Seit langem gilt in der Toskana das Wort: Mode wird in Florenz gemacht, aber in Prato genäht. Die schicken Modelle, die in der Arnometropole entworfen wurden, wandelten sich unter den Händen vieler fleißiger italienischer Familien in Kleider und Anzüge.
Doch schließlich kam die Textilkrise, die Produktion wurde – wie in vielen anderen Industriebereichen auch – nach Asien ausgelagert. Seit der Jahrtausendwende hat sich jedoch das Bild erneut geändert – wieder wird in Prato genäht, doch diesmal nicht von italienischen Schneidereien, sondern von vielen, teilweise auch illegalen chinesischen. Die meisten von ihnen beschäftigen Landsleute als Arbeitskräfte, etliche jedoch halten sich Bengalen und Pakistani wie moderne Sklaven. So auch die Textildruckerei „Texprint“. Der chinesische Eigentümer, Aichun Zhang, lässt seine bengalischen und pakistanischen Arbeitskräfte sieben Tage die Woche zu je zwölf Stunden schuften. Unwürdige Unterkünfte sowie Arbeits- und Lohnbedingungen begleiten diese moderne Sklaverei.
Dagegen wehrt sich seit Wochen ein Teil der Belegschaft. Mit dem Slogan „Keine Sklaven mehr – wir wollen ein besseres Leben“ trat etwa die Hälfte der Arbeiter in einen unbefristeten Ausstand. Täglich demonstrierten sie vor den Eingangstoren, sperrten zeitweise die Zufahrt und behinderten damit die Anlieferung von Rohtextilien und die Auslieferung der Produkte. Konfrontationen gab es dabei nicht nur mit der Unternehmensführung, sondern auch mit streikunwilligen Arbeitern, die sich aus Angst um eine noch größere Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen nicht dem Ausstand anschlossen.
Polizisten verprügeln Streikende
Die Bedingungen, unter denen die Arbeiter bei Texprint – und nicht nur hier – leben und arbeiten, sind nach italienischen Gesetzen illegal. Eigentlich müssten Ordnungs- und Sicherheitsorgane des Staates gegen die Machenschaften des Unternehmens vorgehen und die ungesetzlichen Arbeitszeiten unterbinden. Umso schockierender wirkten Bilder aus den vergangenen Tagen: Um eine Auslieferung ihrer Produkte zu erzwingen, rief die Unternehmensleitung die örtliche Polizei vor die Werkstore. Videos, die in lokalen Medien veröffentlicht wurden, zeigten, mit welch teilweise brutalen Methoden die Polizisten versuchten, die Streikenden vor den Werkstoren in der Via Sabadell zu vertreiben. Zwei Arbeiter mussten medizinisch behandelt werden, einer von ihnen wurde von einem Polizisten bewusstlos geschlagen.
Bei einem weiteren Zwischenfall fuhr ein werkseigener Lieferwagen in die Gruppe der Streikposten und verletzte auch hier zwei Menschen. Allerdings entschuldigte sich der albanische Fahrer des Wagens später bei den Arbeitern, es sei ein „Versehen“ beim Rangieren seines Wagens gewesen. Dazu erklärte er etwas abstrus, er hatte gedacht, dass es sich bei der Menschengruppe um „Zigeuner“ handele.
Gewerkschafter fordern Solidarität
An der Seite der Streikenden steht die Basisgewerkschaft SI Cobas, eine Arbeitervertretung, die vor allem auch kleinere spezielle Berufsgruppen vertritt. Mit Appellen an die Gemeinde, die Provinz Prato sowie an den Gouverneur der Toskana, Eugenio Giani, mit der dringenden Aufforderung, die menschenunwürdigen Zustände in Prato – nicht nur bei Texprint – zu beenden. Für die kommenden Tage sind trotz der erheblichen Coronaeinschränkungen mehrere Solidaritätsveranstaltungen in Prato sowie im benachbarten Florenz geplant.
Bereits Gianis Vorgänger, Enrico Rossi, hatte mehrfach erklärt, Prato sei ein aktuelles Beispiel „moderner und menschenunwürdiger Sklaverei“. Zu Zeiten der Covid-19-Pandemie hat sich die Lage in der Textilstadt nochmals deutlich verschärft. Wegen der strengen Maßnahmen gegen die Coronainfektionen, die vor allem mit deutlicher Bewegungseinschränkung verbunden sind, gibt es noch weniger Kontrollen in der Stadt.
Dabei hat sich bereits in den zwei vergangenen Jahrzehnten die Wirtschaftsstruktur Pratos deutlich verändert. 4.500 italienische Textilunternehmen – zumeist kleine Familienbetriebe – mussten Konkurs anmelden, etwa 20.000 Italiener verließen die Stadt. Im Gegenzug meldeten 3.700 chinesische Betriebe ihren Firmensitz in Prato an.
Nach offiziellen statistischen Angaben leben etwa 25.000 Chinesen in der Stadt, doch die Sicherheitsbehörden gehen von weiteren mehreren Zehntausenden aus dem Reich der Mitte aus. Viele von ihnen wohnen auf Zwischendecken, die in den Scheunen über den Arbeitsplätzen eingezogen wurden. Als in einer dieser Wohn- und Arbeitsunterkünfte am 1. Dezember 2013 ein Feuer ausbrach, starben sieben Arbeiterinnen, zwei Menschen wurden schwer verletzt. Dies trug sich nur in etwa einem Kilometer Entfernung vom Standort der Texprint zu, in einem Areal, das übersät ist mit vielen kleinen, zum Teil illegalen Nähereien.
Dass dies überhaupt geduldet wird, ist auch dem Umstand zu schulden, dass die großen Modelabels wie Prada, Gucci, Ferragamo und andere bekannte Branchennamen in Prato nähen lassen.
Corona, Masken und Mafia
Nicht nur mit den jetzigen Streikaktivitäten geriet Texprint in die Schlagzeilen. Die Antimafiabehörde von Mailand ermittelt gegen Sang Yu Zhang, ein leitendes Firmenmitglied, wegen Verbindung zur ’Ndrangheta und illegalen Geschäften im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Der konkrete Vorwurf betrifft das Kassieren von 340.000 Euro aus öffentlichen Mitteln, um Mund-Nase-Schutzmasken zu produzieren, eine Produktionslinie, für die das Unternehmen überhaupt nicht ausgerichtet ist.
Notizen, die über die Ermittlungen der Antimafiabehörde an die Öffentlichkeit gelangen, unterstreichen die engen Verbindungen zwischen kalabresischer ’Ndrangheta und chinesischen Triaden, die in dem undurchsichtigen Menschendschungel Pratos ihren Aktivitäten nachgehen.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können