Diese Szenen ließen auch die hart gesottenen Rugby-Fans vor dem Fernseher schlucken. Siya Kolisi stemmte da in der südafrikanischen Township Soweto den kleinen goldenen WM-Pokal in die Höhe, in jener symbolträchtigen Siedlung, die einst als Zentrum des Widerstands gegen das Apartheid-Regime weltweit bekannt wurde. Schon oft war die Nationalmannschaft nach Erfolgen an diesen Ort gekommen, diesmal führte sie aber ein schwarzer Kapitän an.
Vier Jahre ist das her. Damals rang Südafrika im Drama von Yokohama die favorisierten Engländer nieder, gewann seinen dritten WM-Titel und tourte anschließend mit der Trophäe durch die Heimat. In diesen Tagen sind die Bilder aus Soweto nahe Johannesburg so präsent wie lange nicht.
Am Samstag (21 Uhr) kommt es bei der Weltmeisterschaft in Frankreich zur Neuauflage dieses Endspiels – doch diesmal mit vertauschten Rollen. Nach dem eindrucksvollen Sieg im Viertelfinal-Krimi gegen Gastgeber Frankreich (29:28) gehen viele Experten sogar von einem deutlichen Erfolg der Südafrikaner aus.
„Wir sehen das nicht so“, erklärte Nationalheld Kolisi, der wie sieben seiner im Stade de France beginnenden Teamkollegen schon damals in Japan in der Startaufstellung stand, mit Nachdruck: „Wir kennen die Qualitäten von England, vor allem bei Weltmeisterschaften. Es wäre dumm, so zu denken.“
Alles oder nichts
Unberechtigt sind die Einschätzungen allerdings nicht. Zwar gewann England im laufenden Turnier bisher jedes seiner fünf Spiele, zu glänzen wusste das Rugby-Mutterland dabei aber nicht. Für die Vorschlussrunde qualifizierte sich der bislang einzige Weltmeister aus der nördlichen Hemisphäre (2003) durch einen Zittersieg über Außenseiter Fidschi (30:24).
Nun warten ausgerechnet die „Springboks“. Es sei diesmal „aber ein anderer Kontext“, sagte der englische Headcoach Steve Borthwick. Im Turnierverlauf habe sich sein Team „weiterentwickelt und immer wieder einen Weg gefunden, um zu gewinnen“. Mit einer solchen Physis wie der der Südafrikaner bekamen es die „Red Roses“ aber noch nicht zu tun.
„Es geht um alles oder nichts“, sagte Südafrikas Trainer Jacques Nienaber. England habe ein „erstklassiges Team. Diejenigen, die sie abschreiben, machen einen großen Fehler.“ Kolisi stimmte seinem Chef zu. „Wir müssen in diesem Spiel alles geben. Die Rivalität zwischen uns besteht schon seit langer Zeit, lange vor meiner“, sagte der Flügelstürmer, der es aus armen Verhältnissen bis an die Spitze geschafft hat.
Die Unterstützung aus der Heimat ist riesig. An Spieltagen tragen fast alle Menschen daheim ihr grün-gelbes Trikot, Kinder schicken Motivationsvideos aus der Schule. Kolisi will etwas zurückgeben – am liebsten den goldenen Webb Ellis Cup. Wie vor vier Jahren. (SID)
De Maart
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