Charmebolzen Tadej Pogacar schäkerte auf der Bühne an der prachtvollen Grand’Place von Lille mit den Fans, pfefferte seinen gelben Spaßhut ins Volk und pries die Schönheit der Stadt und ihrer Menschen. Jonas Vingegaard hingegen winkte höflich den Massen zu und genoss leise die flirrende Atmosphäre. Absolute Attacke gegen abwartende Achtsamkeit: Die mutmaßlichen Hauptdarsteller der 112. Tour de France blieben schon bei der Ouvertüre streng in ihren Rollen.
„Bonsoir, Lille! Comment allez-vouz?“, erkundigte sich Titelverteidiger Pogacar in unfallfreiem Französisch am strahlendsten Ort des eher grauen gallischen Nordostens nach dem Befinden der jubelnden Scharen und verkündete: „Wir sind bereit für einen großen Kampf.“ Einen Kampf ab Samstag über 21 Etappen und eine Unzahl an Bergen, in den der dreimalige Tour-Champion nach den jüngsten Eindrücken als Favorit geht.
„Die Vorbereitung lief fast perfekt. Aber in einem so langen Rennen kann viel passieren“, sagt der 26-Jährige, der zum jüngsten Vierfach-Sieger der Tour werden kann: „Auch Jonas ist in großer Form und weltbester Kletterer – für die Fans könnte das ein großer Monat werden.“
Soloshow?
Tausendsassa Pogacar, der im Frühjahr Rennen um Rennen bestritt (und gewann), gegen den enigmatischen Vingegaard, der sich wie gewohnt monatelang in Klausur begab: Das slowenisch-dänische Gegensatz-Duell bestimmt die Tour seit 2021. Und es verläuft teils ruppig.
Die neue Netflix-Doku-Staffel zur Tour zeigt, wie Pogacar auf der Schotter-Etappe des Vorjahres dem passiven Vingegaard an seinem Hinterrad die Aufforderung entgegenbrüllt, doch bitte Geschlechtsverkehr mit sich selbst zu betreiben. „Das war unschön, aber der Kampfeshitze geschuldet“, sagte Pogacar in Lille: „Ich habe nichts als Respekt vor Jonas.“ 2024 war der nach einem Sturz im Frühjahr notdürftig zusammengeflickte Vingegaard zwar Zweiter, aber insgesamt chancenlos: „Jetzt muss ich besser als jemals zuvor sein, denn auch Tadej wird das sein.“
Wird die Tour eine Pogacar-Soloshow? Ein Pogi-Vingo-Duell? Oder ein noch offeneres Rennen? Belgiens Olympiasieger Remco Evenepoel würde nach Vorjahresplatz drei gerne weiter aufsteigen, Pogacars Landsmann Primoz Roglic jagt bald 36-jährig weiter diesem verflixten Tour-Titel nach. Bei beiden bestehen aber berechtigte Zweifel, dass es dazu langt. (SID)
De Maart
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