Seit Sonntag stellt sich die Radsport-Szene vor allem eine Frage: Hat sich Tadej Pogacar zu viel vorgenommen? Der Weltmeister, der am Sonntag beim Amstel Gold Race schwächelte, wird am Mittwoch bei der Flèche Wallonne wieder eingreifen, ehe er am Sonntag bei Liège-Bastogne-Liège seine Klassikersaison beenden wird.
Zum ersten Mal in seiner Karriere wurde Pogacar nach einem Solo bei einem Eintagesrennen wieder eingeholt. Auf dem Weg ins Ziel nach Valkenburg waren es Remco Evenepoel und der spätere Sieger Mattias Skjelmose, die zum Slowenen auffuhren. Der Blackout von Pogacar könnte seine Rivalen, die bis dahin wegen seiner Dominanz zu resignieren schienen, auf neue Ideen bringen. „Als Tadej das Tempo anzog, dachte ich mir: Jetzt ist er weg. Vielleicht habe ich nicht genug daran geglaubt. Tadej ist nicht unbesiegbar, das ist die Nachricht des Tages“, schlussfolgerte Wout van Aert am Sonntag.
Anstrengende Klassikerkampagne
Seit Anfang März ist Pogacar bei allen großen Rennen zumindest auf dem Podium zu finden: Sieger der Strade Bianche, Dritter bei Mailand-Sanremo, Sieger der Flandern-Rundfahrt, Zweiter bei Paris-Roubaix und Zweiter beim Amstel. Der Slowene hat eine beeindruckende, aber auch anstrengende Kampagne hinter sich. Nach seinem Sieg bei der Ronde wirkte er gezeichnet wie selten zuvor – und Paris-Roubaix, das er mit über einer Minute Rückstand auf Mathieu van der Poel beendete, ist nie ein Rennen, von dem man sich leicht erholt.
Bei den Flandern-Klassikern kämpfte er gegen Van der Poel, in den Ardennen scheint Evenepoel sein Erzrivale zu werden. Die Rennen in den beiden Regionen bieten ganz unterschiedliche Profile und es wird zu einer wahren Herkulesaufgabe, all diese Rennen zu gewinnen. Eddy Merckx ist übrigens der einzige Fahrer in der Geschichte, der im selben Jahr die Flandern-Rundfahrt und Liège-Bastogne-Liège (1969 und 1975) gewonnen hat. Auch in diesem Jahr wird Pogacar das Ardennen-Triple also nicht mehr schaffen. Es bleibt dabei, dass bisher nur Davide Rebellin 2004 und Philippe Gilbert 2011 dieses Kunststück gelang.
Die legendäre Mur de Huy
„Ich habe die Kampagne der Klassiker bislang sehr genossen“, sagt Pogacar. „Ich bin mit großen Ambitionen an sie herangegangen und habe noch zwei Rennen vor mir, wobei das Rennen am Sonntag das wichtigste ist. Liège ist wahrscheinlich das Rennen, das mir am besten liegt, und ich denke, es sieht gut aus.“ Die Flèche Wallonne, die er 2023 gewann, soll vor allem dazu dienen, „die Beine zu lockern“, wie er selber sagt.
Das Rennen entscheidet sich dabei oft auf den letzten Metern der Mur de Huy (1,3 km à 9,6 Prozent Steigung mit einer Passage von 22 Prozent). Es ist ein beliebtes Rennen für Puncheure, die jetzt auch wissen, dass Pogacar schlagbar ist. Skjelmose, der am Sonntag gewann, wird am Mittwoch nicht der Kapitän des Teams Lidl-Trek sein. „Wenn es eine Person auf der Welt gibt, die Tadej an der Mauer von Huy schlagen kann, dann ist es Thibau (Nys)“, erklärt der Däne. Nys, der die Tageblatt Flèche du Sud 2022 gewann, wurde beim Amstel Gold Race Zwölfter und zeigt sich in einer starken Form. Die Mur de Huy kommt dem 22-Jährigen sehr entgegen.
Und die Luxemburger?
Aus luxemburgischer Sicht hat Bob Jungels die meiste Erfahrung in den Ardennen. Die Flèche Wallonne kommt dem 32-Jährigen vom Profil nicht ganz so entgegen. Acht Teilnahmen hat er bereits in den Beinen, sein bestes Resultat datiert aus 2017, als er 39. wurde. Sein Team Ineos Grenadiers verpasste ein Top-Resultat beim Amstel Gold Race. Auch für das Rennen am Mittwoch hat das Team kein besonders heißes Eisen im Feuer. Axel Laurance könnte jedoch für eine Überraschung sorgen.
Anders sieht es bei Groupama-FDJ und Kevin Geniets aus. Der luxemburgische Landesmeister, der schon zweimal an der Flèche teilnahm (bestes Ergebnis 2022 als 44.), wird sich voll in den Dienst von Romain Grégoire stellen. Der Franzose zeigte mit Platz 7 beim Amstel Gold Race, dass seine Form stimmt. Mit Valentin Madouas kann das Team eine weitere Karte ausspielen. Namhafte Teamkapitäne hat auch Luc Wirtgen bei Tudor. Mit Julian Alaphilippe, der bereits dreimal das Rennen gewann, und Marc Hirschi, der auch schon einmal auf der Mur de Huy jubelte, darf sich Tudor nicht verstecken.
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