher nur einmal eine Challenge abbrechen musste, weil die Strömung für den nicht unbedingt eingeplanten Rückweg zu stark wurde, waren die letzten Wochen jedenfalls eine neue Erfahrung, mit der es auch nicht immer einfach umzugehen war. „Im Moment habe ich kein Selbstvertrauen mehr in meine Kapazitäten. Eben weil ich gesagt habe, dass ich das jetzt nicht mache, ohne es überhaupt probiert zu haben“, erklärt sie. „Wenn Leute, mit denen ich trainiere, gerade den Ärmelkanal durchqueren, stelle ich mir die Frage, wie sie das machen, obwohl ich das ja selbst schon geschafft habe. Ich kann mich gerade einfach nicht mehr damit identifizieren.“ Und obwohl sie in ihrem Sport schon so viel Großes erreicht hat, fühlt sich Paule Kremer, die, wie sie selbst meint, oft von Selbstzweifeln geplagt wird, aktuell ganz klein. „Für mich ist all das Erreichte gerade irgendwie nichts wert.“

 Grafik: Tageblatt/Kim Kieffer

Dennoch hat sie sich entschieden, öffentlich mit dem Thema „mentale Gesundheit“ umzugehen, scheut sich auch nicht, zu betonen, dass sie psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat. „In diesem Sport sieht man vor allem die Leute, die es schaffen. Es gibt aber auch sehr viele, die es nicht schaffen, was auch Teil des Prozesses ist“, sagt sie, darauf angesprochen. 

In diesem Sport sieht man vor allem die Leute, die es schaffen. Es gibt aber auch sehr viele, die es nicht schaffen, was auch Teil des Prozesses ist.

Paule Kremer

Und so hofft die „Sportlycée“-Lehrerin auch, dass sie ihren Schülern, der jungen Sportlergeneration, mit ihrem Schritt ein Beispiel sein kann. „Ich hoffe, dass ich ihnen zeigen kann, dass es in Ordnung ist, wenn es auch einmal nicht geht. Sie wachsen mit den sozialen Medien auf, in denen ihnen das perfekte Leben vorgespielt wird. Eine Sportlerkarriere besteht aber nun mal mehr aus Rückschlägen als aus Erfolgen.“ 

Die richtige Entscheidung

Paule Kremer ist mit sich und ihrer Entscheidung jedenfalls im Reinen. „Für mich war das Schwimmen bisher immer gut, um den Kopf freizubekommen, es war sozusagen mein ‚Escape’. Wenn es das nicht mehr ist, dann hängt man in diesem negativen Gedankenstrudel fest und kommt da auch nicht mehr heraus.“ Dass sie in diesem Zustand keine 14 Stunden alleine im Wasser hätte sein können, ist ihr rechtzeitig bewusst geworden.


Lesen Sie auchKein Tabuthema: Die Wichtigkeit der mentalen Gesundheit im Sport


Ihr Zeitfenster für die Durchquerung des Nordkanals ging vom 31. Juli bis zum 9. August. Vor Ort war sie dennoch: Da sich ihr gesamtes Team Urlaub genommen hatte, wurde entschieden, diesen gemeinsam zu verbringen. Das eine oder andere Tränchen ist geflossen, doch es ist genau das, was sie gebraucht hat, wie Paule Kremer erklärt. Pläne, im nächsten Jahr eine Challenge zu probieren, gibt es bei der Sportlerin, die ihre positive Art nicht verloren hat, dann auch schon. „So ganz ohne geht es dann doch nicht. Mit den sieben hat das aber nichts zu tun, daran möchte ich gerade auch keinen Gedanken verschwenden.“

Im letzten Sommer durchschwamm Paule Kremer die Straße von Gibraltar in weniger als vier Stunden
Im letzten Sommer durchschwamm Paule Kremer die Straße von Gibraltar in weniger als vier Stunden Foto: privat

Gelernt, dass es wichtig ist, auf sich und ihren Körper zu hören und sich auch Phasen der Erholung zu gönnen, hat sie in den letzten Wochen auf jeden Fall.