Es sind Zahlen für die Skisprung-Ewigkeit: Simon Ammann und Noriaki Kasai bringen es gemeinsam auf 52 Teilnahmen an der Vierschanzentournee. 1997 debütierte der eine in Oberstdorf, bereits 1989 gar der andere. Doch Winter-Nostalgiker müssen nun ganz stark sein: Als am Donnerstag die 71. Tournee begann, waren erstmals seit 28 Jahren weder der „Simi“ noch der „Nori“ dabei. Es könnte ein sportlicher Abschied für immer von den „fliegenden Fossilien“ sein. Mittlerweile sind es andere Springer, die den Weltcup dominieren, sowie Halvor Egner Granerud. Der 26-Jährige sorgte mit einer gnadenlosen Flugshow zum Auftakt der Tournee am Donnerstag für Furore. Mit Flügen auf 142,5 und 139,0 m erzielte der Norweger zweimal die Bestweite, mit 312,4 Punkten gewann er am Ende sogar deutlich vor Normalschanzen-Weltmeister Piotr Zyla (299,0) und Topfavorit Dawid Kubacki (294,9/beide Polen). Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie erlebten die Athleten dabei beim Allgäuer Skisprung-Festival wieder Partystimmung vom Feinsten. Schon lange bevor der erste Springer abhob, feierten die Fans in den Straßen und Gassen des ansonsten so beschaulichen Ortes. 25.000 Skisprungfans in dem 10.000-Einwohner-Ort bedeuteten Ausnahmezustand. Blaskapellen vor den Kneipen und eine Open-Air-Bühne sorgten für Volksfestatmosphäre: Aus den Lautsprechern auf einem großen Polizeitransporter am Bahnhof schallten den Menschen Schlagermusik und Partyhits entgegen.
Ammann und Kasai mussten das Ganze aus der Ferne beobachten. „Ich hatte gehofft, dass es reichen würde. Aber ich musste damit rechnen“, sagte der Schweizer, nachdem er bei seiner angekündigten „Standortbestimmung“ zum Saisoneinstieg, dem Heim-Weltcup in Engelberg Mitte Dezember, nicht die Qualifikation für den Wettkampf geschafft hatte. An der Athletik mangele es ihm, sagte der 41-Jährige, „die Zeit fürs Gym hat gefehlt, das Studium in St. Gallen ist echt anspruchsvoll“.
So reicht es eben nicht für den Weltcup, das weiß der größte Schweizer Skispringer der Geschichte selbst am besten. Und so fuhr er nicht nach Oberstdorf, sondern zurück nach Engelberg: Dienstag, zweitklassiger Continental Cup, mit Wohlwollen 200 Zuschauer – Ammann wurde 33., verpasste den zweiten Durchgang.
Neue Ziele
Als Tagessieger Benjamin Östvold aus Norwegen geboren wurde, stand Ammann kurz vor seinem ersten Wahnsinns-Winter, 2001/02, als er die ersten beiden von vier Olympiasiegen holte. Dreimal hatte er damals die Tournee schon bestritten, die er später zweimal auf Platz zwei beendete (2009 und 2011). Gewonnen hat er sie – wie Kasai – nie, es ist der einzige große Titel, der dem ansonsten vollendeten Ammann fehlt.
„Nein, auf keinen Fall“, sagte er im Vorjahr in Garmisch, würde er eine seiner olympischen Goldmedaillen gegen den Goldadler eintauschen, „ich habe mich bei der Tournee voll ausleben können.“ Das kann auch Kasai von sich behaupten, der vor 33 Jahren noch im Parallelstil erstmals auf die Tourneebühne flog, ebenfalls zweimal (1993 und 1999) Zweiter wurde. 2018/19 schaffte er es letztmals in Japans Tournee-Team, 47 war er damals, viele sagen, er hätte es dabei belassen sollen.
Am Dienstag übte Kasai, mittlerweile fünfzigeinhalb, auf den Schanzen in Nayora und Shimokawa, nordjapanische Kleinstädte. „Besseres Training gibt es nicht“, sagte der Skiflugweltmeister von 1992, der eines der großen japanischen Werksteams leitet, quasi Boss von Topstar Ryoyu Kobayashi ist – er könnte sich längst auf die Direktive beschränken.
Aber noch immer kann Kasai nicht vom Wettkampfdasein lassen, startet bei kleineren nationalen Konkurrenzen – ein Engelberger Continental Cup ist dagegen ein Hexenkessel. Was treibt sie also an, Ammann, Kasai, mit 41, mit 50? Vor allem ist es wohl der Traum vom Fliegen, das schiere Skispringen an sich. Ein Radfahrer, ein Läufer – der kann nach der Profikarriere noch fahren und laufen. Ein Skispringer – der springt nie wieder.
Und so haben beide ihre Ziele. Kasai träumt von der Rückkehr auf die große Bühne, vom neunten Olympia. Es wird nicht funktionieren. Ammann hat die WM im Februar in Planica im Auge. Es könnte klappen.
Im Überblick
1. Springen der Vierschanzentournee in Oberstdorf: 1. Halvor Egner Granerud (Norwegen) 312,4 Punkte, 2. Piotr Zyla (Polen) 299,0, 3. Dawid Kubacki (Polen) 294,9, 4. Karl Geiger (Deutschland) 293,6, 5. Stefan Kraft (Österreich) 292,0, 6. Andreas Wellinger (Deutschland) 285,2, 7. Lovro Kos (Slowenien) 280,7, 8. Daniel Tschofenig (Österreich) 278,8, 9. Kamil Stoch (Polen) 276,1, 10. Anze Lanisek (Slowenien) 267,4
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