Marc Theisen: „Ich erwarte keine Wunder“

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Im Interview mit dem Tageblatt blickt COSL-Präsident Marc Theisen auf die Spiele von Peking zurück. Einerseits durch die sportliche, andererseits aber auch durch die politische Brille./ Aus Peking berichten Philip Michel, Roland Miny (Fotos)

Tageblatt: Wie sieht das Fazit des COSL-Präsidenten für die Luxemburger Beteiligung an den 29. Olympischen Sommerspielen aus?
Marc Theisen: „Allgemein gesehen ist die Bilanz etwas durchwachsen. Mit positiven, sogar ganz positiven Resultaten. Aber auch mit Resultaten, die doch enttäuschend sind, die keiner so erwartet hatte. Wir liegen in den zwei Extremen. Einerseits hat beim Radsport nicht viel zu einer Medaille gefehlt, andererseits gab es den Triathlon von Liz May.
Allgemein muss man aber sagen, dass wir uns in einer weiter nach oben zeigenden Tendenz befinden, weil wir doch mehr positive Resultate hatten als in den Spielen zuvor. Die Ziele, die wir uns vor ein paar Jahren gesetzt hatten, also an die Weltspitze heranzukommen, die haben wir erreicht. Aus dem kann ich schlussfolgern, dass die vor einigen Jahren eingeführte Politik der intensiven Investition in den Hochleistungssport die richtige ist. Natürlich muss man sich auch Fragen stellen. Zum Beispiel, wie wir noch näher an den Athleten rankommen. Um es dort, wo es diesmal nicht so gut geklappt hat, besser zu machen, müssen wir intensiver mit dem Athleten und dem Fachverband arbeiten. Das ist die große Herausforderung der nächsten Monate. Die Gesamtsituation ist aber auf jeden Fall positiv. Wer hätte denn vor ein paar Jahren gedacht, dass wir in der Lage wären, eine Medaille zu gewinnen?“
„T“: Die vorläufige sportliche Bilanz ist also gezogen. Wie sieht die außersportliche Bilanz aus?
M.T.: „Die Spiele sind so verlaufen, wie ich das erwartet habe. Die Organisation war so perfekt, wie ich es selten erlebt habe. Die Leute waren zuvorkommend und freundlich. Die Stadt hat über Jahre darauf hingearbeitet, um aus den Spielen einen Erfolg für China zu machen. Und das ist zweifellos gelungen.“
„T“: Werden die Spiele zu einer Verbesserung der Situation in China, Stichwort Menschenrechte, beitragen?
M.T.: „In Sachen Menschenrechte kann man keine Auswirkungen der Spiele erwarten. Ich hoffe aber, dass es zu einer kleinen Öffnung kommen wird. Aber man muss sich bewusst sein, dass die nicht groß sein kann, denn der Staat kontrolliert hier weiter. Aber die Spiele und die Weltausstellung nächstes Jahr in Schanghai sollten doch einen kleinen Einfluss auf eine positive Entwicklung haben. Dennoch, es ist ein ganz, ganz langer Weg, den sie da vor sich haben.“
„T“: Sind Sie der Meinung, dass wir das richtige China gesehen haben oder nur eine schöne Fassade?
M.T.: „Die Wahrheit liegt wahrscheinlich dazwischen. Das richtige China, das kann man hier nicht sehen. Durch die Spiele will China ein ganz bestimmtes Bild nach außen transportieren. Und zwar, dass es eine Organisation dieser Größenordnung bewältigen kann. Das haben sie meisterhaft gemacht. Das gibt aber noch lange kein Bild von China ab. Um das richtige China zu sehen, muss man durchs Land reisen. In Peking bekommt man nur einen ganz kleinen Teil mit. Und man darf sich nicht davon blenden lassen, was bei den Spielen passiert. Bei den Olympischen Spielen ist es darum gegangen, ‚la perfection à labsolu‘ in die Welt zu senden.“
„T“: Waren es die besten Spiele aller Zeiten?
M.T.: „Ich sehe es vielleicht mit anderen Augen. Ich stelle mir die Frage, wie es für die Sportler war, wie für die Journalisten. Und da muss man dann sagen, dass die Chinesen etwas Großartiges fertig gebracht haben. Ich habe noch nirgendwo so ergebene freiwillige Helfer gesehen, der Transport war perfekt organisiert, die Arbeitsbedingungen gut, und und und. Aber auch andere Dinge wie die Eintrittspreise, die den hiesigen Verhältnissen angepasst waren. Und wenn man das alles zusammennimmt, dann haben die Chinesen die Herausforderung Olympia gut gemeistert.“
„T“: Es war also richtig, die Spiele nach Peking zu vergeben?
M.T.: „Ja, das sage ich noch immer. Durch die Spiele hat die Weltöffentlichkeit einen Blick auf China werfen können. Und es hat denjenigen, die vor Ort waren, geholfen, die Kultur besser zu verstehen. Diese Kontakte sind auch für die Chinesen wichtig. Was es aber effektiv gebracht hat, das wird man erst in fünf oder zehn Jahren sehen können.“

„Mehr nicht“

„T“: Glauben Sie denn, dass es eine Öffnung Chinas geben wird, oder wird alles wie zuvor, sobald die Paralympics vorbei sind?
M.T.: „Ich erwarte da keine Wunder. Ich glaube, dass es im gleichen Trott wie vorher weitergeht. Man darf nicht vergessen, dass Olympische Spiele und Paralympics Veranstaltungen sind, die die Chinesen in Perfektion organisieren wollten. Das haben sie, zumindest was die Olympischen Spiele angeht, geschafft. Ich würde auch meinen, dass in den Olympia-Stätten die Menschen durch den Kontakt mit den Ausländern ein anderes Bild mitkriegten, genau wie die vielen freiwilligen Helfer. Aber das ist nur ein ganz kleiner Teil, für 99 Prozent der Chinesen ändert sich gar nichts durch Olympia.
Die Situation wird sich wohl nicht verbessern, die chinesische Regierung wird weiter ihren Weg gehen. Es werden vielleicht einige positive Elemente hängen bleiben, aber es wird auch Rückschläge geben. Olympia war für China dazu da, ihre Technik, ihr Know-how zu demonstrieren und ein guter Gastgeber zu sein. Mehr nicht.“
„T“: Zu einem guten Gastgeber passt aber nicht, 51 Goldmedaillen zu gewinnen, oder?
M.T.: „Ich habe das erwartet. Seit sie die Spiele zugesprochen bekamen, bereiteten sie sich in jeglicher Hinsicht darauf vor. Sie wollen den anderen beweisen, wie stark sie sind. Natürlich auch auf dem Podium. Aber das wirft auch Fragen auf.“
„T“: Fragen in Zusammenhang mit Doping?
M.T.: „Ja, Doping gehört auch dazu. Kontrollen sind Kontrollen, und wir wissen, wie viele davon gemacht werden. Da soll man sich nicht von den wenigen positiven Proben blenden lassen. Auch die ’negative‘ Medizin hat riesige Fortschritte gemacht. Wenn die Dominanz größer wird, kann man da auch größere Bedenken haben.“
„T“: Zurück zum Sport, welche internationale Leistung hat Sie am meisten beeindruckt?
M.T.: „Die tolle Leistung von Michael Phelps im Schwimmen. Aber auf der anderen Seite auch Usain Bolt, der mit einer unglaublichen Leichtigkeit Weltrekorde gelaufen ist. Das wirft natürlich auch viele Fragen auf. Man kann sich über solche Leistungen freuen, aber man muss sie auch hinterfragen. Das ist kein schöner Aspekt des Sports, aber es ist die Realität.“
„T“: Und auf Luxemburger Seite, wer hat Sie da am meisten beeindruckt?
M.T.: „Dirk Bockel, der das Maximum aus seinen Möglichkeiten herausgeholt hat und eine großartige Leistung vollbracht hat. Dirk hat gezeigt, was alles möglich ist. Das soll Ansporn für alle anderen sein, auch die, die nicht hier waren.“