Mit Plastikfolie um Kopf und Beine, in dicker Winterkleidung, fährt der Norweger Tobias Johannessen bei strahlendem Sonnenschein und angenehmen 25 Grad Celsius auf dem Rad. Auf den ersten Blick wirkt das Instagram-Video des Uno-X-Mobility-Fahrers, das er wenige Tage vor dem Start der Tour de France gepostet hat, ziemlich skurril.
Doch es hat einen ganz bestimmten Zweck: Es ist Teil seines Hitzetrainings, mit dem er seine Körpertemperatur gezielt auf bis zu 39,6 Grad Celsius steigern will.
„Natürlich ist der Hauptvorteil, dass man sich besser an die Hitze anpasst und dadurch unter heißen Bedingungen leistungsfähig bleibt“, erklärt Rory Nolan, Teamarzt der norwegischen Mannschaft, gegenüber der AFP. „Das kann einen echten Einfluss darauf haben, wie der Körper mit Energie umgeht.“
Angesichts des sich verändernden Klimas und der Tatsache, dass Etappen bei über 30 Grad fast schon zur Norm auf der Tour de France geworden sind, gewinnt die Anpassung an Hitze immer mehr an Bedeutung.
Aber das Hitzetraining – mittlerweile bei fast allen Teams Standard – hat noch einen weiteren Effekt: Es steigert das Blutplasmavolumen. Dadurch kann das Herz den Sauerstoff effizienter in die Muskeln transportieren – ein entscheidender Leistungsfaktor in diesem extrem fordernden Sport.
„Die normale Reaktion des Körpers auf Hitze ist, dass sich die Blutgefäße an der Oberfläche weniger stark weiten. Das erhöht den Blutfluss zu den Muskeln und unterstützt die Leistung während der Etappen“, so Rory Nolan.
Eine wichtige Entwicklung
Hitzetraining bringt ähnliche Vorteile wie Höhentrainingslager, die viele Teams seit Jahren absolvieren.
Im Team UAE ist man überzeugt, dass die Leistungssprünge von Tadej Pogacar seit 2024 – besonders sichtbar bei der letzten Tour de France – auch auf die Weiterentwicklung des Hitzetrainings zurückzuführen sind.
„Das ist eine bedeutende Weiterentwicklung, die wir sehr effektiv umgesetzt haben“, betont Jeroen Swart, der Performance-Direktor des Teams.
„Der große Vorteil dieses Trainingsprotokolls ist, dass man es überall durchführen kann – also auch von zu Hause aus. Zum Beispiel mit heißen Bädern oder auf dem Heimtrainer in dicker Kleidung“, erklärt David Hulse, Mitglied des medizinischen Teams von EF Education-EasyPost.
Das ermöglicht eine individuelle Anpassung des Programms an jeden Fahrer – denn Sportler aus wärmeren Ländern reagieren anders auf Hitze als solche aus kühleren Regionen.
„Während unserer Trainingslager analysieren die Ärzte, wie jeder Fahrer auf die Hitze reagiert, um zu bestimmen, wie lange er im heißen Bad bleiben oder auf dem Rad trainieren soll“, sagt Hulse weiter.
„Es gibt auch Schattenseiten“
Das amerikanische Team EF Education-EasyPost führte das Hitzetraining nach den Olympischen Spielen in Tokio 2021 ein. Die Erfahrungen von Jon Greenwell, dem damaligen Leiter des medizinischen Teams, flossen direkt ein – er betreute dort das britische Triathlon-Team unter extrem heißen Bedingungen.
Zuletzt sprach auch die luxemburgische Radsportlerin Nina Berton über das Hitzetraining. Die EF-Education-Oatly-Radsportlerin hatte sich so auf die hohen Temperaturen beim Giro d’Italia vorbereitet.
Dieses Training half auch EF-Fahrer Ben Healy, dem Sieger der 6. Etappe am vergangenen Donnerstag. Er stammt aus der Gegend um Birmingham in England, wo hohe Temperaturen eher selten sind.
„Er war einer der ersten Fahrer im Team, der dieses Programm absolvierte, und es hat ihm sehr beim letztjährigen Tour-Auftritt geholfen“, berichtet David Hulse.
Für Uno-X ist das Hitzetraining besonders nützlich: Das Tour-Aufgebot besteht ausschließlich aus norwegischen Fahrern – die oft bei Temperaturen von minus zehn Grad trainieren, wie Rory Nolan erzählt. „Wir trainieren das ganze Jahr über unter Hitzebedingungen, verstärkt ab dem Frühsommer – also vor dem Critérium du Dauphiné bis hin zur Tour.“
Doch nicht alle Fahrer sind begeistert von dieser neuen Methode: „Ich bin da eher altmodisch“, witzelt Bruno Armirail vom Team Decathlon-AG2R. „Aber heutzutage macht das jeder, und wenn man leistungsfähig sein und sich verbessern will, muss man eben mitziehen. Es ist unser Beruf – und der bringt eben auch gewisse Zwänge mit sich.“ (AFP)
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