EUZeitenwende soll in Strukturen sichtbar werden

EU / Zeitenwende soll in Strukturen sichtbar werden
Josep Borrells Vorstoß für ein Zusatzprogramm für die Ukraine ist umstritten Foto: AFP

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Ein halbes Jahr vor den EU-Wahlen wird der Blick auf die Herausforderungen der nächsten Legislaturperiode immer klarer: Im dritten Jahr des russischen Angriffskrieges geht es dann auch um einen eigenen Kommissar und einen eigenen Parlamentsausschuss für Verteidigung.

Nach den Neuwahlen in den Niederlanden weiß sie noch nicht genau, wie lange sie noch Verteidigungsministerin sein wird. Doch eines hat Kajsa Ollongren ihren Kolleginnen und Kollegen sicherheitshalber schon einmal hinterlassen: den Vorschlag, 2024 einen eigenen EU-Verteidigungskommissar zu berufen. „Ich denke, es wäre eine gute Idee für die Europäische Kommission, dieses Thema ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen, damit es einen europäischen Kommissar gibt, der hundert Prozent seiner Zeit mit Verteidigung verbringt“, sagte die liberale Politikerin dem niederländischen Rundfunksender BNR. Im Parlament wurde diese Idee sofort aufgegriffen und um die Forderung nach einem eigenen Verteidigungsausschuss ergänzt.

Derzeit ist das parlamentarische Verteidigungsgremium nur ein Anhängsel des mächtigen Auswärtigen Ausschusses, der von dem ehemaligen niedersächsischen Regierungschef David McAllister geleitet wird. „Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss einen höheren Stellenwert erhalten“, sagt auch er unserer Redaktion. „In der nächsten Kommission wären dafür ein Kommissar mit dem entsprechenden Portfolio und eine an seinen Aufgaben ausgerichtete Generaldirektion sinnvoll“, lautet die Schlussfolgerung des CDU-Politikers. „Ein solcher Schritt innerhalb der Kommission sollte sich dann in den Strukturen des Europäischen Parlamentes widerspiegeln“, ergänzt McAllister.

Nicht alle einer Meinung

Dieser Kurs Richtung mehr sichtbare Eigenständigkeit der Verteidigungsangelegenheiten wird (noch?) nicht von allen geteilt. SPD-Sicherheitsexperte Joachim Schuster: „Solange die Europäische Union keine Kompetenzen im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik besitzt, macht ein vollwertiger Verteidigungsausschuss wenig Sinn“, erklärt Schuster. Solange sich ein solcher Ausschuss lediglich auf Stellungnahmen beschränken müsse, sehe er darin keinen Mehrwert. „Dasselbe betrifft einen Verteidigungskommissar, der keine Befugnisse hätte, an nationalen Positionen politisch scheitern würde und sich nur auf Moderation beschränken müsste.“

Allerdings galt die fehlende europäische Zuständigkeit unter anderem auch für die Gesundheitspolitik. Die Kommission war nach ihrem Start im Jahr 2019 heilfroh, gleichwohl eine eigene Gesundheitskommissarin eingesetzt zu haben, als die Corona-Pandemie über die Welt hereinbrach und plötzlich europäische Lösungen gefragt waren, die Mitgliedstaaten sich in großen Schritten Richtung Gesundheitsunion auf den Weg machten.

Schuster plädiert dafür, die derzeit bloß „moderierenden Aufgaben“ auf dem Verteidigungssektor dem Vizepräsidenten und Hohen Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik zu überlassen. Diese Funktion ist von herausragender Bedeutung und mit einer doppelten Rolle beauftragt. Der Außenbeauftragte gehört der Kommission an, leitet zugleich die Sitzungen des Rates für Auswärtige Beziehungen. Doch sowohl in der Kommission als auch im Rat bestehen Zweifel, ob der derzeitige Amtsinhaber Josep Borrell das auch überzeugend hinbekommt. Insbesondere seit seinem Auftritt bei der Mittelmeerunion, als er neben dem jordanischen Co-Gastgeber Ayman al-Safadi stand und diesem bei der Einstufung des israelischen Vorgehens als „Völkermord“ nicht widersprach, gibt es ein erneutes Verlangen in den EU-Gremien, Borrell möge doch klarer machen, wann er für die EU spricht und wann er nur seine Privatmeinung einbindet.

Umstrittener Vorstoß

Borrells Vorstoß für ein Zusatzprogramm für die Ukraine ist umstritten. Gerade bastelt die Kommission stattdessen daran, Ungarn einen Zehn-Milliarden-Anteil der gesperrten EU-Gelder freizugeben, um die Budapester Blockade der achten Tranche von Unterstützungsgeldern aus der Friedensfazilität zu lösen. Wie es mit dem Instrument weitergeht, ist nach den deutschen Finanzproblemen völlig offen. Zudem tut sich die EU schwer damit, das Eine-Million-Munition-Versprechen zu erfüllen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton müht sich redlich und kündigte an, im nächsten Jahr eine neue Strategie für die europäische Verteidigungsindustrie vorzulegen. Doch macht auch er diesen Job mitunter nur nebenher.

„Spannend“ findet Grünen-Sicherheitsexpertin Hanna Neumann die Idee vom Kommissar und Ausschuss für Verteidigung. Das ergebe dann Sinn, „wenn die Europäische Union die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich vorantreibt und wir im Europaparlament wirklich relevante Informationen bekommen und mitbestimmen können“, erläutert die Grünen-Abgeordnete. Bisher sehe sie jedoch nicht, dass die Mitgliedsstaaten hier Befugnisse auf die europäische Ebene übertragen. „Leider“, ergänzt Neumann mit Blick auf die „massiven neuen Herausforderungen“ durch die russische Invasion. Sie rät dazu, den ersten Schritt zu gehen, um den zweiten zu ermöglichen.

Weiter ist da Parlamentsvizepräsidentin Nicola Beer: „In geopolitisch stürmischen Zeiten ist es als Europäische Union unsere Aufgabe und Verpflichtung, international stärker Verantwortung zu übernehmen“, sagt die FDP-Politikerin unserer Redaktion. Sie unterstreicht: „Dazu gehört eine starke und handlungsfähige EU auf allen Ebenen, durch einen vollwertigen Verteidigungsausschuss im Europäischen Parlament, einen Verteidigungskommissar in der Kommission sowie endlich die qualifizierte Mehrheitsentscheidung in der Außen- und Sicherheitspolitik im Rat.“ So stelle die EU die Weichen für europäische Handlungsfähigkeit und Souveränität.

Schon viele gemeinsame Missionen der EU

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist seit 2009 auch im Vertrag von Lissabon fixiert. Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) gehört seitdem zum Aufgabenbereich des EU-Außenbeauftragten. Die Verteidigungsunion zeigt sich auch in bislang 37-EU-Einsätzen auf drei Kontinenten seit der ersten Mission 2003 auf dem westlichen Balkan, genauso wie in der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (Pesco), in deren Rahmen die Streitkräfte der Mitglieder auf einen gemeinsamen Standard gebracht werden und der Ausbau von Nachschubwegen durch Europa finanziert wird.

fraulein smilla
2. Dezember 2023 - 9.09

Was die europeische eigenstaendige Verteidigungsplolitik angeht , ist so als haetten die Roemer Anfang des 5ten Jahrhundets beschlossen die Verteidigung ihrer Grenzen selbst in die Hand zu nehmen und nicht mehr ihren germanischen Soedner zu ueberlassen . Wir haben es uns eben zu lange unter dem amerikanischen Atomschirm bequem gemacht .