Große Erschöpfung oder einfach Langeweile? Der Weltmeister zeigte am Gipfel des Skigebiets Tarentaise große Müdigkeit, gezeichnet von anhaltendem Regen, der das ohnehin schon erschöpfte Peloton zusätzlich quälte. Alle waren überzeugt, dass der Slowene – frustriert darüber, dass er auf dem Mont Ventoux und am Col de la Loze nicht zugeschlagen hatte – diese letzte Bergetappe, die wegen einer Rinderseuche am Col des Saisies verkürzt wurde, unbedingt gewinnen wollte.
In den letzten Tagen hatte er sich auf das Verteidigen seines Gelben Trikots beschränkt und die Angriffe des Visma-Teams um Jonas Vingegaard abgewehrt. Doch am Freitag regte sich sein dänischer Rivale kein bisschen – ein stilles Eingeständnis der Kapitulation, zwei Tage vor dem Finale in Paris, wohl wissend, dass der Rückstand von über vier Minuten nicht mehr aufzuholen war.
Der Weg war also frei für eine „Pogishow“. Nur: Die große Show blieb aus – und Thymen Arensman nutzte seine Chance, sicherte sich nach Superbagnères seinen zweiten Etappensieg, indem er den heranfliegenden Favoriten tapfer standhielt, bevor er in die Absperrungen stürzte. „Ich bin völlig am Ende. Es fühlt sich an wie ein Traum – ich weiß gar nicht, was ich gerade gemacht habe“, sagte der Niederländer vom Team Ineos, der sich 14 Kilometer vor dem Ziel abgesetzt hatte und zwei Sekunden Vorsprung auf Vingegaard und Pogacar ins Ziel rettete.
„Fast Außerirdische“
„Alle wissen, dass sie die Besten der Welt sind, fast Außerirdische – und ich bin einfach nur ein Mensch. Aber ich habe sie gerade geschlagen – das ist einfach verrückt“, sagte Arensman, der sich damit als eine der großen Persönlichkeiten dieser Tour in Szene setzte.
Aber hätte er die Etappe auch gewonnen, wenn Pogacar wirklich alles gegeben hätte? Auf genau diese Frage angesprochen, antwortete der Slowene – eingehüllt in eine dicke schwarze Daunenjacke und mit Mütze auf dem Kopf – in der Pressekonferenz: „Ich weiß nicht … Ich habe einfach nur die Kilometer gezählt. Arensman war stark unterwegs – Chapeau! Ich habe ein defensives Tempo angeschlagen, bei dem ich mich wohlfühlte und auf eventuelle Attacken hätte reagieren können.“ Die aber nie kamen. Er begnügte sich mit zwei kleinen Tempoverschärfungen, bevor er mehrfach versuchte, Vingegaard – der an seinem Hinterrad klebte – zum Führungswechsel zu bewegen. Vergeblich.
„Ich bin den ganzen Anstieg vorne gefahren. Ja, ich bin ziemlich müde. Noch zwei Tage“, sagte „Pogi“, der beim Überqueren der Ziellinie nicht sehr glücklich wirkte – zumal er dort auch noch von einem Sicherheitsmann angerempelt wurde. Diesmal überließ er Vingegaard sogar kampflos den Sprint um Platz zwei – ein kleines Trostpflaster für den Dänen.
Auf die Frage, ob es sich bei ihm nicht einfach um Langeweile handle, erklärte Pogacar, dass das ganze Protokoll ihn belaste und es „schwierig sei, jeden Tag konzentriert und motiviert zu bleiben“.
Vingegaard: „Der Kampf ist vorbei“
Der Weltmeister, der die Klassiker liebt, scheint mit den langen Marathons der großen Landesrundfahrten immer weniger anfangen zu können. „Seit dem ersten Tag wurde ich von Angriffen links und rechts bedrängt“, sagte er – und fügte hinzu, dass er sich in den Pyrenäen auch noch eine Erkältung eingefangen habe. Zum Glück liegt das Schlimmste hinter ihm – und wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, dürften die beiden letzten Etappen die Gesamtwertung nicht mehr verändern. „Der Kampf ist vorbei. Tadej war extrem stark und verdient den Sieg. Ich akzeptiere das“, räumte Vingegaard am Samstagabend ein.
Auch der Kampf um Platz drei scheint am Freitag entschieden worden zu sein: Florian Lipowitz liegt nun wieder sehr aussichtsreich im Rennen. Der Deutsche wurde Vierter der Etappe und konnte an den „Außerirdischen“ stets dranbleiben, während diesmal sein Gegenspieler ums Podium, Oscar Onley, im letzten Kilometer einbrach.
Der Franzose Kévin Vauquelin verteidigte seinen siebten Gesamtrang, nachdem er seinen Anstieg „kontrolliert“ hatte, um „den Schaden zu begrenzen“. Zwar wurde er von Tobias Johannessen überholt, profitierte aber vom völligen Einbruch von Primoz Roglic, der zunächst in der Fluchtgruppe war und alleine in die letzte Steigung ging – nur um dann komplett zu explodieren. Für Vauquelin wäre ein Platz in den Top 10 ein großer Erfolg, auch wenn er sich noch nicht zu früh freuen will: „Solange wir nicht in Paris über die Ziellinie gefahren sind, ist die Tour für mich nicht vorbei.“ Auch er kann das Ende kaum erwarten. (AFP)
Im Überblick
112. Tour de France, 19. Albertville – La Plagne (93,1 km):
1. Thymen Arensman (Niederlande/Ineos Grenadiers) 2:46:06 Stunden, 2. Jonas Vingegaard (Dänemark/Visma – Lease a Bike) 0:02 Minuten zurück, 3. Tadej Pogacar (Slowenien/UAE Emirates-XRG) gleiche Zeit, 4. Florian Lipowitz (Deutschland/Red Bull-Bora-hansgrohe) 0:06, 5. Oscar Onley (Großbritannien/Picnic PostNL) 0:47, 6. Felix Gall (Österreich/Decathlon Ag2r La Mondiale) 1:34, 7. Tobias Halland Johannessen (Norwegen/Uno-X Mobility) 1:41, 8. Ben Healy (Irland/EF Education-EasyPost) 2:19, 9. Valentin Paret-Peintre (Frankreich/Soudal Quick-Step) 3:47, 10. Simon Yates (Großbritannien/Visma – Lease a Bike) 3:54, 11. Lenny Martinez (Frankreich/Bahrain-Victorious) 4:02, 12. Ben O’Connor (Australien/Jayco AlUla) 5:13, 13. Aurélien Paret-Peintre (Frankreich/Decathlon Ag2r La Mondiale) 5:18, 14. Jordan Jegat (Frankreich/TotalEnergies) 5:49, 15. Gregor Mühlberger (Österreich/Movistar Team) 6:18
Stand in der Gesamtwertung nach 19 von 21 Etappen:
1. Pogacar 69:41:46 Stunden, 2. Vingegaard 4:24 Minuten zurück, 3. Lipowitz 11:09, 4. Onley 12:12, 5. Gall 17:12, 6. Johannessen 20:14, 7. Kévin Vauquelin (Frankreich/Arkea-B&B Hotels) 22:35, 8. Primoz Roglic (Slowenien/Red Bull-Bora-hansgrohe) 25:30, 9. Healy 28:02, 10. O’Connor 34:34, 11. Jegat 38:42, 12. Arensman 52:41, 13. Jhonatan Narvaez (Ecuador/UAE Emirates-XRG) 1:04:36 Stunden zurück, 14. Sepp Kuss (USA/Visma – Lease a Bike) 1:05:11, 15. Sergio Higuita (Kolumbien/XDS-Astana) 1:08:19
De Maart
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