Donnerstag6. November 2025

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„Du darfst keine Angst haben“

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"Ich hatte eigentlich mit dem Leben abgeschlossen. Aber das ist mein Stil, ein wenig Kamikaze".

So klingt Marcel Ewen, wenn er auf seine Teilnahme am legendären Hamburger Derby vor knapp zwei Wochen zurückblickt, bei dem Luxemburgs bester Reiter den sensationellen dritten Platz belegte.

Steckbrief Marcel Ewen

o Geboren am 12. Mai 1982 in Luxemburg

o Erfolge: Mehrmaliger Landesmeister (Pony/Junger-Reiter/Senior)
2007: Vizeweltmeister bei der Militär-WM im Einzel und mit dem Team (mit Sarah Petré und seiner Schwester Ketti Ewen)

o Sonstiges: Im Januar 2006 hat er die Grundausbildung bei der Armee beendet und ist seitdem Mitglied der Elitesportsektion und seit 2008 Mitglied im COSL-Elitesportkader.

Tageblatt: Wie ist es zu der Teilnahme am Hamburger Derby gekommen?

Marcel Ewen: „Aus einer Laune rief ich bei den Veranstaltern an. Ich hatte das Gefühl, dass mein Pferd für diesen Wettbewerb geeignet wäre. Hamburg ist unter Reitern eine Mutprobe. Hier benötigst du Mut und Willen. Dann bekam ich drei Wochen vor dem Wettkampf die Zusage, auch wenn der luxemburgische Verband mich für verrückt erklärte. Aber ich wollte unbedingt einmal dort reiten. Normalerweise bereitet man das über Jahre vor.“

Wie bist du das Derby angegangen?

„Ich hatte eigentlich mit dem Leben abgeschlossen. Ich habe mir gesagt, ‚wenn man zugrunde geht, dann wenigstens mit Ehre‘. Das ist mein Stil, ein wenig Kamikaze. Am meisten Respekt hatte ich vor dem Birkenochser, dem breitesten Sprung. Als ich die Qualifikation als Zwölfter abschloss, habe ich mir gesagt, das ist dein Wochenende. Mein Ziel war es, im Derby anzukommen. Ich wollte den Parcours für mich reiten. Du misst dich am Parcours, nicht an den anderen Reitern. Es hat einfach alles geklappt. Das Publikum war begeistert. Ich war der erste Außenseiter in den Top drei.“

„Reiter der alten Schule“

Du hast deinen Stil angesprochen. Wie würdest du dich selbst beschreiben?

„Ich bin ein Reiter der ‚alten Schule‘. D.h. ich kämpfe, ich bin kein Stilist. Mein Wille ist enorm groß. Die Pferde merken das und machen mit. ‚Bei mir mierkt een, datt eppes geschitt.‘ Ich will den Willen auch auf das Pferd übertragen. Durch das Training haben meine Pferde dieses Verhalten gelernt. Das ist meine Art. Wichtig ist: schnell und ohne Fehler. Wie es aussieht, ist im Nachhinein egal.“

Wie bist du zum Pferdesport gekommen?

„In jungen Kindesjahren sind wir auf Mini-Shetlandponys geritten. Ich war jedoch mehr am Motocross interessiert. Dennoch begleitete ich meine Schwester zum Reittraining. Nach einer Zeit habe ich gesagt, das kann ich auch. Sie entgegnete mir, anstatt große Reden zu halten, soll ich es selbst probieren. Das Pferd galoppierte, ich stand auf, ließ die Zügel los. Das war mehr als Zirkus. Ein halbes Jahr später bin ich bereits bei Turnieren geritten.“

Du bist früh ins Ausland gewechselt, um bei bekannten Profitrainern zu lernen.

„Mit 16 Jahren war ich ein Jahr bei Hervé Francart in Sedan. Das war ein großer Schritt, weil ich im Alltag alles selber erledigen musste. Ich bin zur Schule gegangen und habe danach trainiert. Ich habe viel gelernt, aber ich musste einen großen Willen aufbringen. Mit 18 Jahren kam das Angebot, einen viermonatigen Stage bei Nelson Pessoa (Trainer-Legende im Reitsport, d. Red.) in Fleurus zu absolvieren. Zu dem Moment habe ich auch die Schule verlassen. Bei Pessoa habe ich Technik und viele Kniffe gelernt.“

Kosten

Reitsport ist eine Frage des Geldes. Ist das richtig?

„Den Einsatz bei kleineren Turnieren kann sich jeder leisten. Der Aufstieg kostet dann aber. Karting kann eigentlich auch jeder sich leisten. Die Formel 1 ist aber eine andere Liga. Da braucht man halt ein gewisses Budget. Ludger Beerbaum (viermaliger Olympiasieger aus Deutschland, d. Red.) hat 150 Pferde zur Auswahl. Ich habe vier. Mit drei kann ich mitreiten. Natürlich wäre es besser, wenn ich mehr Pferde zur Wahl hätte.“

Kannst du mit dem Reiten deinen Lebensunterhalt verdienen?

„Nicht mit dem Sport selbst. Aber mit den ‚Nebenerscheinungen‘. Wenn man gut in seinem Sport ist, eröffnet man eine Reitschule, Pferde ein- und verkaufen. Mit der Zucht ist es schwieriger, Geld zu verdienen. Es gibt vielleicht zehn Reiter auf der Welt, die von den Preisgeldern leben können. So einer wie Ludger Beerbaum, der viele Sponsoren hat. Um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin, habe ich mein ganzes Leben investiert. Jetzt fehlt nicht mehr viel, um mich oben zu etablieren. Es fehlt der Sponsor, um oben mitzumischen. Und vor allem, um den Unterhalt der Pferde zu betreiben. Das ist schon etwas anderes, wenn das Pferd nur im Stall steht und mit Heu und Wasser gefüttert wird.“

Großer Sektor

Wo situiert sich Luxemburg international im Reitsport?

„Es gibt 8.000 Pferde, 100 Reitanlagen in Luxemburg. Der Sport ist weniger bekannt, was aber nicht heißen will, dass weniger Leute involviert sind. Der Reitsport ist nicht nur Reiten, sondern eine ganze Branche: Futter, Tieflader, Ausrüstung … Damit wird ein großer Sektor angesprochen. In Luxemburg ist man sich dessen nicht immer bewusst. Als kleine Nation gibt es nicht die Struktur wie in Deutschland, wo die Jugendlichen von klein auf gefördert werden. In Luxemburg macht jeder so, wie es ihm beliebt. Seit Kurzem wird es – durch die Verpflichtung eines Nationaltrainers – strukturierter. Es gibt drei Reiter, die international mithalten können (Charlotte Bettendorf, Marcel Ewen, Christian Weier, d. Red.). Das ist sehr stark. Ein weiterer Schritt wäre, beim Nationenpreis mitzureiten. Es hängt aber momentan am Sponsoring, um an dieser Formel 1 teilzunehmen. Ich verstehe nicht, dass wir keinen Sponsor, wie z.B. eine Bank, auftreiben können, der ein Team unterstützt. Um beim Nationenpreis mitzureiten, müssten wir fünf Professionelle einstellen. Mit einem Budget von 50.000 könnten wir dort mitspielen. Wir sind absolut fähig, dort teilzunehmen.“

Ist Reiten in Luxemburg nicht vor allem nur ein Freizeitsport?

„90 Prozent machen das in der Freizeit. Es geht nicht um den Sport. Der Sport leitet aber die Freizeitreiter. Wir müssen Vorbilder sein und den Sport leiten. Aber Luxemburg ist diesbezüglich eine Wüste. Jeder will in seine Tasche abreiten.“

Talent

Wie viel Prozent Anteil am Erfolg hat das Pferd, wie viel der Reiter?

„Es ist wie im Autorennsport: Es heißt nicht automatisch, dass du der schnellste Fahrer bist, wenn du das beste Material hast. In Hamburg war das Pferd gut und ich bin gut geritten. Es geht nicht nur um die drei Minuten im Wettkampf, die sind das Endresultat. Aber der ganze Trainingsplan spielt mit.“

Welches spezielle Talent benötigt es zum Top-Reiter?

„Du darfst keine Angst haben. Training ist sehr wichtig. Aber das Feeling hat man oder hat man nicht. Meine Schwester ist sicherlich talentierter als ich. Ich habe mehr gearbeitet und war motivierter.“

Im Oktober 2010 wurde mit dem Verkauf des Dressurpferdes Totilas ein Preis zwischen zehn und 15 Millionen Euro erzielt. Ist das nicht übertrieben?

„Das Pferd hat in drei Jahren den Kaufpreis wieder reingeholt (durch die Zucht, d.h. Verkauf des Samens, d. Red.). Mit 8.000 Euro pro Kunde summiert sich das. Dazu kommen Preisgelder, Sponsoren. Das Pferd hat seine eigene Bekleidungslinie, seine eigene TV-Sendung. Das Pferd ist ein Superstar. In Hamburg wurde es von 20 Bodyguards bewacht. Das ist gut für den Reitsport. Wir müssen jetzt auf diesen Hype aufspringen. Aber wir schlafen hier. Das verstehe ich nicht. Reitsport wird immer populärer. Wir haben die Reiter, um mitzumischen. In Luxemburg ticken die Uhren langsamer.“

Doping

Wie weit verbreitet ist Doping im professionellen Reitsport?

„Das Problem ist meiner Meinung nach: Die Athleten dürfen z.B. eine Aspirin nehmen. Pferde dürfen – im Wettkampf – überhaupt nichts nehmen. Es ist ja kein schlechter Wille, sondern du willst dem Pferd helfen. Du bist aber gezwungen, ihm nicht zu helfen, um nicht positiv zu sein. Hier stimmt der Zusammenhang nicht mehr. Das hat nichts mit Tierquälerei zu tun.“

Zwischen helfen und dopen gibt es dennoch einen Unterschied. Bei den Olympischen Spielen 2008 wurden vier Pferde positiv auf Capsaicin getestet, dessen Anwendung auf den Vorderbeinen die Sensibilität erhöhen soll.

„David Lynch (irischer Topreiter, d. Red.) war zu dem Zeitpunkt Nummer eins der Weltrangliste und Topfavorit für Peking. All die Jahre vor Peking hätten sie auch auf dieses Mittel testen können. Kurz vor den Spielen machen sie den Test. Es geht darum, dass das Pferd sensibler sein soll auf die Berührungen der Stange. Dafür gibt es aber eine Erklärung: Vor 20 Jahren und vorher auf Turnieren waren die Stangen 30 cm dick und sie konnten fast nicht runterfallen. Heute ist alles 10 cm höher und die Stangen liegen fast eben auf. Wenn das Pferd hustet, fällt die Stange. Eine Creme draufschmieren reicht nicht aus, dass ein Pferd, das vorher nicht über eine Bierkiste sprang, plötzlich über 1,80 m kommt. Das wäre einfach. Es ist um den Pferden, die jedes Wochenende im Einsatz sind, zu zeigen, ‚heute ist ein wichtiger Tag‘. Es hat nichts mit Tierquälerei zu tun. Die Sache wurde dann aufgebauscht. Lynch war unschlagbar, unabhängig von allen Einflüssen. Man wollte etwas finden, um ihn kleinzukriegen.“

Die abschließende Frage dreht sich um die „Réiser Päerdsdeeg“: Was hast du dir vorgenommen?

„Es wäre natürlich besser gewesen, nicht in Wiesbaden am Start gewesen zu sein, um Roeser besser vorzubereiten. Ich werde wohl auf Orgeuil zurückgreifen für den Großen Preis. Es wird sein erster Großer Preis sein. Ich habe ihn zwar in Hamburg beim Derby geritten. Ein Grand Prix ist aber noch mal was anderes. Concept braucht jetzt eine Pause.“

Internet www.mcweyer.lu