Tageblatt: Herr Braun, was hat Sie als junger Fußballer motiviert, ins Ausland zu wechseln?
Nico Braun: Als kleiner Junge war es mein Traum, einmal in der Bundesliga zu spielen. Ich habe zu Hause alles verfolgt und mir immer gesagt: „Nico, wenn du einmal in der Bundesliga spielen könntest, das wäre das Größte.“ Ich habe lieber den Fußball in Deutschland geschaut, als meine Hausaufgaben zu machen. Mein größtes Idol, mein Ein und Alles, war Uwe Seeler. Auf Schalke hatte ich auch das Glück, mit Klaus Fischer zu spielen und vor allem von ihm zu lernen. Aber meine Liebe zu Uwe Seeler ist bis heute geblieben.
1971 gab es noch weniger Möglichkeiten als heute, Spieler zu beobachten. Wie kam es zum Wechsel zu Schalke?
Erstmals wurde der Verein bei einem Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft gegen die deutsche Olympiaauswahl auf mich aufmerksam. Günther Siebert, der Präsident von Schalke 04, war damals zufällig im Stadion. Ein direkter Kontakt ergab sich daraus aber nicht. Stattdessen wurde über einen Unionisten, der einen Bekleidungsladen führte und Kontakte bei Borussia Mönchengladbach hatte, ein Probetraining bei den Fohlen organisiert. Diese Information gelangte dann zu meinem damaligen Jugendtrainer Paul Scheuer, der wiederum eine Verbindung nach Gelsenkirchen hatte. Er informierte Schalke darüber, dass ich ein Probetraining in Gladbach hätte. Als Günther Siebert, der damalige Präsident von Schalke, davon hörte, sagte er: „Der Junge soll erst mal zu uns kommen.“ Paul Scheuer sagte mir also Bescheid, dass ich vor Gladbach noch nach Schalke fahren sollte. Ich war völlig perplex, wusste gar nicht mehr, wohin mit meinen Emotionen. Ich sprach mit meinem Vater und der sagte nur: „Nico, was soll ich sagen, fahr hin.“
Was geschah im Anschluss an das Probetraining?
Nach dem Training wurde ich in das Büro der Schalker Vereinsführung gerufen. Sie haben mir sofort einen Vertrag angeboten. Ich habe meinen Vater angerufen, um seine Meinung zu hören. Schließlich sollte ich am nächsten Tag noch ein Probetraining in Gladbach machen. Dann war es ein paar Sekunden still am Telefon, und mein Vater sagte nur ein Sprichwort: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ Dann habe ich Schalke mitgeteilt, dass ich gerne bei ihnen spielen möchte. Unterschrieben wurde eine Woche später, als Günther Siebert nach Luxemburg kam. Ich war noch nicht volljährig (damals galt man mit 21 Jahren als volljährig, Anm.d.Red.), also musste mein Vater mitunterschreiben. In all der Euphorie habe ich ganz vergessen, mich vom Probetraining in Mönchengladbach abzumelden. Ich bin einfach nicht hingefahren. Ich hoffe, sie haben es mir inzwischen verziehen.
War es für Sie etwas Besonderes, der erste Luxemburger in der Bundesliga zu sein?
Zum Zeitpunkt meines Wechsels nach Schalke vielleicht nicht direkt. Im Nachhinein stellte sich aber schon ein gewisser Stolz ein, dass ich es geschafft habe. Damals war die Reaktion vieler eher: „Hat der sie noch alle?“ Ich war jedoch überzeugt, dass ich es schaffen kann. Geschenkt wurde mir nichts. Ich musste mir alles hart erarbeiten. Dass ich es am Ende wirklich geschafft habe, mich durchzusetzen, macht mich bis heute sehr glücklich.
Wie war Ihre Anfangszeit bei Schalke? Insbesondere Ihre Beziehung zu Schalke-Legende Stan Libuda?
Stan war mein Top-Mann, er war wie ein Bruder für mich. Ein ganz spezieller Typ. Er hat mit keinem anderen im Zimmer geschlafen als mit mir. In meiner ersten Saison hatten wir das letzte Spiel in München. Wenn wir diese Partie gewonnen hätten, wären wir Deutscher Meister geworden. Leider ist es nicht so gekommen. Als wir dann unsere Zimmer zugewiesen bekamen, sagte der Verantwortliche vom Verein: „Zimmer so und so, Stan und Nico.“ Und dann sagte Stan Libuda: „Nein.“ „Stan, was ist denn los, hat dir Nico etwas getan?“ „Nein, er hat mir nichts getan, aber Nico schnarcht mir zu viel.“ Ich bekam ein riesengroßes Einzelzimmer ganz oben im letzten Stock und war so glücklich darüber, dass ich meine Frau sofort angerufen habe.
Welche Erinnerungen haben Sie an das DFB-Pokalfinale 1972?
Ich erinnere mich gut. Ich ging vor dem Spiel zu Stan Libuda und sagte: „Stan, kannst du mir einen Gefallen tun? Sollten wir 2:0 oder 3:0 führen, zehn Minuten vor Schluss – könntest du dir vorstellen, dass du rausgehst, damit ich noch ein paar Minuten reinkomme?“ Aber Stan antwortete: „Nico, sei mir nicht böse – ich bin Kapitän. Wenn ich mich in den letzten zehn Minuten auswechseln lasse, kann ich nicht den Pokal in Empfang nehmen. Und das ist für mich auch ein Erlebnis.“ Das habe ich natürlich verstanden, das war auch für mich in Ordnung.
Wie kam es dann zum Wechsel nach Metz?
Nach dem Skandal 1971, bei dem ein Spiel verkauft wurde, wurden mehrere Spieler gesperrt, unter anderem Klaus Fischer, der damals fest zur deutschen Nationalmannschaft zählte. In meinem dritten Jahr wäre er nach ein paar Spielen wieder spielberechtigt gewesen. Für mich war klar, dass er dann wieder gesetzt sein würde. Ich wollte allerdings als Mittelstürmer eine wichtige Rolle übernehmen. Als dann das Angebot von Metz kam, habe ich mit meiner Frau gesprochen und sie gefragt, was sie davon hält. Sie sagte sofort: „A séier!“ Meine Frau hatte sich unter den anderen Spielerfrauen in Schalke nicht besonders wohlgefühlt. Deshalb war es für uns beide die richtige Entscheidung.
Warum kam es trotz ihrer starken Torausbeute nie zu einem Wechsel zu einem besseren Verein?
In meiner ersten Saison habe ich 28 Tore geschossen. Ich hatte jedoch keine Ausstiegsklausel in meinem Vertrag. Marseille hatte Interesse, aber der Metzer Präsident Carlo Molinari sagte zu mir: „Nico, überleg mal, in Marseille ist es heiß. Hier bei uns im Norden regnet es, schneit es, das passt besser.“ Und: „Wir bauen gerade die neue Tribüne hinter dem Tor. Willst du, dass die Fans sie abreißen, weil ich dich gehen lasse?“ Damit war das Thema für mich erledigt. Ich habe weiter meine Tore gemacht. So viele, dass ich glaube, meinen Rekord wird so schnell keiner erreichen. Außer, der junge Brian Madjo bleibt lange in Metz. Dann könnte er ihn vielleicht brechen.
Haben Sie Brian Madjo schon mal kennengelernt?
Ich habe über den Fanclub versucht, Kontakt aufzunehmen, leider ohne Erfolg. Ich würde ihm gerne erklären, was es heißt, Profi zu sein, gerade als Luxemburger. In Deutschland war für mich kein Training zu schwer oder zu lang. Ich habe sogar zusätzliche Einheiten eingefordert. Nur so habe ich es geschafft. Als Stürmer musst du jede Situation vor dem Tor einschätzen können. Jedem Ball nachgehen, auch wenn 29-mal nichts passiert. Irgendwann wirst du belohnt.
Was waren die Highlights Ihrer Nationalmannschaftskarriere?
Die schönsten Spiele waren der 2:0-Sieg gegen die Türkei in Esch, bei dem ich das zweite Tor schoss. Auch auswärts 0:0 in Titograd (heute Podgorica) gegen eine starke jugoslawische Mannschaft zu spielen, war damals für Luxemburg ein Riesenerfolg.
Es kann nicht sein, dass kein Luxemburger mindestens genauso gut ist wie die, die dort heute als Profis auflaufen. Ich bin da wirklich im Clinch mit Metz. Ich ertrage das nicht.
Wie sehen Sie das Nationalteam heute?
Mein Interesse an der Mannschaft hat zuletzt wieder zugenommen. Es gab viele Jahre, in denen ich die Spiele nur im Fernsehen verfolgt habe. Aber jetzt, mit Spielern wie Leandro Barreiro, Danel Sinani und Co., ist wieder sehr hohe Qualität auf dem Platz. Das hat mich wieder motiviert, auch mal das eine oder andere Spiel live zu sehen. Das neue Nationalstadion ist allerdings schon wieder zu klein. Es ist auch ein bisschen schade, dass man nicht gleich ein Stadion gebaut hat, in dem man auch Konzerte oder andere Events hätte veranstalten können.
Wie stehen Sie zur Trainerfrage nach der Trennung von Luc Holtz?
Ich bin der Meinung, dass unsere Nationalmannschaft, die ja zu 99 Prozent aus Profis besteht, einen Trainer braucht, der Erfahrung im Profibereich hat. Die Jungs trainieren täglich, da muss jemand an der Spitze stehen, der das kennt. Ich denke, ein ausländischer Trainer wäre die richtige Wahl. Mario Mutsch könnte daneben als Co-Trainer weiterlernen. Es gibt auch Luxemburger Optionen, aber keiner, bei dem alle sagen würden: „Das ist der Mann.“ Lassen wir uns überraschen.
Wie erklären Sie sich, dass aktuell weniger Luxemburger beim FC Metz spielen und junge Talente stattdessen eher nach Deutschland gehen?
Ich verkrafte das nicht. Es kann nicht sein, dass kein Luxemburger mindestens genauso gut ist wie die, die dort heute als Profis auflaufen. Ich bin da wirklich im Clinch mit Metz. Ich ertrage das nicht. Es gibt so viele luxemburgische Talente, doch anstatt, dass sie nach Metz gehen, zieht es sie nach Deutschland, etwa nach Kaiserslautern, Gladbach oder Köln. Ein Beispiel ist Mathias Olesen, der vor eineinhalb Jahren von Köln an Yverdon ausgeliehen wurde. Warum Metz ihn nicht geholt hat, verstehe ich bis heute nicht. Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen.
Verfolgen Sie heute noch regelmäßig Spiele in Luxemburg?
Vielleicht gehe ich am Sonntagmittag zum Racing. Ich habe mit Erstaunen festgestellt, dass Maurice Deville mittlerweile bei Canach spielt. Er hat mich letztes Jahr noch angerufen, ob er mal bei Metz mittrainieren könnte. Das Ganze verlief aber im Sand. Ich würde mich gerne mit ihm über seine Situation unterhalten.
Steckbrief
Name: Nico Braun
Geboren am: 26.10.1950
Geburtsort: Luxemburg-Stadt
Nationalität: Luxemburgisch
Position: Stürmer
Vereinshistorie: Union Luxemburg (1968-1971), FC Schalke 04 (1971-1973), FC Metz (1973-1978), Charleroi SC (1978-1980), FC Thionville (1980-1981), Union Luxemourg (1981-1985) Minerva Lintgen (1985-1986)
Länderspiele: 40 Spiele und neun Tore für Luxemburg
De Maart
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