Jonathan Milan breitete jubelnd die Arme aus und verbeugte sich am Samstag nach seiner großen Sprint-Show mit einem stolzen Lächeln vor dem Publikum. Mit einem beeindruckenden Kraftakt hat der 24-Jährige die achte Etappe der 112. Tour de France gewonnen und die große italienische Durststrecke bei der Frankreich-Rundfahrt beendet.
Milan dominierte am Samstag nach 171,4 km den Massensprint in Laval und feierte seinen ersten Tageserfolg bei der Großen Schleife. Der Sprintstar des Teams Lidl-Trek verwies Wout van Aert (Belgien) und Kaden Groves (Australien) im technisch anspruchsvollen Finale auf die Plätze.
„Ich verstehe noch nicht, was wir geschafft haben. Ich bin mit Träumen gekommen, sie zu erfüllen, ist etwas anderes“, sagte Milan, der die Tifosi in der radsportverrückten Heimat erlöste. Der zuvor letzte italienische Etappensieg hatte sechs Jahre zurückgelegen. 2019 hatte Ex-Tour-Champion Vincenzo Nibali die 20. Etappe gewonnen. Es folgten 113 Etappen ohne italienischen Tageserfolg.
Ruhiger Samstag
Tadej Pogacar im Gelben Trikot und die anderen Anwärter auf das Podium in Paris hatten nach der hektischen ersten Woche in Nordfrankreich ebenfalls einen vergleichsweise ruhigen Arbeitstag. Die Stars rollten im Hauptfeld locker mit und erreichten das Ziel ohne Zeitverlust. Auch angeschlagene Fahrer wie Pogacar-Edelhelfer João Almeida konnten sich schonen und Kräfte sparen.
Angesichts des erwarteten Sprintfinals wagte sich am Samstag lange kein Fahrer in eine Flucht. Erschwert wurde ein möglicher Ausreißversuch zudem durch das durchaus anspruchsvolle Tempo, das die Sprinterteams anschlugen, um das Geschehen zu kontrollieren.
Vor allem Girmays Equipe Intermarché-Wanty war an der Spitze aktiv. Die Sprinter übernahmen das Kommando – und es wurde hektisch. Das kurvenreiche und technisch anspruchsvolle Profil mit leicht ansteigender Zielgerade machte es den Fahrern schwer. Milan zeigte sich unbeeindruckt und raste den Rivalen scheinbar mühelos davon.
Van der Poel verpasst Coup
Am Sonntag dann schaute Mathieu van der Poel betreten zu Boden und rang um Luft. Und doch konnte sich der niederländische Ex-Weltmeister ein leichtes Lächeln nach seinem spektakulären Ausreißmanöver bei der 112. Tour de France über etwa 170 Kilometer nicht verkneifen.
Doch sein mutiger Versuch mit Kollege Jonas Rickaert scheiterte denkbar knapp bei der laut den Organisatoren zweitschnellsten Tour-Etappe aller Zeiten. Van der Poel wurde alleine, nachdem sich Rickaert zurückfallen lassen hatte, erst knapp einen Kilometer vor dem Ziel eingeholt.
„Es ist sehr hart, das nicht bis zum Ende durchbringen zu können“, sagte der zweimalige Tour-Etappensieger van der Poel. „Ich habe mit Jonas diskutiert, ob wir das machen wollen“, fügte er hinzu. Die Fluchtgruppe sei von Beginn an der Plan gewesen.
Direkt nach dem Start machte sich das Duo auf und verfolgte den mutigen Plan. Van der Poel hatte zuletzt die zweite Etappe gewonnen und sich ein kleines Duell mit Titelverteidiger Tadej Pogacar um das Gelbe Trikot geliefert – das trägt der slowenische Ausnahmefahrer aber weiter.
Zweitschnellste Etappe aller Zeiten
Der 30 Jahre alte van der Poel, der auch für das hektische Rennen sorgte, wurde erst im Endspurt gestellt und musste erleben, wie der belgische Europameister Tim Merlier seinen zweiten Etappensieg bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt feierte.
Der italienische Radprofi Jonathan Milan verfehlte als Zweitplatzierter seinen nächsten Erfolg nach dem Sieg am Vortag. Auf der neunten Etappe wurde Merliers Landsmann Arnaud de Lie nach den 174,1 Kilometern zwischen Chino und Châteauroux Dritter. Für van der Poel reichte es am Ende nur zu Rang 68.
Laut den Organisatoren der ASO ging die Etappe als zweitschnellste überhaupt in die Tour-Geschichte ein. Die Fahrer erreichten auch durch die Rennsituation um van der Poel an der Spitze und Rückenwind eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 50,01 Stundenkilometern – nur 1999 war die vierte Etappe zwischen Laval und Blois mit 50,36 demnach schneller. Die ASO bestätigte dies auf dpa-Anfrage.
„Ich bin doch jedes Jahr erschrocken, wie schnell das hier ist“, sagte der Deutsche Phil Bauhaus. Der dreimalige Tour-Sieger Pogacar sagte: „Ich habe die Statistik nicht nachgeschaut, aber es fühlte sich sehr schnell an.“
Pogacar weiter an der Spitze
In der Gesamtwertung änderte sich nichts. Gelb-Träger Pogacar steht weiter an der Spitze des Klassements mit einem Vorsprung von 54 Sekunden auf den belgischen Doppel-Olympiasieger Remco Evenepoel und 1:11 Minuten auf den Franzosen Kevin Vauquelin.
Pogacar muss aber nun auf seinen Helfer João Almeida verzichten. Der Portugiese stieg wegen der Folgen eines Sturzes samt Rippenbruchs vom Rad. „Es sind noch zwei Wochen zu gehen. Einen Fahrer zu verlieren, ist ein kleiner Nachteil für uns. Ich bin aber weiter sehr selbstbewusst“, sagte Pogacar.
Am französischen Nationalfeiertag bieten die Tour-Organisatoren den Radsport-Fans eine erste anspruchsvolle Klettershow im Zentralmassiv. 4.450 Höhenmeter stehen bevor. Unter anderem sieben Anstiege der zweiten Kategorie stehen auf dem Programm. Nie zuvor hatte es an einem Tag so viele Anstiege dieser mittelschweren Kategorie gegeben.
Im Überblick
112. Tour de France, 8. Etappe: Saint-Meen Le-Grand – Laval (171,4 km):
1. Jonathan Milan (Italien/Lidl-Trek) 3:50:26 Stunden, 2. Wout van Art (Belgien/Visma-Lease a Bike), 3. Kaden Groves (Australien/Alpecin-Deceuninck), 4. Pascal Ackermann (Deutschland/Israel-Premier Tech), 5. Arnaud De Lie (Frankreich/Lotto), 6. Tobias Lund Andresen (Dänemark/Picnic PostNL), 7. Bryan Coquard (Frankreich/Cofidis), 8. Alberto Dainese (Italien/Tudor Pro Cycling), 9. Vincenzo Albanese (Italien/EF Education-EasyPost), 10. Stian Fredheim (Norwegen/Uno-X Mobility) alle gleiche Zeit
112. Tour de France, 9. Etappe: Chinon – Châteauroux (174,1 km):
1. Tim Merlier (Belgien/Soudal Quick-Step) 3:28:52 Stunden, 2. Jonathan Milan (Italien/Lidl-Trek), 3. Arnaud De Lie (Belgien/Lotto), 4. Pavel Bittner (Tschechien/Picnic PostNL), 5. Paul Penhoet (Frankreich/Groupama-FDJ), 6. Biniam Girmay (Eritrea/Intermarché-Wanty), 7. Phil Bauhaus (Deutschland/Bahrain Victorious), 8. Jordi Meeus (Belgien/Red Bull-Bora-hansgrohe), 9. Stian Fredheim (Norwegen/Uno-X Mobility), 10. Kaden Groves (Australien/Alpecin-Deceuninck) alle gleiche Zeit
Stand in der Gesamtwertung nach 9 von 21 Etappen:
1. Tadej Pogacar (Slowenien/UAE Emirates-XRG) 33:17:22 Stunden, 2. Remco Evenepoel (Belgien/Soudal Quick-Step) 0:54 Minuten zurück, 3. Kévin Vauquelin (Frankreich/Arkea-B&B Hotels) 1:11, 4. Jonas Vingegaard (Dänemark/Visma – Lease a Bike) 1:17, 5. Matteo Jorgenson (USA/Visma – Lease a Bike) 1:34, 6. Mathieu van der Poel (Niederlande/Alpecin-Deceuninck) 1:46, 7. Oscar Onley (England/Picnic PostNL) 2:49, 8. Lipowitz 3:02, 9. Primoz Roglic (Slowenien/Red Bull-Bora-hansgrohe) 3:06, 10. Mattias Skjelmose (Dänemark/Lidl-Trek) 3:43

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