Montag20. Oktober 2025

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KarateGold und Tränen: Das emotionale Comeback von Pola Giorgetti

Karate / Gold und Tränen: Das emotionale Comeback von Pola Giorgetti
An das lädierte Knie dachte Pola Giorgetti an diesem Wettkampftag kein einziges Mal Foto: Editpress/Mélanie Maps

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Zweimal waren Pola Giorgetti am Mittwoch Tränen in die Augen gestiegen. Beim ersten Mal waren es noch die Worte ihres Mentaltrainers, der sie vor ihrem Finale mit wenigen, aber sehr gezielten Worten auf die richtige Schiene gebracht hatte. Als sie sich nach dem gewonnenen Kampf in einer reichlich emotionalen Weise bei der Karate-Familie bedankte, war es dann allerdings die zentnerschwere Last, die nach 18 Monaten Verletzungsmisere von ihr abgefallen war. 

Die Erinnerungen an den schicksalhaften Abend im Oktober 2023 sind noch glasklar. „Es war eine klassische Bewegung, die ich eigentlich seit 20 Jahren jeden Tag beim Training gemacht hatte – ohne Fremdeinwirkung oder Kontakt“, beschrieb Pola Giorgetti die fatalen Sekunden, die ihr anderthalb Jahre ihrer Karate-Karriere raubten. „Das rechte Knie brach nach außen weg. Ich ließ mich fallen, habe sofort geweint. So einen Schmerz hatte ich zuvor noch nie verspürt.“ Doch der „Kampfstier“, wie Nationaltrainer Michael Lecaplain die Einstellung der 27-Jährigen beschrieb, stand selbst in dieser Situation wieder auf: „Beim Gehen habe ich gemerkt, dass mein Knie nicht mehr gehalten wurde. Es war ein sehr komisches Gefühl, da alles so unstabil war. Ich bin trotzdem noch nach Hause gefahren.“ Bis sie es mitten in der Nacht dann doch nicht mehr aushielt. 

Einen Monat später wurde der Kreuzbandriss operiert. Es war der Anfang einer unerwartet langen Reise zurück auf die Matte. „Bei mir hatte der Quadrizepsmuskel ungewöhnlich schnell abgenommen und kam danach nicht mehr so richtig zurück. Zudem war es nicht nur das Kreuzband, denn die Ärzte stellten fest, dass auch beide Menisken kaputt waren.“ Ein Teufelskreis bahnte sich an: „Hinzu kam, dass ich das Knie nicht durchstrecken konnte. Das hatte zur Folge, dass wiederum der Quadrizeps nicht angestrengt wurde. Es ging alles nur sehr langsam voran.“

Im vergangenen August musste Giorgetti zum zweiten Mal operiert werden: Im Knie hatten sich Vernarbungen gebildet, die entfernt werden mussten. „Bis heute ist die Streckung noch nicht ganz zurück, und der Quadrizeps auch noch nicht. Ich bin also noch nicht wieder bei 100 Prozent.“ Trotzdem gab es im April das langersehnte „Go“ des medizinischen Stabs, das ihr die Teilnahme an den JPEE erlaubte. 

„War so geplant“

Um es kurz zu sagen: Die Standortbestimmung verlief perfekt. In ihren fünf Kämpfen wurde Giorgetti kein einziges Mal getroffen (!), teilte selbst aber mächtig aus: Die Liechtensteinerin, die ihr am Ende im Finale nochmal gegenüberstand, wurde in der Gruppenphase mit einem 8:0 vorzeitig abgefertigt. Es folgten ein umkämpftes Duell gegen Malta (1:0) und der ebenso knappe Sieg gegen Monaco. Eigentlich hatten sich Trainer und Athletin bereits darauf eingestellt, das Finale gegen Montenegro zu bestreiten. Es war das einzige Vorrundenmatch, das 0:0 ausging. „Das war so geplant, ich sollte nicht angreifen“, erklärte Giorgetti, als sie an der Tribüne vorbeilief.

Die Chemie zwischen Pola Giorgetti und Trainer Michael Lecaplain stimmte
Die Chemie zwischen Pola Giorgetti und Trainer Michael Lecaplain stimmte Foto: Editpress/Mélanie Maps

Insgesamt wirkte die Kommunikation – mit dem Trainerstab, den Verbandsverantwortlichen und ihrer Physiotherapeutin Nina Goedert – wie ein Ritual. Selbst der Augenkontakt, den sie teilweise suchte, schien ihr nicht nur Bestätigung zu liefern, sondern auch Kraft. Zweimal suchte Giorgetti allerdings einen ganz bestimmten Gesprächspartner auf. Ihr Mentaltrainer war mit der gesamten Familie angereist, um die Finalistin zu unterstützen: „Es war eher ein Zufall, denn er ist vor kurzem nach Andorra umgezogen. Als feststand, dass ich zum Kader gehören würde, habe ich ihn gleich kontaktiert. Während meiner Verletzung war die Verbindung etwas abgebrochen. Wir hatten im Vorfeld bereits einen Videocall organisiert und uns im Vorfeld einmal getroffen“, berichtete Giorgetti.

Ich bin dann zu ihm gegangen und habe gesagt: ‚Ich brauche einen Push.‘ Er hat definitiv die richtigen Worte gefunden, was nochmal ein neues Feuer entfacht hat.

Pola Giorgetti, Über ihren Mentaltrainer

Der Einfluss seiner Worte sei für ihre Leistung mitentscheidend gewesen: „Ein Mentaltrainer kann unheimlich viel bewirken. Er hat mir heute viel geholfen. Beim ersten Kampf spürte ich bei mir selbst die richtige Einstellung, doch danach fiel es mir schwerer, die Vorgaben umzusetzen. Ich bin dann zu ihm gegangen und habe gesagt: ‚Ich brauche einen Push.‘ Er hat definitiv die richtigen Worte gefunden, was nochmal ein neues Feuer entfacht hat.“ Vor dem Finale wischte sich Giorgetti also noch einmal die Tränen aus dem Gesicht: Die Energie war da, der Siegeswille noch viel mehr. Mit sturem Blick marschierte sie zur Matte. 

„Endlich!“

Es dauerte zwei Minuten, ehe die Luxemburgerin mit einem Beinschlag in den Rücken ihre ersten zwei Punkte erzielte. 54 Sekunden später ging die Liechtensteinerin zu Boden: Der Faustschlag hatte sie kurz ausgeknockt. Da sie blutete, wurde Giorgetti mit einer Strafe geahndet. Das hatte aber keine Konsequenzen für den Ausgang des Tages: Ein weiterer Beinschlag und ein Treffer in die Bauchregion besiegelten das 4:0. Sichtlich gerührt hob sie die Faust, ließ sich feiern.

Erst als ihr der Mentaltrainer erneut ein paar Worte ins Ohr flüsterte, schossen ihr wieder Tränen in die Augen. „Der Druck ist jetzt abgefallen. Diese Medaille ist aber vor allem eine Erleichterung und nach anderthalb Jahren eine Genugtuung.“ Die Goldmedaillengewinnerin rang nach den richtigen Worten. „Endlich! Endlich kam wieder etwas Positives dabei raus. Wer weiß, ob ich überhaupt nochmal die Chance bekomme, bei den JPEE mitzumachen …“ An ihr Knie musste sie jedenfalls am Mittwoch keine Gedanken verschwenden. Vielleicht war das Gold aber auch eine Art Vorbereitung auf die Heimspiele 2029, wo es wohl viele weitere Menschen gibt, die ihr die richtigen Sätze mit auf den Weg geben könnten …

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Die Statistiken der Karatekas sind beeindruckend: Von den sechs Luxemburger Athleten standen fünf im Finale. Warling, Sibille und Giorgetti holten Gold, Rodrigues und Chaffort Silber.

Krumme Nase

Karateka Tiago Rodrigues wird neben seiner Silbermedaille ein weiteres Andenken der JPEE mit nach Hause bringen. Abgesehen von einer ganzen Reihe an Schrammen am Hals kehrt er nämlich auch mit einer gebrochenen Nase nach Luxemburg zurück. Die erste Blutung konnte zwar noch mit Watte gestoppt werden, doch optisch bestand kein Zweifel, dass die Nase gerichtet werden muss.