Montag27. Oktober 2025

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BelarusZunehmender Druck Lukaschenkos auf die polnische Minderheit

Belarus / Zunehmender Druck Lukaschenkos auf die polnische Minderheit
Polnische Senatoren nahmen gestern an einer Demonstration zur Unterstützung der belarussischen Opposition gegen Polizeibrutalität und die Ergebnisse der belarussischen Präsidentschaftswahlen im polnischen Parlamentsgebäude teil Foto: Radek Pietruszka/PAP/dpa

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Rund ein Dutzend Mal wurde sie schon vom weißrussischen Geheimdienst KGB verhört, etliche Male saß sie bereits im Gefängnis. Andzelika Borys ist die Verfolgung durch das Regime des Autokraten Alexander Lukaschenko gewohnt. Doch dass ihr ausgerechnet ein Jahrmarkt auf dem Gelände des polnischen Konsulats von Grodno zum Verhängnis werden sollte, überraschte die mutige Kämpferin für Minderheitenrechte dann doch.

Am späten Dienstagabend war die Polizei mit einem Hausdurchsuchungsbefehl an der Wohnungstür der Vorsitzenden des Bundes der Polnischen Minderheit (ZPB) in Belarus aufgetaucht und hatte sie kurzerhand abgeführt. In der Folge wurde Borys ein Anwalt verweigert, der polnische Konsul konnte sie erst am Tag danach besuchen. Ein Schnellgericht verurteilte Borys nach am Mittwoch zu 15 Tagen Haft wegen der angeblichen Organisation einer illegalen Massenveranstaltung, womit der Bastel-Markt der polnischen Minderheit in der Stadt Grodno im Westen des Landes gemeint ist, eine völlig unpolitische Liebhaberveranstaltung ohne viel Publikum.

Indes war allen klar, dass der traditionelle „Kaziuki“-Jahrmarkt nur ein Vorwand des totalitären Regimes ist, sich wieder einmal die polnische Minderheit vorzuknüpfen. Die Stimmungsmache gegen das westliche Nachbarland Polen und die polnische Minderheit in Weißrussland, der laut der letzten Volkszählung von 2005 3,1 Prozent, de facto aber bis zu jedem zehnten Weißrussen angehören, hatte kurz nach den Präsidentenwahlen 2020 begonnen. Die bisher regimeunabhängige Interessenvertretung der Polen in Weißrussland ist 2005 von Lukaschenkos Beamten delegalisiert worden. Die streitbare Aktivistin Andzelika Borys wurde erst am Wochenende zum fünften Mal als Vorsitzende des ZPB wiedergewählt.

Mit Borys’ Verhaftung und Verurteilung spitzt sich der Streit zwischen Minsk und Warschau weiter zu. Seit Jahresbeginn wurden schon drei polnische Diplomaten ausgewiesen, darunter der Konsul von Brest am Grenzfluss Bug. Auch hat Minsk von Warschau verlangt, seine Diplomaten von 50 auf 18 zu verringern. Warschau hat im Gegenzug mehrere weißrussische Diplomaten ausgewiesen, die sich ihrerseits wiederum für die weißrussische Minderheit in Polen verantwortlich fühlen.

Inzwischen sind erwartungsgemäß weitere Anschuldigungen gegen Andzelika Borys erhoben worden. So hieß es am Donnerstag seitens der Staatsanwaltschaft plötzlich, Borys hätte zum Hass zwischen den Völkern Weißrusslands (Weißrussen, Russen, Polen, Ukrainer, Tataren und Litauer) aufgestachelt und Partisanen gelobt, die 1941-45 mit Hitlers Besatzungsarmee gemeinsame Sache gemacht hätten. Es wurde ein zweites Verfahren eröffnet, das die Gefangene weit länger hinter Gitter bringen dürfte. Dazu wurden am Donnerstag weitere Hausdurchsuchungen bei ZPB-Aktivisten gemacht, darunter auch Andrzej Poczobut, einem lokalen TV-Journalisten. Derweil kam es in Minsk trotz eines massiven Aufgebots der Armee und Polizei zu kleineren Demonstrationen anlässlich des historischen Unabhängigkeitstages, des „Tages der Freiheit“.

Weißrussland hat seit den Protesten gegen die mutmaßlich gefälschten Präsidentenwahlen vom 9. August 2020 bereits Tausende zu kurzen Haftstrafen von bis zu 15 Tagen verurteilen lassen, fast 300 politische Gefangene büßen inzwischen langjährige Haftstrafen in Hochsicherheitstrakten und Arbeitslagern ab.

Anschuldigungen gegen Warschau

Das NATO- und EU-Mitglied Polen wurde von Lukaschenko im August schnell als einer der Hauptfeinde ausgemacht und der Anzettelung einer „bunten Revolution“ beschuldigt. Ende August ließ Lukaschenko massiv Truppen an die polnische und litauische Grenzen verlagern, um einer angeblich bevorstehenden NATO-Invasion Paroli zu bieten. Laut dem Minsker Regime soll diese Abschreckung schnell gewirkt haben, Warschau aber bliebe weiterhin subversiv in Weißrussland tätig. Auch wolle Polen seine alten Ostgebiete auf heute weißrussischem Gebiet zurückerhalten, behauptet Lukaschenko immer wieder. Solche Fantasien haben indes nicht einmal besonders nationalistisch gesinnte Hardliner in Jaroslaw Kaczynskis Lager. 1918-1938 reichte das polnische Staatsgebiet fast bis nach Minsk; auch die polnische Adelsrepublik des 15.-18. Jahrhunderts schloss die Gebiete um Grodno mit ein.

Die polnische Minderheit in Weißrussland genoss bis zur Legitimationskrise Lukaschenkos seit August 2020 jahrelang verhältnismäßig viel Ruhe. Doch bei den Protesten sind ausgerechnet die auch von autochtonen Polen bewohnten Städte Grodno, Brest und Pinsk besonders aktiv. Der Polenbund ZBP hat 2005 den letzten großen Streit mit dem Regime ausgefochten. Lukaschenko ließ damals einen Konkurrenzbund gründen, der allerdings keinen Anklang fand und von Warschau nicht unterstützt wurde. Seit 2020 gibt es auch großen Druck auf die polnischen Schulen in Weißrussland. Sie unterrichten größtenteils auf Polnisch und nicht Russisch, wie die allermeisten Schulen in Weißrussland.

Alle Regierungen in Warschau haben seit Lukaschenkos undemokratischer Verfassungsänderung von 1996 immer wieder politische Flüchtlinge unterstützt. Warschau finanziert auch das unabhängige Satellitenfernsehen Belsat in Weißrussland und sendet aus dem ostpolnischen Bialystok mit Radio Racija direkt nach Weißrussland.