Mittwoch29. Oktober 2025

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„Kein Kampf zwischen Berg und Alpinist“

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Sandro Luci will auf den 8.125 m hohen Nanga Parbat

Am Montag, den 12. Juli hat Sandro Luci sich auf den Weg nach Pakistan gemacht. Das Ziel: der 8.125 m hohe Nanga Parbat, neunthöchster Berg der Welt. Als Mitglied eines polnischen Teams geht der 40-Jährige den ersten 8.000er seiner 25-jährigen Bergsteiger-Karriere an.

David Thinnes

Das Tageblatt hat Sandro Luci vor seinem Abflug nach Pakistan getroffen.

Tageblatt: Es gibt die berühmte Antwort auf die Frage, warum klettert man auf diese hohen Berge: Weil der Berg da ist. Warum kletterst du auf diese Berge?
Sandro Luci: „Ich stehe zu dem Satz. Früher hat man einen wissenschaftlichen Vorwand gesucht, um nicht als verrückt abgestempelt zu werden und überhaupt ein Budget zusammenzukriegen. Man nahm als Vorwand, das Land und den Berg zu vermessen, aber auch strategische Ansichten, wie die Kolonien, wurden benutzt. Wie die meisten Passionen ist das Bergsteigen unnütz. Aber ich mache es gerne. Und habe nicht das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Es ist klar, dass es eine egoistische Herangehensweise ist. Ich versuche aber meine Expeditionen durch verschiedene Brillen zu sehen. Wenn ich eine Nachricht wie z.B. über die Gletscherschmelze vermitteln kann, werde ich das auch machen.“

„T“: Es heißt, dass der Berg es zulassen muss, dass du ihn besteigst. Ist das eine Märchengeschichte oder Realität?
S.L.: „Es ist kein Kampf zwischen dem Berg und dem Alpinisten. Der ideale Bergsteiger muss ein Teil der Natur werden. Nur unter dieser Voraussetzung kommt man weit. Der Berg diktiert, wo es langgeht. Und wenn du es nicht fertigbringst, wegen deiner Arroganz, die Zeichen des Berges zu lesen, dann wirst du den Gipfel nicht NANGA PARBAT FAKTEN

o Höhe: 8.125 m (neunthöchster Berg der Welt)

o Lage im Pakistan: Gilgit-Baltistan, Region Kashmir
West-Himalaya

o Name: Nackter Berg auch als Diamir (König der Berge)

o Route: Kinshofer-Route auf der Westseite über die Diamirflanke

o Erstbesteigung: 3. Juli 1953 durch Hermann Buhl (AUT)

o Total Besteigungen: 326, darunter 22 Frauen erreichen. Wir sehen die Natur immer als Gegner. Wir müssen bescheiden bleiben, denn wir sind nicht stärker als die Natur.“

„T“: Es sind noch 100 m bis zum Gipfel. Es ist bereits Zeit zum Umkehren. Was machst du?
S.L.: „Diese Szenarien muss man im Vorfeld durchspielen, weil man in großer Höhe nicht mehr fähig ist, klar zu denken. Auch am Khan Tengri (den 7.010 hohen Berg hatte Luci 2006 versucht, d. Red) war ich 300 m vom Gipfel entfernt und habe dann die Rückkehr gewählt. Das Risiko war zu hoch. Die Entscheidung, ab einer gewissen Uhrzeit nicht weiterzugehen, hatte ich im Basislager genommen, wo ich noch frisch war. Auch am Nanga Parbat werde ich so handeln. Der Gipfel ist im Laufe der Jahre zur Nebensache geworden. Früher habe ich bei jedem Gipfel eine Notiz gemacht. Der Gipfel ist ein Erfolg, aber das sind zehn Minuten von einer sechs Wochen andauernden Expedition. Ich sehe das nicht als Niederlage, den Gipfel nicht erreicht zu haben. Das Problem für Außenstehende ist, wie messe ich das. Es ist eine fremde Welt. Es wird dann am Konkreten gemessen: also den Gipfel erreichen. Aber für den Bergsteiger ist das nicht das Wichtigste. Ich verübele das aber keinem, der denkt, ohne Gipfel wäre die Expedition kein Erfolg. Das wäre so, als würde man Andy Schleck vorwerfen, er wäre nur Zweiter bei der Tour geworden. Manchmal ist eben der Berg der Erste. Wie viele Leute haben einen Grand Slam oder die Tour de France gewonnen? Der Berg bleibt, und es wichtig, gesund zurückkommen und es noch mal zu versuchen. Ich klettere seit 25 Jahren, und auch wegen dieser Einstellung bin ich wohl noch am Leben.“

„T“: Mit dem Nanga Parbat werden viele Namen assoziiert: Todesberg, Schicksalsberg der Deutschen. Reinhold Messner hat dort seinen Bruder verloren.
S.L.: „Diese Begriffe sind im Kontext der Geschichte zu sehen. Als diese Ausdrücke in den 50er Jahren entstanden sind, war das Bergsteigen eine Verlängerung vom Schlachtfeld. Die Bücher hatten einen kriegerischen Anstrich: den Berg an seiner Schwachstelle angreifen, Rückzug, Sieg … Diese Kriegsrhetorik, die komplett fehl am Platz ist, kommt nicht von ungefähr: Die Deutschen haben am Berg versucht, ihre Ehre wiederzufinden. In dem Zusammenhang kann man diese Begriffsverwendung verstehen. Für mich ist der Nanga Parbat aber ein gewöhnlicher Berg wie jeder andere auch. Ich bereite mich nicht auf einen Mörderberg vor. Ich weiß, dass es ein Berg ist, den man sehr ernst sehen muss.“
„T“: Im Falle eines Notfalls ist eine Rettung möglich.
S.L.: „Ja mit dem Helikopter, der aber nur bis ins Basislager auf 4.300 m fliegen kann. Sollte etwas passieren, muss dich aber jemand aus der Wand rausholen. Solch eine Situation sollte man aber vermeiden. Zwischen Teammitgliedern gibt es einen ungeschriebenen Ehrenkodex: Wenn man in der Lage ist, jemandem zu helfen, tut man das. Steckt man in Schwierigkeiten, schaut jeder nach sich. Das kann aber auch bedeuten, dass man ein anderes Mitglied ans Seil nimmt. Es kommt nicht in Frage, dass man sich für einen anderen opfert. Der Kodex ist nicht mit Sanktionen verbunden. Ein homicide involontaire gibt es eventuell, aber du kannst keinem etwas beweisen. Am Berg beruht alles auf Vertrauen.“

„T“: Du bist Mitglied einer polnischen Expedition. Zusammen geklettert seid ihr aber noch nie. Könnte das ein Problem werden?
S.L.: „Es sind neun eigenständige Bergsteiger in einer privaten Expedition. Es sind keine Anfänger, aber natürlich auch keine Profi-Bergsteiger. Jeder hat aber seine Erfahrungen gesammelt. Wir wissen, dass wir aufeinander zählen können. Was sehr hilfreich sein wird, ist, dass bereits einer aus dem Team auf dem Nanga Parbat war: Ryszard Pawlowski 1993, ebenfalls auf der Kinshofer-Route, die wir auch nehmen werden. Auf menschlichem Plan ist solch eine Expedition ein fantastisches Abenteuer. Ich werde acht fremde Leute treffen und ich vertraue ihnen mein Leben an. Sechs Wochen sind wir wie Brüder.“

„T“: Pakistan ist ja auch politisch nicht die ruhigste Region der Welt.
S.L.: „Ich habe die Nachrichten genau verfolgt. Ich weiß, dass bis jetzt der westliche Teil des Pakistans mit der Grenze zum Afghanistan unruhiger war. Aber man hört vermehrt von Anschlägen, die nahe an die Hauptstadt Islamabad, wo ich landen werde, herankommen. Dies macht mir fast mehr Sorgen als der Rest. Da ich mit den Polen reisen werde, können wir in Islamabad in einer Residenz der polnischen Botschaft übernachten. Wir werden nur einen Tag dort verbringen und dann sofort in die Berge reisen. Wir wollen die Zivilisation so schnell wie möglich verlassen.“

„T“: Es gab zuletzt zwei Ereignisse im Bergsport, die Diskussionen aufkommen ließen: die erste Frau auf allen 14 8.000ern (die Koreanerin Oh Eun-Sun) und der jüngste Bergsteiger, der 13-jährige Jordan Romero, auf dem Mount Everest. Wie stehst du zu diesen zwei Punkten?
S.L.: „Ich verurteile keinen, bin aber extrem skeptisch. Vor allem bei Oh. Durch extreme Mittel ist die Leistung nicht die gleiche wie z.B. bei ihrer Konkurrentin Edurne Pasaban oder Gerlinde Kaltenbrunner. Was übrig bleibt ist allerdings der Name der ersten Frau auf den 14 8.000ern. Ich würde das nicht so machen wollen. Das ist eine Ansicht der persönlichen Ethik. Ich habe mehr Respekt für Bergsteiger, die ihre Ziele by fair means (auf jegliche Hilfsmittel – Sauerstoff, Lastenträger, Höhenlager, d. Red.) erreichen. Der 13-Jährige ist ein typisches Opfer der heutigen Gesellschaft. Durch die kommerziellen Expeditionen muss der Jüngste, der Älteste, der Kranke auf den höchsten Berg der Welt. Es ist pervers. Ein 13-Jähriger hat nichts auf dieser Höhe verloren. Sein Körper ist noch nicht vollständig entwickelt. Außerdem denke ich, dass er mehr Schaden davonträgt als ein Erwachsener. Ein Erwachsener ist verantwortlich für sich; bei einem 13-Jährigen ist es der Vater. Ein 13-Jähriger hat sicherlich noch keine so lange Bergsteiger-Karriere hinter sich, dass er auf den Everest steigen kann.“