Patrizia Van der Weken hinterlässt zwei Tage vor dem 60-Meter-Rennen bei der Hallen-Europameisterschaft einen entspannten, aber auch fokussierten Eindruck. „Ich verspüre im Moment keinen Druck“, sagte sie am Freitagabend auf einer Pressekonferenz der FLA im niederländischen Apeldoorn – dort, wo auch die EM gerade stattfindet. „Ich versuche den Tag einfach so gut wie möglich vorzubereiten. Gut schlafen, gut essen – ich glaube, dann sind wir auf einem guten Weg.“
Am Sonntag wird es für die 25-Jährige dann ernst. Van der Weken gehört erstmals bei einer großen Meisterschaft zu den Medaillenfavoritinnen. Sie geht offen damit um. „Es fühlt sich anders an, jetzt als eine der Favoritinnen herzukommen. Ich bin, was Titel anbelangt, die mit der wenigsten Erfahrung. Aber ich glaube, ich gehe gut damit um und versuche mich davon ein bisschen zu distanzieren. Ich gehe in die Halle und versuche meine drei Runden (Vorlauf, Halbfinale und Finale) einfach so gut es geht zu laufen und alles zu geben, um vorne mit dabei zu sein.“
Ungeschlagen zur EM
Nach der Outdoor-EM im vergangenen Sommer im Rom ist dies für Van der Weken auch die Möglichkeit, sich für das knapp verpasste Podium zu revanchieren. Nachdem sie im Halbfinale über 100 Meter einen Landesrekord (11,00 Sekunden) gelaufen war, verpasste sie im anschließenden Finale eine Medaille gerade mal um eine Hundertstelsekunde. „Sie bekommt jetzt eine neue Chance, ein Podium zu machen“, sagt ihr Trainer Arnaud Starck. „Das ist auch das Ziel. Sie hat in diesem Winter gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist.“
Ich gehe in die Halle und versuche meine drei Runden einfach so gut es geht zu laufen und alles zu geben, um vorne mit dabei zu sein
Van der Weken reist ungeschlagen zur Europameisterschaft. Sie hat in der laufenden Hallensaison jedes 60-Meter-Rennen gewonnen, an dem sie teilgenommen hat. „Es waren nicht immer die allerschnellsten Athletinnen mit der meisten Erfahrung am Start“, sagt sie selbst. Doch die Konstanz, mit der die 25-Jährige ihre Rennen abspulte, war beeindruckend.
„Sie hat eine starke Saison gemacht. Wir können wirklich zufrieden sein“, sagt Starck „Sie hat kein Rennen verloren und ihre Leistungen waren konstant. Das gibt uns auch die Gewissheit, dass sie jetzt bei der EM um eine Medaille oder sogar den Titel kämpfen kann.“ Während viele Sportler lieber tiefstapeln und die Favoritenrolle gerne von sich auf andere schieben, sagt Starck: „Ohne arrogant zu klingen, muss man darüber reden. Man sollte keine Angst haben, zu sagen, dass man eine Medaille oder sogar den Titel gewinnen kann. Es ist wichtig, realistisch zu sein.“
Vier Sprinterinnen, die sich für Apeldoorn qualifiziert haben, sind mit einer Zeit unter 7,10 Sekunden gemeldet – und nehmen gemeinsam die Favoritenrolle ein. Darunter eben auch Van der Weken, die den luxemburgischen Landesrekord im Januar auf 7,07 Sekunden verbessert hatte. Mit dieser Zeit ist sie die vierte der Meldeliste. Vor ihr liegen die Polin Ewa Swoboda (6,98), die Schweizerin Mujinga Kambundji (7,03) und die Italienerin Zaynab Dosso (7,05).
Vier Medaillenkandidatinnen
„Diese vier Athletinnen ragen heraus“, sagt Starck. „Sie sind alle in der Lage, aufs Podium zu laufen. Ich glaube, dass die Tagesform entscheiden wird, wer den Titel holt. Man muss aber auch im Hinterkopf haben, dass auf den 60 Metern vielleicht auch noch eine andere Läuferin, die man jetzt nicht auf dem Schirm hat, an einem guten Tag mitmischen kann. Aber diese vier sind ganz klar die Favoritinnen. Kleinigkeiten werden entscheiden.“
Direkt aufeinandergetroffen sind alle vier in diesem Winter noch nicht. Van der Weken ist 2025 nur schon mal gegen Swoboda gelaufen – und hat sie beim Gold-Meeting in Ostrau (CZE) geschlagen. „Sei es outdoor oder indoor, Patrizia hat in ihrer Karriere aber auch schon mal alle anderen geschlagen“, so Starck. Unter anderem bei ihrem Sieg in der Diamond League im vergangenen Juli in Paris über 100 Meter ließ Van der Weken sowohl Kambundji als auch Swoboda und Dosso hinter sich. Am Sonntag gilt es sich nun, ohne zu viel Energie zu verschwenden, sich fürs Finale zu qualifizieren – danach braucht Van der Weken „einen guten Start und muss dann alles geben“.
Die größten Konkurrentinnen von Patrizia Van der Weken
Ewa Swoboda (POL)

Ewa Swoboda ist aktuell Vize-Europameisterin über 60 Meter. In Apeldoorn will sie ihren Titel von 2019 zurückerobern und ihre insgesamt vierte EM-Hallenmedaille gewinnen. Bislang verlief die Saison für sie aber nicht zufriedenstellend. Swoboda ist in ihrer Karriere schon unter sieben Sekunden gelaufen (6,98). In diesem Jahr ist ihr das noch nicht gelungen. 7,09 Sekunden sind ihre Saisonbestleistung. Zufrieden ist sie damit nicht. „Nichts macht mich mehr glücklich und ich weiß nicht, warum ich das mache“, sagte sie kürzlich gegenüber polnischen Medien. „Ich habe keine Lust mehr, zu laufen.“ Diese will sie mit einer Medaille in Apeldoorn zurückgewinnen.
Mujinga Kambundji (CH)

Mujinga Kambundji ist die schnellste Frau der Schweiz – und Titelverteidigerin bei der Hallen-Europameisterschaft. Von den vier Favoritinnen lief sie in diesem Winter die schnellste Zeit (7,03 Sekunden). Mit 32 Jahren hat sie auch die meiste Erfahrung. In der Halle ist Kambundji Welt- (200 m) und Europameisterin (60 m). Auch im Freien hat sie bereits zwei EM-Goldmedaillen gewonnen. Zudem hat Kambundji, die aus einer sportbegeisterten Familie stammt, bereits viermal an Olympischen Spielen teilgenommen. Mujinga ist die zweitälteste von vier Schwestern, die jüngste ist die Hürdenläuferin Ditaji Kambundji, die bereits am Freitag bei der EM auf Medaillenjagd war.
Zaynab Dosso (ITA)

Inspiriert von den Erfolgen von Marcell Jacobs und Gianmarco Tamberi bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio, beschloss Zaynab Dosso, von der kleinen Provinzstadt Rubiera nach Rom zu ziehen, um dort als Profi Leichtathletik zu betreiben. Seitdem dominiert die 25-Jährige den italienischen Frauensprint und verbesserte die nationalen Rekorde über 60 und 100 Meter. Im vergangenen Jahr lief sie ihre bisher erfolgreichste Saison und gewann bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Glasgow und den Freiluft-Europameisterschaften in Rom jeweils die Bronzemedaille. In der laufenden Wintersaison steht ihre Bestzeit über 60 Meter bei 7,05 Sekunden.
Das Programm
Am Sonntag:
12.00 Uhr: Vorläufe 60 m
16.05 Uhr: Halbfinale 60 m
18.37 Uhr: Finale 60 m
De Maart

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