Der Tag nach der historischen Abreibung begann mit einer Krisensitzung in aller Frühe. „Das war wichtig vor den eineinhalb freien Tagen“, berichtete Vize-Kapitänin Sjoeke Nüsken am Sonntagmittag von der Alarmreaktion der schwer angeschlagenen deutschen Fußballerinnen: „Damit wir es abhaken können, den Fußball ein bisschen vergessen und am Dienstag neu angreifen.“
Im Anschluss an die Aussprache sollten sich die Zweifel an der Titelmission zerstreuen – so lautete jedenfalls der Plan. Wunden lecken im Kreise von Familien und Freunde war angesagt. Für ein paar Stunden keinen Gedanken mehr an das verschwenden, was Nüsken und Kolleginnen am Vorabend so schmerzhaft auf den Boden der Tatsachen befördert hatte. Abgehakt war die EM-Lehrstunde aber keineswegs.
„Wir liegen jetzt am Boden, wir werden aber auch wieder aufstehen“, versprach Bundestrainer Christian Wück nach dem heftigen 1:4 (1:3) gegen Schweden, der höchsten deutschen Pleite der EM-Geschichte, durch die das DFB-Team auch den Gruppensieg verpasste. Wück bleibt knapp eine Woche bis zum Viertelfinale am Samstag in Basel, um den Rückschlag endgültig aus den Köpfen zu bekommen.
Einen ersten Mutmacher gab es am Sonntagvormittag beim Regenerationstraining. Rund 350 geladene Kiebitze (Fanklub-Mitglieder plus Familienangehörige und Freunde) spendeten aufmunternden Applaus. Danach wurden fleißig die nach wie vor gefragten Autogramme geschrieben.
Einen gebrauchten Tag wie diesen im Züricher Letzigrund „würde man am liebsten nicht dabei haben. Aber ich habe ihn lieber heute als an einem anderen Tag“, sagte Laura Freigang. Sie betonte auch: Die Partie sei „auf jeden Fall ein Reality-Check in dem Sinne, dass es uns erinnert, wie präsent man zu jeder Minute des Spiels sein muss.“
Die Stimmung im DFB-Lager schwankte nach dem „Realitätscheck“ jedenfalls zwischen Ernüchterung, Trotz und Zweckoptimismus. Und während in der Öffentlichkeit die Zweifel wuchsen, änderte die erste deutsche EM-Niederlage überhaupt gegen Schweden zumindest nichts an der Selbsteinschätzung, wie Nüsken klarstellte: „Wir wollen weiterhin um den Titel spielen.“
Fragiles Gebilde
Dennoch wird Wück zunächst eine Antwort auf die wichtigste Frage finden müssen: Wie konnte das passieren? Anfangs hatten die DFB-Frauen noch furios aufgespielt und sehenswert die Führung durch Jule Brand erzielt. Schwedens Ausgleich und spätestens die Rote Karte gegen Carlotta Wamser (31.) nach einem Handspiel vor der Torlinie brachten das gesamte Konstrukt aber ins Wanken. Auch Torhüterin Ann-Katrin Berger wirkte fahrig im Spiel mit dem Ball. Die verletzte Kapitänin Giulia Gwinn musste die Aussetzer ihrer Kolleginnen hilflos von der Bank aus verfolgen.
Eines der größten Mankos der verjüngten deutschen Auswahl bleibt, dass auch kleine Rückschläge gleich einen großen Effekt zur Folge haben. „Wir müssen es irgendwie hinkriegen, dass wir trotzdem weiter unseren Fußball spielen“, forderte Nüsken: „Auch wenn ein Gegentor passiert, müssen wir weitermachen.“ Das verlorene Duell um Platz eins offenbarte erneut, wie fragil das Gebilde noch ist.
Und es warf einmal mehr die Frage auf, inwieweit Wück seine offensive Ausrichtung überdenken sollte. Diese wurde dem DFB-Team, das durch die Pleite in einem möglichen Halbfinale auf Weltmeister Spanien treffen könnte, gegen die eiskalten Schwedinnen nicht zum ersten Mal zum Verhängnis. „Es ist falsch, wenn wir sagen, wir wollen jetzt nur reagieren und nur zerstören“, sagte der 52-Jährige, der nicht von seiner Idee abrückte: Es liege nicht in diesem Team, „dass wir uns hinten reinstellen“.
Wück wehrte sich zudem dagegen, einzelne Teile des Teams „an den Pranger“ zu stellen. Seine Herangehensweise? „Wir werden uns schütteln und dann freudig und mit vollem Mut in dieses Viertelfinale gehen“, betonte der Bundestrainer. Ob das wirklich reicht?
De Maart
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