Mittwoch22. Oktober 2025

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Tour de FranceGuillaume Martin-Guyonnet: „Um sechs Uhr morgens denke ich an meine Steine“

Tour de France / Guillaume Martin-Guyonnet: „Um sechs Uhr morgens denke ich an meine Steine“
Guillaume Martin-Guyonnet ist ein ganz besonderer Charakter im Peloton der diesjährigen Tour de France Foto: Loic Venance/AFP

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„Während der Tour de France tut es mir gut, ein bisschen Buchhaltung zu erledigen.“ Profiradfahrer und Freizeit-Philosoph und -Schriftsteller Guillaume Martin-Guyonnet ist außerdem Besitzer eines Landguts in der Normandie, an dem er am Donnerstag gemeinsam mit dem restlichen Peloton vorbeifahren wird.

Die sechste Etappe von Bayeux nach Vire führt nur wenige Meter am „Domaine de la Boderie“ vorbei, nahe dem Dorf Saint-Honorine-la-Chardonne. Der Ort mit seinen 680 Einwohnern wird für diesen Anlass in „Saint-Guillaume-la-Chardonne“ umbenannt.

Denn hier ist der Kapitän des Teams Groupama-FDJ zu Hause – in dieser Gegend des Départements Orne, im Herzen der „Suisse Normande“. „Ich bin in Paris geboren, aber habe dort nur ein paar Wochen verbracht. Aufgewachsen bin ich hier, zur Schule bin ich drei Kilometer entfernt gegangen, aufs Gymnasium fünfzehn Kilometer weiter“, erklärt er bei einem Rundgang über sein Anwesen im Mai.

Eingebettet in viel Grün erstreckt sich das Gut, das er 2020 von seinen Eltern übernommen hat, über zehn Hektar. Während er unterwegs mit seinen Ziegen spielt, muss er kurz unterbrechen, um einen Esel einzufangen, der gerade ausbrechen will – „ich habe vierzehn, manche sind so alt wie ich, also 32.“ Auch Schweine und ein Pferd leben auf dem Hof.

„Ein etwas verrücktes Projekt“

Das Anwesen, dessen Ursprünge bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, umfasst acht Gebäude, darunter vier Ferienhäuser, die zwischen zwei und 15 Personen beherbergen können. Außerdem gibt es ein Dojo, in dem sein Vater, ein Aikido-Lehrer, Kampfkunstseminare veranstaltet, während seine Mutter, eine Schauspielerin, im angrenzenden Haus Theaterkurse gibt.

„Es wäre traurig gewesen, wenn dieses etwas verrückte Projekt meiner Eltern mit ihnen geendet hätte“, sagt Guillaume Martin, der kürzlich den Mädchennamen seiner Mutter, Guyonnet, in seinen Pass eintragen ließ.

Bereits jetzt ist er „voll involviert“ in das Projekt. Während der Radsaison „versuche ich zu helfen, wenn es geht“, macht „ein bisschen Buchhaltung“ und betreut den Instagram-Account, während seine Partnerin die Website verwaltet. „Und im November übernehme ich dann richtig. Ich koche zum Beispiel sehr gerne. Ich brauche den Ausgleich durch ganz unterschiedliche Dinge. Selbst bei der Tour de France tut es mir gut, ein bisschen Buchhaltung zu machen.“

Der Normanne ist ein unkonventioneller, belesener Charakter: Das Abitur hat er ein Jahr früher gemacht, besitzt einen Master in Philosophie von der Universität Paris-Nanterre und hat mehrere Bücher veröffentlicht („Platon vs. Platoche“, „Socrate à vélo“, „La Société du peloton“).

In seinem jüngsten Werk, „Les Gens qui rêvent“, schreibt er über den ersten Besitzer des Anwesens, Guy Lefèvre de La Boderie, einen Dichter der Renaissance.

„Die Ringmauer wieder aufbauen“

„Ich bin mit ihm aufgewachsen. Während meiner ganzen Jugend habe ich ein wenig Archäologie gemacht. Wir wissen nicht, wo er begraben ist, also bin ich irgendwann mit einer Schaufel losgezogen. Aber ich habe kein Grab gefunden – nur zwei kleine Mauern“, sagt er neugierig, während er die Reste begutachtet.

Doch seine wahre Leidenschaft gilt der alten Ringmauer, die vielerorts stark verfallen ist. „Es ist der große Traum meines Lebens, sie wieder aufzubauen. Ich bin regelrecht besessen davon“, sagt er.

Das Projekt ist riesig, aber er ist zuversichtlich. Seine erste Etappe ist bereits geschafft: Stein für Stein hat er den kleinen Turm an der Ecke des Grundstücks wiederaufgerichtet.

„Um sechs Uhr morgens, wenn ich nicht mehr schlafen konnte, habe ich an meine Steine gedacht. Ich habe mir vorgestellt, oben auf meinem Turm zu stehen.“

Seine Zeit nach der Radsportkarriere sieht er seit dem ersten Corona-Lockdown ganz klar an diesem Ort – damals verbrachte er drei Monate hier, abgeschieden von der Welt, glücklich. „Da habe ich mir zum ersten Mal vorgestellt, wie mein Leben später aussehen könnte.“

„Ich tue mich noch schwer damit, in die Zukunft zu schauen – aber Sportdirektor? Das kann ich mir nicht vorstellen. Der Radsport ist ein großer Teil meines Lebens, seit ich zwölf war. Aber inzwischen fehlt mir das Radfahren nach einer Woche Pause nicht mehr besonders – was mir hingegen fehlt, ist körperliche Aktivität.“ Den Mauerbau – den sieht er als perfekte Lösung.