4. November 2025 - 7.13 Uhr
FußballSébastien Grandjean will Krieger und Talente beim Racing züchten
Tageblatt: Herr Grandjean, war es eine Offensichtlichkeit, sich beim Racing als Trainer zu bewerben, oder hatten Sie auch noch im Hinterkopf, in Belgien zu bleiben?
Sébastien Grandjean: Ich habe mich ja nicht beworben. Nach der Entlassung von Yannick Kakoko hat sich Romain Ruffier bei mir gemeldet. Wir haben uns dann schnell getroffen und uns geeinigt. Ich will jedoch betonen, dass ich nicht kontaktiert wurde, bevor mein Vorgänger offiziell entlassen wurde. In Belgien hatte ich zwei bis drei Kontakte mit Vereinen, aber zu diesem Moment war nichts Konkretes dabei. Da Luxemburg und Belgien immer meine zwei Optionen sind, war eine Rückkehr in die BGL Ligue logisch.
Gibt Ihnen die Rückkehr nach Luxemburg auch die Möglichkeit, sich wieder vermehrt um Ihre Physiotherapeuten-Praxis zu kümmern?
Nachdem mein Vertrag bei Standard Liège nicht verlängert wurde, konnte ich wieder aktiver in meiner Praxis in Esch sein. Ich habe sogar ab und zu wieder Klienten behandelt. Vorher habe ich mich aus der Distanz um die Praxis gekümmert, immerhin bin ich ja der Inhaber. Mit dem täglichen Geschäft hatte ich aber nur wenig zu tun. Das wird auch jetzt so sein, denn beim Racing bin ich auch als professioneller Trainer eingestellt.
Wie hat sich Ihre neue Mannschaft in den ersten Tagen präsentiert? Beim 1:1-Remis am Sonntag gegen Käerjeng gab es ja noch nicht das erwartete Resultat.
Vor dem Spiel hatte ich zwei kurze Trainingseinheiten mit der Mannschaft. Eigentlich wollte der Verein, dass ich erst am Montag anfange. Es war jedoch mein Wunsch, so schnell wie möglich die Mannschaft kennenzulernen und ihr meine Ideen und Prinzipen zu erklären. In Käerjeng habe ich eine gute erste Hälfte gesehen. Meiner Meinung nach hat die Mannschaft jedoch ein physisches Problem. Ab der 60. Minute sind einige Spieler nicht mehr in der Lage, ihre Leistung abzurufen. Für meine Art, Fußball zu spielen, mit viel Intensität und Aggressivität, reicht das jedoch nicht. Bis zur Winterpause kann ich den körperlichen Zustand nur sehr schwer verbessern. Aktuell geht es mir um die Basis. Die Spieler müssen verstehen, was ich will. Jeden Tag wird ein Element hinzukommen. Alles braucht Zeit: Ich kann die Mannschaft jetzt nicht mit Informationen überladen.
Was wollen Sie noch kurz- und mittelfristig ändern?
Ich will Veränderungen herbeiführen. Die Mannschaft wurde spät zusammengestellt, weil es ein paar Abgänge im Sommer gab, die so nicht geplant waren. Man sieht, dass es noch keine Einheit ist und noch nicht der große Wille vorhanden ist, zusammen zu gewinnen. Das ist kein Vorwurf an meinen Vorgänger. Neuzugänge, die Ende August zur Mannschaft stoßen, einzubauen, ist keine einfache Aufgabe. In jeder meiner Mannschaften herrschten Kollegialität und der Wille, alles für die Mannschaft zu tun. Diesen Geist will ich auch zum Racing bringen. Ich will Krieger auf dem Platz sehen. Bei meiner Aufstellung wird Erfahrung oder der Lebenslauf keine Rolle spielen. Es wird beim Racing wieder eine Meritokratie geben. Nur wer es verdient, auf dem Platz zu stehen, wird in der Startelf stehen. Wegen meines Alters und meiner Erfahrung bin ich relativ kaltblütig, wenn es darum geht, auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen.
Vor der Saison war das Ziel des Racing ein Europapokalplatz. Aktuell hat Ihr neuer Verein 14 Punkte Rückstand auf Platz drei. Setzen Sie jetzt alles auf den Pokal, oder kann dieses Defizit noch wettgemacht werden?
Wir müssen bodenständig sein. Wenn der Racing am Ende Platz fünf oder sechs erreicht, dann ist die Saison nach heutigem Stand der Dinge gut gelaufen. Im Pokal werden wir natürlich versuchen, das Maximum herauszuholen. Aber das will jeder Verein. Aktuell durchlebt der Racing eine Saison, die den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird. Man darf aber nicht vergessen, dass dies vielen Vereinen mit hohen Zielen irgendwann mal passiert.
Beim Racing haben Sie die spezielle Konstellation, dass Torwart Romain Ruffier auch Sportdirektor ist und über Ihre Zukunft entscheidet. Wie gehen Sie damit um?
Trotz meiner Erfahrung habe ich solch eine Konstellation noch nicht erlebt. Aber die Dinge scheinen sehr klar zu sein. Ich werde die beiden Rollen nicht vermischen und ich bin davon überzeugt, dass Romain Ruffier das auch nicht tun wird. Alles ist sehr genau strukturiert. Es könnte jedoch mal sein, dass die Spieler die Rollen verwechseln. Ich denke aber, dass Romain intelligent genug ist, um damit umzugehen.
Sie waren die vergangenen drei Saisons in Belgien. Wie hat sich die BGL Ligue verändert?
Nicht zum Guten. Das Niveau ist schlechter geworden. Das merkt man vor allem an der Schnelligkeit und der Aggressivität auf dem Platz. Ein Grund dafür ist mit Sicherheit der Mangel an finanziellen Mitteln. Heute werden andere Spielerprofile verpflichtet als noch vor ein paar Jahren. Die Dominanz von Differdingen ist zudem zu groß. Sie haben keinen wirklichen Konkurrenten, da sie aktuell das höchste Budget haben. In der BGL Ligue gibt es keine großen Duelle mehr. Der FC Déifferdeng 03 ist so etwas wie Bayern München in Deutschland. Eigentlich schadet das dem Verein sogar. In der Conference League hat man gesehen, dass Differdingen es nicht mehr gewohnt ist, Spitzenspiele zu haben. Gegen Drita war die Mannschaft so richtig nervös und hat die Partie sehr schlecht verwaltet. Ein bisschen mehr Konkurrenz würde Differdingen mit Sicherheit sehr guttun.
Kann der Racing dem aktuellen Meister irgendwann Konkurrenz machen?
Dafür brauchen wir erst einmal Stabilität. Während jedem Mercato muss die Mannschaft besser gemacht werden. Außerdem ist die Racing-Akademie ein wichtiger Bestandteil. Der Verein hat sehr gute junge Spieler. Davon müssen wir profitieren und sie nach und nach an die erste Mannschaft heranführen. Ich mag das und bin auch bekannt dafür, junge Spieler zu entwickeln. Das habe ich in all meinen Vereinen gemacht.
Steckbrief
Name: Sébastien Grandjean
Geboren am 16.6.1970
Staatsangehörigkeit: Belgier
Bisherige Stationen als Trainer: RE Virton (B), Jeunesse, UR La Louvière (B), F91, RE Virton (B), Jeunesse, Fola, Francs Borains, Standard Liège U23 (beide B)
Leistungsbilanz: 130 Partien als Trainer in der BGL Ligue (2,05 Punkte pro Partie), einmal Meister mit der Fola (20/21)
De Maart

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