Tageblatt: Trainerwechsel gehen meist mit dem Wunsch nach einem Elektroschock einher. War es diesmal auch der klare Wunsch, die Spieler wachzurütteln?
Thomas Gilgemann: Das ist immer ein Ziel. Gleichzeitig wollten wir nicht alles über den Haufen werfen, was Jeff Strasser in den vergangenen Jahren mit seinem Trainerteam aufgebaut hat. Sam Scholer hat den numerisch freigewordenen Posten übernommen. Für die Spieler bedeutet es, dass die Karten neu gemischt werden. Es gibt keine Garantie auf Plätze in der Startelf. Stammspieler müssen sich wieder beweisen, andere hoffen auf ihre Chance. Die Stimmung ist positiv.
War dieser Wechsel eine Notwendigkeit?
Uns steht eine entscheidende Woche bevor, mit Spielen gegen Rodange, Wiltz und dazwischen einem Pokalachtelfinale. Wenn ich die Kappe des Präsidenten aufsetze, muss ich im Sinne des Vereins entscheiden. Menschlich ist es schwergefallen. Jeff ist ein Profitrainer durch und durch. Die Verantwortung für die Ergebnisse trägt der Trainer nicht alleine, sondern auch der Vorstand und die Spieler. Wir haben uns nach dem Derby 72 Stunden Zeit gelassen und uns gefragt, ob wir die Ziele in der bestehenden Konstellation erreichen könnten.
Analysiert man unsere letzten zehn Spiele, haben wir nur zehn Punkte geholt. Es war tiefgründiger als nur die vier Spiele der Rückrunde. Es gab in dieser Phase auch Überlegungen, den einen oder anderen Spieler zu den Reserven zu schicken. Es ist zu leicht, wenn nur die Frage gestellt wird, ob der Trainer weitermachen soll oder nicht. Ich hätte diese Saison auch lieber mit Jeff beendet, um Stabilität zu zeigen. Emotional ist so ein Schritt belastend. Auf jeden Fall sehe ich ihn in Zukunft in einem Profiverein, beispielsweise in Deutschland.
Warum wurde eine interne Lösung bis Saisonende bevorzugt?
Wir werden von den verbleibenden zwei Monaten profitieren, um den Zyklus abzuschließen. Wir möchten die bestehende Dynamik beibehalten und weiterhin eine Anziehungskraft bei unseren Heimspielen ausstrahlen. Vor dem Derby waren es Feuerspucker, gegen Wiltz wird es eine kleine Kirmes für Kinder geben. Der Rahmen für die nächste Phase wird schon heute aufgebaut.
Dazu gehört auch das langfristige Ziel, unser Projekt zu reformieren. In Zukunft möchten wir maximal fünf ausländische Spieler im Kader haben. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir möchten weiterhin Spieler von Format wie Lars Gerson oder Olivier Thill anziehen und gleichzeitig die Ausbildung der Jugendspieler belohnen, indem wir auf sie setzen. Das soll das Bild des Vereins nach außen sein. Der neue Trainerstab, der im Sommer übernimmt, muss diese Überzeugungen teilen. Wir werden den Kader sozusagen wieder lokaler gestalten, mit ein paar ausländischen Spielern.
Die Entscheidung einer internen Lösung ist bereits darauf ausgerichtet. Sam Scholer wurde Meister mit seiner U19-Mannschaft. Er spiegelt die Werte des Vereins wider und ist Mitglied der Klubführung. Das Ziel wird sein, die Europapokalplätze noch zu erreichen und den einen oder anderen Jugendspieler heranzuführen. Sollten wir auf einem sechsten oder siebten Platz bleiben, geht es darum, den nächsten Zyklus vorzubereiten. Egal wie die Saison endet, Sam wird danach wieder in den Jugendbereich zurückkehren. Seine Person ist zu wichtig und das Risiko zu groß, ihn als A-Trainer zu verlieren.
Der Progrès lässt während jeder Transferperiode Spieler ins Ausland ziehen. Zahlt der Verein jetzt die Quittung für seine Philosophie?
Vielleicht. Deshalb geben wir das Projekt allerdings nicht auf, sondern werden es etwas anpassen. Wir haben immer als Trampolin funktioniert. Gleichzeitig sind wir ja nicht blind: Es lief auch nicht alles gut, als Issa Bah und Kenny Mixtur noch da waren. Das kann nicht der einzige Grund sein. Im Gespräch hat Jeff Strasser auch gesagt, dass es wohl nicht unmöglich sei, den lokalen Aspekt und ein Titelrennen zu vereinen – es aber schwer wird, wenn es gleichzeitig noch diese Trampolin-Identität gibt. Der Trainer musste die Mannschaft immer wieder anpassen. Gleichzeitig will ich keinem Spieler die Zukunftsperspektiven vermasseln. Wir werden in Zukunft aber ein wenig hartnäckiger bei Transfers sein, bei denen es sich nicht um eine deutliche Verbesserung oder eine erste Liga handelt.
Umgekehrt sind viele Spieler schon mal nach Niederkorn zurückgekehrt. Wird das im Sommer bei Olivier Thill auch der Fall sein?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir alle Spieler – sei es Olivier Thill oder Tim Hall, um nur diese zu nennen – zurückholen wollen. Hall wurde im Winter genannt, aber nicht von unserer Seite aus. Bei Olivier ist es so, dass er noch bis Winter in der Ukraine unter Vertrag steht. Wir möchten ihn schon im Sommer rekrutieren, spätestens dann im Winter. Sein Klub hat uns klargemacht, dass sie ihn nicht einfach gehen lassen wollen. Er ist Kapitän und einer der besten Spieler. Wir werden unser Glück im Sommer noch mal versuchen. Olivier Thill repräsentiert unser Projekt voll und ganz. Ein Spieler wie er kennt den Verein, bleibt nach einem Spiel auch noch, um sich mit den Fans zu unterhalten und bringt die Menschen zurück ins Stadion.
Was passiert, wenn es nicht für eine Europapokal-Qualifikation reicht?
Mit dem Ticket in der Tasche wäre es leichter. Wenn es nicht reicht, ist es so.
Welche Fehler hätten vermieden werden müssen?
Vielleicht bei der Besetzung des Kaders. Am Trainerstab lag es nicht. Mit Jeff wurden wir Vizemeister und haben den Pokal gewonnen. Die beiden Saisons davor waren wir zweimal auf Platz fünf gelandet. Ohnehin ist es noch zu früh, über mögliche Fehler zu sprechen – denn so weit ist es noch nicht.
De Maart

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