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Schleier lüftet sich über Saudi-Arabien

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Bei der WM im Schnell- und Blitzschach durften Frauen zum ersten Mal in hochgeschlossenen Blusen und dunklen Hosen – und ohne Schleier – antreten.

Von unserem Korrespondenten Olivier Jeitz, zz. in Riad

Zwischen dem 26. und 30. Dezember wurden in Riad die Weltmeisterschaften im Schnell- und im Blitzschach ausgetragen. Der Austragungsort in Saudi-Arabien sorgte schon im Vorfeld für reichlich Diskussionen, die auch während des Turniers nicht vollständig abklangen, obwohl sich das Gastgeberland mit einem völlig neuen Gesicht präsentierte.

Neben der Weltmeisterschaft im klassischen Schach mit deutlich längerer Bedenkzeit trägt der Weltschachverband FIDE seit 2012 auch Titelkämpfe in den beiden Kurzdisziplinen aus. Im Schnellschach sind die Partien in weniger als einer Stunde beendet, im Blitzschach gar in weniger als zehn Minuten, sodass sich diese beiden Disziplinen aufgrund des größeren Spektakels sowohl bei Spielern als auch bei Zuschauern immer größerer Beliebtheit erfreuen.

Skandalöse Veranstaltungen in der Vergangenheit

Schwierig gestaltet sich jedoch immer die Suche nach einem zahlungskräftigen Ausrichter, da sich in der westlichen Welt der Stellenwert des Schachsports in Grenzen hält. Daher kam es in der Vergangenheit zu teils skandalösen Veranstaltungen wie beispielsweise der Schach-WM 2004 in Libyen unter starker Einflussnahme des Gaddafi-Clans. Auch die Vergabe von gleich drei Weltmeisterschaften im Schnell- und Blitzschach in Folge an die saudi-arabische Hauptstadt Riad sorgte für viel Kritik. Das Königreich auf der Arabischen Halbinsel stellte den Großteil des Rekordpreisfonds von zwei Millionen US-Dollar und wollte dieses Turnier als PR-Maßnahme eines „neuen“ Saudi-Arabien nutzen. Da das Land (noch) keine Touristen-Visa ausstellt und eine Einladung zur Einreise erforderlich ist, wurde es für viele potenzielle Teilnehmer eine Reise ins Ungewisse. Für reichlich Diskussionsstoff sorgten zwei Kontroversen, von denen eine bis zum Schluss einen Schatten auf die Veranstaltung warf, während sich andere Befürchtungen im Nachhinein als grundlos erwiesen.

Probleme politischer Art gab es bei der Einreiseerlaubnis für Spieler aus Israel, Iran und Katar, die in einer ersten Phase kein Visum erhielten. Erst im allerletzten Moment wurde eine Lösung für zwei der genannten Länder gefunden, sodass drei Spieler aus Katar für das Blitzturnier nachreisen konnten – allerdings wurde sieben Spielern aus Israel die Einreise verweigert. Die FIDE-Verantwortlichen kritisierten diese Entscheidung des Gastgebers für ihre Verhältnisse recht heftig und forderten gemeinsam mit zahlreichen Spitzenspielern, dass für die nächste WM unbedingt eine Lösung gefunden werden muss. Da eine diesbezügliche Entscheidung nur auf allerhöchster politischer Ebene getroffen wird, strebt die FIDE in den nächsten Monaten ein Treffen mit dem Kronprinzen an. Falls keine Einigung erzielt wird, bereitet der israelische Verband eine Klage gegen die kommende Ausrichtung vor.

„Mozart des Schachs“ mit zwei Gesichtern

Für die zweite Kontroverse sorgte hauptsächlich die ukrainische Doppelweltmeisterin von 2016, Anna Muzychuk, mit einem viralen Facebook-Posting, in dem sie ihren WM-Boykott mit den dortigen eingeschränkten Rechten der Frauen begründete. Sie lehne es ab, eine Abaja (islamisches Überkleid) tragen zu müssen, sich nur in männlicher Begleitung frei bewegen zu dürfen und sich als zweitklassige Kreatur behandeln zu lassen.

In der Tat waren und sind im streng islamisch-konservativen Land die Frauenrechte stark eingeschränkt, allerdings versucht Kronprinz Mohammed bin Salman, der als neuer starker Mann viele Aufgaben des alternden Königs übernommen hat, einen modernen und moderaten Islam nach dem Vorbild der Vereinigten Arabischen Emirate einzuführen.

Das Tragen eines Schleiers ist längst keine Pflicht mehr, zudem dürfen sich Frauen auch alleine ohne männlichen Vormund frei bewegen. In Restaurants müssen Frauen nicht mehr in einem separaten Raum, der sogenannten „Family Section“, getrennt von Männern speisen, auch wenn es diese Raumaufteilung noch gibt, aber kaum noch Berücksichtigung findet. Des Weiteren hebt Saudi-Arabien in diesem Jahr als weltweit letztes Land das Fahrverbot für Frauen auf. Diese Veränderungen finden eine sehr große Unterstützung in der jungen Bevölkerungsschicht, auch wenn hauptsächlich wirtschaftliche Interessen Beweggründe sind, da das Land es sich auf Dauer nicht mehr erlauben kann, Frauen kaum am Berufsleben teilnehmen zu lassen.

Dunkle Hosen und hochgeschlossene Blusen für die Damen

Bei der Weltmeisterschaft war es den Spielerinnen erlaubt, in hochgeschlossenen Blusen und dunklen Hosen anzutreten und somit erstmals bei einer sportlichen Großveranstaltung auf den sonst obligatorischen Schleier zu verzichten. Auch im Hotel, auf dem Weg zum Spielort und bei den festlichen Aktivitäten im Rahmen des Turniers mussten die Teilnehmerinnen nicht mal eine Abaja tragen. So kamen einige Spielerinnen gar die gesamte Woche ohne das Tragen dieses islamischen Überkleides aus.

Daher sorgte das Facebook-Posting von Muzychuk, das während der ersten Turniertage medial weit verbreitet wurde, für Verärgerung beim Veranstalter und bei den Teilnehmerinnen, die sich gleichzeitig überrascht und erfreut über die neuen Frauenrechte in Saudi-Arabien zeigten und den gesellschaftlichen Fortschritt mit ihrer Präsenz unterstützen wollten. Die Saudis bestachen zudem mit einer enormen Höflichkeit und Hilfsbereitschaft – auch gegenüber Frauen –, sodass sich eine slowenische Schiedsrichterin schon fast als Prinzessin behandelt fühlte.

Ohne die verweigerte Einreise für israelische Spieler wäre die Charme-Offensive des Saudischen Königreichs aufgegangen, auch wenn dies über andere weiterhin bestehende Menschenrechtsprobleme nicht hinwegtäuschen darf.

Fast die gesamte Weltelite am Start

Dennoch war im Teilnehmerfeld von 138 Männern und 100 Frauen fast die gesamte Weltelite vertreten, allen voran der Weltmeister im klassischen Schach, Magnus Carlsen, für den sogar das norwegische Fernsehen angereist war, um die Partien live in die Heimat zu übertragen. Allerdings wurde der „Mozart des Schachs“ im Schnellschach-Turnier seiner Favoritenrolle nicht gerecht und landete nur auf Rang fünf, nachdem er in der letzten Runde mit einer Niederlage gegen den Russen Alexander Grischuk seine Titelchancen einbüßte. Neuer Weltmeister wurde hingegen etwas überraschend Altmeister Viswanathan Anand aus Indien, der 2013 von Carlsen als Weltmeister im klassischen Schach entthront worden war. Der 48-jährige „Tiger von Madras“ blieb mit einer konstant starken Leistung in den 15 Runden ohne Niederlage.

Im Blitzschach nahm Carlsen dann erfolgreich Revanche und dominierte die Konkurrenz mit 16 von 21 möglichen Punkten fast nach Belieben, womit sich der 27-jährige Norweger das Rekordpreisgeld von 250.000 US-Dollar sicherte. Mit dem dritten Platz gewann Anand auch in dieser Disziplin unerwartet eine Medaille.

Elvira Berend überzeugte mit den Plätzen 38 und 37.

Bei den Damen gingen die Titel an Wenjun Ju (China) im Schnellschach und an Nana Dzagnidze (Georgien) im Blitzschach.

Auch eine Luxemburgerin spielte mit

Als einzige luxemburgische Teilnehmerin war Elvira Berend am Start, da sie nach dem Gewinn des Weltmeistertitels bei den Seniorinnen über 50 Jahren kurzfristig eine Wildcard erhielt. Mit den Plätzen 38 und 37 unter 100 Teilnehmerinnen in den beiden Turnieren bot die Düdelingerin, aktuell 204. der Weltrangliste, gegen die starke jüngere Konkurrenz eine mehr als überzeugende Leistung und holte auch gegen mehrere Top-25-Spielerinnen Punkte.

Ob auch die nächsten Titelkämpfe Ende 2018 wie geplant in Riad stattfinden können, wird davon abhängen, ob alle Spieler eine Einreiseerlaubnis bekommen. Nun ist die (Sport-)Politik am Zug – mal wieder.

  • Zum Autor
    Tageblatt-Sportkorrespondent Olivier Jeitz war bei der Schnellschach- und Blitz-WM in Saudi-Arabien vor Ort. Der „Internationale Schiedsrichter“, was der höchste Rang im Schach ist, war einer von 40 Schiedsrichtern vor Ort.