Fußball / Moldawien: Die etwas andere Republik am Rande Europas

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Wenn die Luxemburger Nationalmannschaft morgen in Chisinau gegen Moldawien antritt, treffen sich zwei Mannschaften, die durchaus auf Augenhöhe sind. Zumindest, wenn man das 0:0 aus dem Hinspiel am 15. Oktober 2008 zugrunde legt. Und da enden auch schon die offensichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern. / Aus Chisinau berichtet „T“-Redakteur Kim Hermes

Chisinau liegt im Dunkeln. Straßenbeleuchtung scheint es am Donnerstagabend in der moldawischen Hauptstadt wenig bis gar keine zu geben. Für Licht sorgen die wenigen Leuchtreklamen von Casinos oder Restaurants. Das goldene M einer bekannten Fastfood-Kette und ein Metro-Supermarkt mit einem allenfalls halb vollen Parkplatz sind die augenfälligsten westlichen Stilelemente. Und auch wenn hier und da ein Fahrzeug der Marke Bentley die Straße kreuzt, ist das noch junge Moldawien das Armenhaus Europas.MOLDAWIEN STECKBRIEF

o Fläche: 33.800 km2

o Einwohner (2007): 380.4000 (113/km2)

o Hauptstadt: Chisinau

o Sprache: Moldauisch

o Währung: 1 Moldau-Leu (MDL) = 100 Bani

o Politische Führung: Der kommunistische Präsident Wladimir Woronin ist vor zwei Tagen zurückgetreten. Laut Verfassung wird der Ende August gewählte prowestliche Parlamentschef Mihai Ghimpu das Amt des Präsidenten vorübergehend übernehmen.

o Politisches System: Verfassung von 1994, Republik, Parlament (Parlamentul) mit 101 Mitgliedern

o Bruttonationaleinkommen 2006 pro Einwohner: 1.210 $ (849 Euro) Luxemburg: 72430 $ (50.835)

o Quelle: Fischer Weltalmanach
Dabei war Moldawien eine der wohlhabenderen Sowjetrepubliken. Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion erklärte das Land 1991 seine Unabhängigkeit. Im Westen grenzt die noch junge Republik an Rumänien, ansonsten wird sie von der Ukraine umschlossen. Der Fluss Dnjestr teilt das Land von Nord nach Süd. Und das ist nicht nur bildlich zu verstehen. Denn als Moldawien seine Unabhängigkeit proklamierte, rief man östlich des Dnejstr die autonome Republik Transnistrien aus, von Kritikern mittlerweile auch als „Freiluftmuseum des Kommunismus“ bezeichnet.
Was folgte, war ein bewaffneter Konflikt, der Hunderte Menschen das Leben kostete. Der Krieg endete damit, dass russische Truppen in Transnistrien, das Russland nahe steht, stationiert wurden, um den Frieden zu sichern. Bis heute ist dieses Problem nicht gelöst. Beide Seiten versuchten zwischenzeitlich ihre Positionen durch Referenden und Gegenreferenden zu festigen. Transnistrien hat eine eigene Flagge, eine eigene Währung, die keiner anerkennt, und Pässe, mit denen man nirgends hinreisen kann. Die Grenze wird bewacht, passieren darf man gegen Einreisegebühr. Und auch wenn Transnistrien offiziell nicht anerkannt wird, Moldawien ist geteilt und wird es wohl noch eine ganze Weile bleiben. Denn 2008, als Russland im Konflikt um Südossetien Georgien und der ganzen Welt seine militärische Macht demonstrierte, durfte das Ganze ebenfalls als Warnung an andere Staaten verstanden werden, die ähnlich wie Georgien versuchen könnten, die Integrität ihres Territoriums auf Kosten russlandtreuer Provinzen gewaltsam durchzusetzen.
Denn während im moldawischen Kernland zwei Drittel Moldawier (neben Russen, Ukrainern, Bulgaren und Gagausen) leben, sind in Transnistrien die Russen mit zwei Dritteln der dominierende Bevölkerungsanteil. In Transnistrien sind die großen Industriebetriebe, mithin sitzt dort das Geld, von dem das bitterarme und landwirtschaftlich geprägte Moldawien so wenig hat. Auch ein Grund, dass mittlerweile ein Viertel der ursprünglichen Bevölkerung das Land verlassen hat und mit den Überweisungen aus dem Ausland die Zurückgebliebenen am Leben hält.
Dass das Land am Rande Europas viel Konfliktpotenzial bietet, verdeutlichten zuletzt die Parlamentswahlen. Die kommunistische Partei ging als Sieger hervor, die Opposition sprach von Wahlbetrug. Es kam zu Ausschreitungen und die Wahlen wurden wiederholt. Vor zwei Tagen trat der kommunistische Präsident Wladimir Woronin zurück. Laut Verfassung wird der Ende August gewählte prowestliche Parlamentschef Mihai Ghimpu das Amt des Präsidenten vorübergehend übernehmen. Ghimpu gilt als Anhänger einer Vereinigung mit dem EU-Nachbarn Rumänien.

Matchball in Moldawien

Fußballerisch wurde das Land in den vergangenen Jahren von Transnistrien dominiert. Der nach dem gleichnamigen Industriekonzern benannte Sheriff Tiraspol ist Serienmeister Moldawiens und verfügt über eine der modernsten Fußball-Anlagen Osteuropas. Es dürfte auch der einzige Verein sein, der sich teure Spieler aus dem Ausland leisten kann, was in der Bevölkerung angesichts der allgegenwärtigen Armut nicht nur Beifallsstürme erzeugt.
Und doch scheint der Fußball eine der wenigen einigenden Kräfte in einem de facto geteilten Land zu sein. So soll es noch nie Probleme gegeben haben, wenn in der ersten Liga „transnistrische“ auf „moldawische“ Vereine getroffen sind.
Sind die Beziehungen vielleicht auch politisch brisant, so ist der Umgang auf dem Platz und in den Rängen offenbar sportlich fair. Integrationsmotor ist jedoch die Fußball-Nationalelf. Die hatte bis vor kurzem ihren Bekanntheitsgrad vor allem dem britischen Schriftsteller Tony Hawks zu verdanken. Der hatte 1999, als England gegen Moldawien gewonnen hatte, aus einer Bierlaune mit einem Freund gewettet, dass er alle moldawischen Nationalspieler im Tennis besiegen würde. Hawks gewann seine Tresen-Herausforderung, sein Bericht darüber wurde unter dem Titel „Matchball in Moldawien“ ein Bestseller.

Der Trainer ist der Star

Noch hat die moldawische Nationalmannschaft nicht ganz die Strahlkraft, sich anderweitig prominent in Szene zu setzen. Aber die Zeiten, als man als Kuriosum für einen bierseligen britischen Schriftsteller herhalten musste, sind passé. Der Star des Teams ist allerdings immer noch der Trainer, Igor Dobrowolski. Marseille, Genua oder Atlético Madrid waren die Stationen eines der größten Talente der ehemaligen Sowjetunion, in dem viele ein schlampiges Genie sahen, der aber als Trainer richtig poltern kann, wenn es mal nicht so läuft, wie er es sich vorstellt. Nach dem 0:0 in Luxemburg war er gar richtig angewidert und sprach davon, wie enttäuscht er gewesen sei, dass Luxemburg kein Tor geschossen habe.
Der Fußballzwerg Moldawien hat andere Ansprüche, als gegen den Fußballzwerg Luxemburg nur ein 0:0 zu holen. Das kommt nicht von ungefähr. Für eine WM- oder EM-Endrunde hat es zwar noch nie für den 3,3-Millionen-Einwohner-Staat gereicht, aber es gab Siege gegen Bosnien, Malta, Ungarn oder Weißrussland, die ebenso wie die Unentschieden gegen die Türkei oder Schottland doch zu einiger Beachtung geführt haben.
Dass man in der Qualifikationsgruppe zur WM 2010 derzeit den letzten Platz belegt, nur mit dem in Luxemburg erbeuteten Punkt, kommt da einer Enttäuschung gleich. Denn auch wenn der Fußball das Land mit Sicherheit nicht einen wird, werden die Siege der Nationalmannschaft auf beiden Seiten des Dnjestr bejubelt. Man muss nur mal endlich wieder einen Grund finden. Am besten gleich morgen Abend gegen Luxemburg. 

Ohne Ferreira 

22 Spieler hatte Nationaltrainer Guy Hellers für den Doppeltermin selektioniert (siehe „T“ vom 1. September): Nur 21 konnten die Reise gestern mit antreten. Nicht dabei bei den beiden Länderspielen gegen Moldawien (morgen in Chisinau) und gegen Israel (am kommen Mittwoch in Tel Aviv) ist der Ettelbrücker Carlos Ferreira.
Das Aufgebot: Jonathan Joubert (F91), Marc Oberweis (Jeunesse), Fabiano Castellani (UN Käerjeng) – Gilles Bettmer (Freiburg/D), Guy Blaise (Virton/B), Dan Collette (Jeunesse) Daniel Da Mota (F91), Eric Hoffmann (Jeunesse), Mathias Jänisch (Déifferdeng 03), Kim Kintziger (Déifferdeng 03), Fons Leweck (Etzella), Claudio Lombardelli (Jeunesse), Kevin Malget (Aachen/D), Massimo Martino (Wuppertal/D), Mario Mutsch (Metz/F), Ben Payal (F91), Joël Pedro (Sedan/F), René Peters (Jeunesse), Jacques Plein (Etzella), Serdjo Pupovac (Jeunesse), Jeff Strasser (Grasshoppers Zürich/CH)