Donnerstag6. November 2025

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PolenWahlkampf mit der Angst: Knappes Rennen zwischen Liberalen und Konservativen steht an

Polen / Wahlkampf mit der Angst: Knappes Rennen zwischen Liberalen und Konservativen steht an
Jaroslaw Kaczynski (M.), stellvertretender Ministerpräsident von Polen, spricht während einer Veranstaltung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit Anwohnern Foto: PAP/dpa/Darek Delmanowicz

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Auf der Zielgeraden kurz vor den Parlamentswahlen vom Sonntag spielt Polens national-konservative Regierungspartei noch einmal mit der Angst: „Wenn Tusk die Wahlen gewinnt, holt er illegale Migranten nach Polen“, weiß Regierungschef Mateusz Morawiecki am Mittwoch beim Wahlkampfauftritt in der westpolnischen Stadt Kalisz zu berichten.

„Ihr werdet Umzüge von jungen, muslimischen Männern sehen, die nichts von Frauenrechten halten; zu uns kommen islamistische Terroristen, denn die EU will ihnen die Türen weit öffnen“, droht Jaroslaw Kaczynkis Premier und spielt dabei auf den von Warschau und Budapest gerade abgelehnten EU-Migrationspakt an. Tags darauf wird Morawiecki vor der Presse noch klarer: „Ruft allen an, denn diese Nachricht muss gestreut werden: (Tusks) Bürgerplattform bedeutet illegale Migration; Donald Tusk ist ein gefährlicher Mensch!“

Im Wahlkampf pocht Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) immer wieder auf die gewachsene Bedeutung Polens als NATO-Frontstaat, bedient aber vor allem die kriegsbedingten Ängste der Polen vor einer Invasion, vor Fremden und sozialen Nöten. Wie in jenem denkwürdigen Wahlkampf von 2015, der PiS nach acht langen Jahren zurück an die 2007 vorzeitig verlorene Macht gebracht hatte, wird auch diesmal Wahlkampf auf dem Buckel von Flüchtlingen betrieben. Da zeigen PiS-Wahlspots brennende Autos in den Pariser Vorstädten, Kolonnen dunkelhäutiger Männer und Steine werfende Migranten an der Grenze zu Belarus. Wer PiS seine Stimme gebe, bekomme stattdessen einen fürsorgenden Staat mit guten Sozialleistungen und Wohnbauprogrammen, heißt es in den Spots.

Dazu spielt PiS erneut die „deutsche Karte“: Tusk sei ein Lakai Berlins, der in seiner Regierungszeit 2007-14 die prorussische Politik Angela Merkels in Polen vertreten und ab Herbst 2023 die deutsche Hegemonie in der EU wiederherstellen und die Bezahlung von Reparationen für den Zweiten Weltkrieg verhindern solle. Diese Verschwörungstheorie zielt vor allem auf ältere Bürger, denn sie greift gezielt auf Versatzstücke der kommunistischen anti-westlichen Propaganda zurück.

Um das Gefühl der äußeren Bedrohung zu verstärken, hat die PiS-Regierung – dem Vorbild Viktor Orbáns in Ungarn folgend – neben dem Urnengang für 460 Sejm-Abgeordnete noch ein Referendum mit vier Fragen zur Migrations-, Sicherheits- und Privatisierungspolitik (Verkauf an nicht-polnische Investoren) gestellt.

Kommt eine rechtsextreme, populistische Koalition?

Polens liberale und linke Opposition will dieses Referendum boykottieren. Für die Wahlen vom Sonntag wirbt sie für eine Lockerung des rigiden Abtreibungsgesetzes, eingeschriebene Lebenspartnerschaften jeglichen Geschlechts, ein besseres Gesundheitssystem und weniger Einfluss der katholischen Kirche. Doch die Wahlspots der liberalen PO, der Linken und des zentralistischen Wahlbündnisses „Dritter Weg“ wirken verglichen mit PiS oft zahm und farblos.

Davon hebt sich einzig die rechtsextreme „Konföderation“ ab, die fast nur online präsent ist und gezielt mit dem Bürgerwunsch nach Niedrigsteuern und Sozialneid gegen die rund eine Million ukrainischer Flüchtlinge spielt. Ausgerechnet die „Konföderation“ könnte das Zünglein an der Waage werden, wenn PiS – wie alle neueren Umfragen andeuten – zwar erneut stärkste Partei in Polen wird, aber keine absolute Mehrheit mehr im Parlament erreicht. Ideologisch sind die Rechtsextremen der PiS am nächsten.

Um eine rechts-extrem populistische Koalition zu verhindern, will die Opposition eine möglichst hohe Wahlbeteiligung erreichen. So gibt es spezielle Kampagnen, die sich an Frauen, Jugendliche und Nichtwähler richten. In diesen Kreisen sieht sie noch Potenzial. Rund 30 Prozent der Polen wollen laut Umfragen nicht an die Urnen gehen, etwa 8 Prozent wissen noch nicht, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen.

„Zwar gibt es sieben Parteien, doch bleibt uns nur die Wahl zwischen zwei Übeln“, klagt Agata Stachowska aus der Nähe von Kalisz. Die Mehrheit der Polen sei des fast 20-jährigen Zweikampfs zwischen den beiden Altpolitikern Kaczynski (74) und Tusk (66) überdrüssig. Doch an den Parteien der beiden führe kein Weg vorbei, zumal sie rund 70 Prozent der Stimmen binden würden. Landesweit hochgerechnet deuten die Umfragen der letzten zehn Tage auf einen Vorsprung von PiS und „Konföderation“ von vier Parlamentssitzen über die drei möglichen oppositionellen Koalitionsparteien PO, Linke und „Dritter Weg“ (mit 228 von 460 Sitzen) hin. In Prozenten schneidet PiS regelmäßig rund 5 Prozent besser ab als PO.