Tageblatt: Als Porsche-Werksfahrer sind Sie dieses Jahr in der Formel E zum Andretti-Team gestoßen, das mit dem Porsche-Motor an den Start geht. Sie fahren zusammen mit Jake Dennis, der schon länger bei Andretti ist und auch dort 2023 Champion wurde. Wie ist Ihr Fazit?
Nico Müller: Es ist nicht so rund gelaufen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Jedes Mal, wenn wir in der Position waren, wo Podiumsplätze oder sogar mehr drin waren, hat uns jemand in die Suppe gespuckt. Unsere Rennperformance war generell sehr stark, aber im Qualifying haben wir uns schwergetan. Seit dem zwölften Rennen in Jakarta habe ich mich aber mit dem Auto viel wohler gefühlt. Jake und ich arbeiten sehr gut zusammen. Nach den vielen Erfolgen, die er mit dem Team gefeiert hat, ist das Andretti-Team für ihn wie ein zweites Zuhause. Ich selber habe mich gut im Team eingearbeitet, aber ich kann immer noch von Jake dazulernen, was eine gute Sache ist. Die Formel E ist ein Teamsport. Da muss man sein Umfeld kennenlernen und wissen, wie man am effizientesten zusammenarbeitet, und das braucht natürlich eine gewisse Zeit. Jakes und mein Fahrstil sind nicht hundertprozentig identisch. Jeder hat seinen natürlichen Stil, aber man versucht schon, sich etwas anzupassen, um bei den einen oder anderen Dingen das bestmögliche Potenzial herauszuholen. Es gilt halt, die Unterschiede zu managen.
Was können Sie uns zum Porsche-Antrieb und zur Zusammenarbeit mit dem Porsche-Werksteam sagen?
Wir haben mit dem Porsche-Motor eines der besten Pakete überhaupt. Insbesondere, was die Effizienz angeht, sind wir sehr stark. Daher ist es ein Privileg, mit dem Paket am Start sein zu dürfen und damit immer konkurrenzfähig zu sein, auch wenn mit der Gen3evo das Feld noch enger zusammengerückt ist. Im Andretti-Team haben wir natürlich Leute von Porsche, die sicherstellen, dass das Paket so funktioniert, wie es muss, aber draußen auf der Strecke kämpft jeder für sich, klar.
Es ist immer wieder interessant, die verschiedenen Meinungen der Piloten zu hören, was das Thema Einzel- oder Doppelprogramm betrifft. Letztes Jahr fuhren Sie neben der Formel E noch als Werksfahrer bei Peugeot in der WEC, heute fast ausschließlich Formel E. Also, lieber Konzentration auf eine Serie oder lieber Doppelprogramm?
Als Rennfahrer möchtest du immer so viele Rennen wie möglich bestreiten. Dies ist auch meine grundsätzliche Meinung, da ich glaube, dass man, auch mit 33, immer noch dazulernen kann, je mehr Rennen man fährt, egal mit welchem Auto. Ich verstehe aber auch, dass es für Hersteller schwierig ist, mit Doppelprogrammen einverstanden zu sein, wenn die Kalender noch nicht hundertprozentig feststehen oder es noch Änderungen geben kann. Ich bin bis dieses Jahr immer Doppelprogramme gefahren und habe auch dieses Jahr das Privileg, neben der Formel E noch einige Einzeleinsätze fahren zu können (LMDh in Sebring, Spa und Le Mans). Die beiden letzten Jahre habe ich mich auf Formel E und LMDh konzentriert und bin keine GT3 gefahren. Bei Porsche haben wir das Thema GT3 aber auch andiskutiert. Grundsätzlich wäre ich schon interessiert, bei den schönen GT3-Siegen dabei zu sein, aber wenn ich dies mache, dann will ich es auch richtig machen und nicht nur freitags antreten, mich hineinsetzen und einfach mal fahren. Es braucht auch hier eine gewisse Vorbereitung, denn es gibt heute eine Reihe von GT3-Spezialisten, die schon wissen, was sie tun. Da kannst du nicht einfach aufkreuzen und glauben, du wärst direkt bei der Musik dabei. Ich habe den Anspruch an mich selbst, wenn ich etwas tue, das auch richtig zu tun. Vielleicht ergibt sich in den kommenden Wochen ja noch etwas, nachdem die Formel-E-Saison vorbei ist.

Kommen wir zu einem ganz anderen Thema. Sie kommentieren die Formel 1 für das Schweizer Fernsehen. Wie ist es für einen aktiven Rennfahrer, die Königsklasse zu kommentieren?
Ja, das mache ich sporadisch, so fünf bis sechs Rennen pro Jahr. Das macht mir Spaß, es ist cool, aber ich fokussiere mich natürlich auf meine eigene Rennfahrerei. Ich kommentiere die Formel 1, wenn es sich zeitlich ergibt. Das Kommentieren ist schon ganz spannend, weil man immer wieder eine neue Perspektive bekommt zu dem, was wir alltäglich machen. Es klingt vielleicht ganz lustig, aber manchmal kannst du auch aus dieser Perspektive etwas dazulernen. Wie die Teams funktionieren oder wie die Piloten verschiedene Situationen managen. Wenn du das von außen analysieren kannst, ist es manchmal einfacher, das „Big Picture“ zu sehen. Es gibt schon das eine oder andere, was ich für meine aktive Karriere mitnehmen kann. Die Formel 1 ist nach wie vor die Spitze unseres Sports und da ganz nahe mit dabei zu sein, ist schon sehr spannend. Ich bin einfach ein Fan unseres Sports.
In der Schweiz gab es zwei Formel-E-Rennen, 2018 in Zürich und 2019 in Bern. Wie steht es allgemein mit dem Interesse in Ihrer Heimat?
Bern war schon etwas chaotisch, aber ich fand die Strecke sehr interessant. Ich glaube, dass bei uns in der Schweiz grundsätzlich ein Interesse für die Formel E besteht. Aber es gibt sicher einen Unterschied zwischen den Leuten, die die Formel E am Fernseher verfolgen, und denjenigen, die es in die Hand nehmen könnten, noch ein Rennen innerhalb der Schweizer Landesgrenze (wo es keine Rennstrecken gibt) zu organisieren. Was die Formel-E-Rennstrecken betrifft, so spricht die Entwicklung für sich: Weil die Formel-E-Rennwagen immer schneller werden, ist es eine nötige Konsequenz, immer mehr auf traditionelle Strecken auszuweichen, da die Sicherheitsstandards auf Stadtkursen nicht mehr einzuhalten sind, besonders wenn ich an die zukünftigen Gen4-Autos denke (die 2026/27 kommen und viel schneller sein werden; Anm. d. Red.).
Bitte geben Sie uns zum Schluss noch Ihre Meinung zum neuen Pit-Boost, den neu eingeführten Lade-Boxenstopps.
Es ist grundsätzlich ein spannendes, strategisches Element und für Teams und Fahrer ein weiteres Tool, mit dem man etwas richtig oder falsch machen kann und noch etwas mehr Würze in das Ganze reinbringt. In der Kombination mit dem Attack-Mode, der jetzt mit dem Allradantrieb so powerful ist, wird das Rennen schon sehr viel durchmischt. Den Überblick zu halten ist für uns im Auto schon sehr schwierig, da kann ich mir also vorstellen, dass es für den Fan sehr kompliziert ist. Da den richtigen Mix zu finden ist die große Herausforderung.
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