Petz Lahure aus Wetzikon
Die Tour de Suisse wird aller Wahrscheinlichkeit nach erst morgen am letzten Renntag entschieden. Auf dem Programm steht ein 26,9 km langes Einzelzeitfahren von Liestal nach Liestal. Über Bubendorf Bad und Hölstein steigen die ersten 11 km leicht an (230 Höhenmeter). Danach folgt ein langer Rollerabschnitt über Diegten, Sissach und Lausen zurück nach Liestal.
Alles ist bereit für den „Showdown“ am Sonntag. Heute, auf der vorletzten Etappe, warten zwar noch einige anspruchsvolle Steigungen auf die Rennfahrer, doch rechnet niemand damit, dass die Gesamtwertung auf der Fahrt von Wetzikon nach Liestal (172,4 km) durcheinandergewirbelt wird.
Die Ausgangslage ist klar. Robert Gesink führt mit 29″ auf den Kolumbianer Rigoberto Uran, 36″ auf den Schweizer Steve Morabito, 38″ auf Frank Schleck, 42″ auf Joaquin Rodriguez, 54″ auf Matteo Carrara und 55″ auf Lance Armstrong. Andere ausgesprochene Zeitfahrspezialisten wie Andreas Klöden (1’48“), Levi Leipheimer (2’18“), Tony Martin (2’19“), Roman Kreuziger (2’24“) oder Erik Gustav Larsson (2’24“) liegen weiter zurück.
Feste Anhaltspunkte und eventuelle Vergleiche zwischen den für den Schlusssieg in Frage kommenden Fahrern gibt es für dieses Zeitfahren nicht. Fest steht nur, dass Tony Martin letztes Jahr hinter Fabian Cancellara der Stärkste beim abschließenden „contre-la-montre“ in Bern war, doch auch das lässt wiederum keine gültige Schlussfolgerung im Hinblick auf Sonntag zu. Die Strecke Liestal-Basel-Liestal ist nämlich um 11 km kürzer als die von 2009 und auch leichter.
Eines allerdings ist klar: Als letzter Fahrer startet Robert Gesink morgen um 16.15 Uhr mit dem Bonus des „Maillot Or“. Das gelbe Trikot hat schon andere als den jungen Holländer beflügelt. Wer es auf den Schultern trägt, ist moralisch aufgepäppelt. Denn nicht alles spielt sich bei einer „épreuve de vérité“ wie dem Einzelzeitfahren in den Beinen, sondern so manches auch im Kopf ab.
Die Schweizer dagegen wetten auf Steve Morabito, dem über Nacht ungeahnte Fähigkeiten in dieser Spezialdisziplin nachgesagt werden. Ein Blick aufs Klassement vom letzten Jahr verrät genau das Gegenteil. In Bern kam Morabito nicht über den 110. Rang mit 5’46“ Rückstand auf seinen Landsmann Cancellara hinaus.
Also vielleicht doch Armstrong? Um es zu schaffen, müsste der US-Amerikaner, der die Tour de Suisse 2001 gewann, fast eine Minute auf den Holländer wettmachen. Ist das auf einer Strecke von knapp 27 km überhaupt realisierbar? Für Gesink jedenfalls ist Armstrong sein gefährlichster Gegner. Das sagte er gestern Abend auf der Pressekonferenz des Tour-Leaders.
Für die drei Luxemburger Fahrer ist das „contre-la-montre“ ein echter Test im Hinblick auf die zweitletzte Tour-de-France-Etappe Bordeaux-Pauillac. „Wir werden in Liestal denn auch mit voller Kraft fahren“, sagen sowohl die Gebrüder Schleck als auch Kim Kirchen. Für Frank steht eine gute Platzierung im Gesamtklassement auf dem Spiel (eventuell sogar ein Podiumsplatz), Andy versucht, es mindestens so gut zu machen wie letztes Jahr beim Chrono in Bern (Rang 15.), und Kim Kirchen will beweisen, dass er nichts von seinen Zeitfahr-Fähigkeiten verloren hat.
Die gestrige Etappe stand im Zeichen des Deutschen Marcus Burghardt, der schon die Etappe in Frutigen gewonnen hatte. Er löste sich nach rund 60 km aus einer 16-köpfigen Spitzengruppe, der ausser Burghardt noch folgende Fahrer angehörten: Matti Breschel (Saxo Bank), Aliaksandr Kuschynski, Manuel Quinziato (Liquigas), Maxim Iglinskiy (Astana), Mark Renshaw (Columbia), Mathias Frank (BMC), Greg Van Avermaet (Omega-Lotto), Luis Leon Sanchez (Caisse d’Epargne), Oscar Freire, Tom Leezer (Rabobank), Daniel Sesma (Euskaltel), Jürgen Van De Walle (Quick Step), Matthew Wilson (Garmin), Juan Antonio Flecha (Sky), Michal Golas (Vacansoleil).
Während das Peloton die Ausreißer ziehen ließ, zersplitterte die Gruppe hinter Burghardt, so dass der Deutsche vom unkoordinierten Zu-Werke-Gehen seiner Verfolger profitierte. So konnte er problemlos mit 1’01“ Vorsprung auf Oscar Freire, Greg Van Avermaet und Manuel Quinziato ins Ziel fahren. Neben Burghardt, der die deutsche Tradition in Wetzikon fortsetzte (hier gewannen auch Hennes Junkermann und Rolf Aldag), durfte sein Teamkamerad Matthias Frank (Rang 6) jubeln. Er punktete sich im Gesamt-Bergpreis außer Reichweite.
Das Peloton mit Leader Robert Gesink sowie den drei Luxemburgern Kim Kirchen (35.), Frank Schleck (50.) und Andy Schleck (69.) traf mit fünf Minuten Verspätung in Wetzikon ein. In der Gesamtwertung blieben Frank (4.) und Andy Schleck (11.) auf ihren Positionen, während Kim Kirchen auf Platz 48 vorrückte.
Radsport in Zahlen
74. Tour de Suisse, 7. Etappe über 204,1 km von Savognin nach Wetzikon: 1. Marcus Burghardt (Deutschl./BMC) 4:52:02 Stunden, 2. Oscar Freire (Spanien/Rabobank) 0:29 Minuten zurück, 3. Greg Van Avermaet (Belgien/Omega), 4. Manuel Quinziato (Italien/Liquigas) beide gleiche Zeit, 5. Luis Leon Sanchez (Spanien/Caisse d’Epargne) 1:08, 6. Matthias Frank (Schweiz/BMC) gleiche Zeit, … 27. Lance Armstrong (USA/RadioShack), 35. Kim Kirchen (Luxemburg/Katusha), 50. Frank Schleck, 69. Andy Schleck (beide Luxemburg/Saxo Bank) alle auf 5:00
Gesamtwertung: 1. Gesink 30:15:59 Stunden, 2. Rigoberto Uran (Kolumbien/Caisse d’Epargne) 0:29 Minuten zurück, 3. Steve Morabito (Schweiz/BMC) 0:36, 4. F. Schleck 0:38, … 7. Armstrong 0:55, 11. A. Schleck 1:40, 48. Kirchen 19:46
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