Sonntag9. November 2025

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Rückblick auf 25 Jahre Repression in BelarusVon Todesschwadronen zur staatlich sanktionierten Flugzeugentführung 

Rückblick auf 25 Jahre Repression in Belarus / Von Todesschwadronen zur staatlich sanktionierten Flugzeugentführung 
August 2020, unmittelbar nach der Wahl: Die nächste Repressionswelle beginnt Foto: AFP/Siarhei Leskiec

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Nicht nur mit der erzwungenen Ryanair-Landung in Minsk und der anschließenden Verhaftung eines Bloggers zieht Lukaschenko die Repressionsschrauben maximal an. Belarus ist dabei schon lange kein demokratischer Staat mehr.

Der Anfang war sauber und demokratisch. Zweieinhalb Jahre lang war Belarus unabhängig, als der 40-jährige Antikorruptionsaktivist Alexander Lukaschenko die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen seines Landes gewann. Zweieinhalb Jahre später verhängte die EU erste Einreisesperren gegen ihn und seine Führungsriege wegen Menschenrechtsverletzungen.

Doch bald sollte es schlimmer kommen. 1999 und 2000 verschwanden fünf wichtige Oppositionspolitiker und kritische Journalisten spurlos. Die Politiker sollen allesamt in einem Waldstück bei Minsk hingerichtet und verscharrt worden sein. Aufgeklärt wurden weder das Verschwinden noch die angeblichen Morde. Aber der Ton wurde damit vor mehr als zwanzig Jahren vom Regime Lukaschenko gesetzt. Und vor diesem Hintergrund sind auch die staatliche sanktionierte Entführung des Ryanair-Flugs von Athen nach Vilnius am Pfingstsonntag und die Zwangslandung in Minsk zu sehen, die offensichtlich ein Ziel hatte: die Festnahme des Regimekritikers Roman Protassewitsch.

Seit 25 Jahren

Seit dem umstrittenen Verfassungsreferendum vom November 1996 wird in Belarus die politische Opposition gegängelt. Seit 25 Jahren herrscht ein Auf und Ab politischer Freiheiten, dies in einem Land in Europa, das seitdem nicht mehr als demokratisch bezeichnet werden kann. Parteien werden in ihrem Spielraum eingeschränkt, der Wahlkampf behindert, die Meinungsfreiheit unterdrückt. Das betrifft politische Akteure genauso wie unabhängige Journalisten. Den höchsten Preis haben die vor 21 Jahren Verschwundenen bezahlt sowie der 2016 bei einem immer noch ungeklärten Bombenanschlag in Kiew ermordete Pawel Scheremet, doch bekannter sind heute die rund 400 alleine seit der jüngsten Protestwelle vom 9. August festgenommenen Medienschaffenden.

Zudrehen und Lockerung von Alexsander Lukaschenkos Repressionsschraube hatten seit dem Ende der ersten Amtszeit 2001 immer mit Wahlen und mutmaßlich gefälschten Resultaten gemein. In manchen Jahren gelang es der EU, Minsk zu Zugeständnissen und größeren politischen Freiheiten zu bewegen. Dies geschah meist im Tausch gegen finanzielle Unterstützung des wirtschaftlich schon lange angeschlagenen Regimes, das ohne massive Subventionen des Kreml kaum überlebensfähig wäre.

Immer aber waren bei Präsidenten- und Parlamentswahlen die Rechte der Parteien und unabhängiger Einzelkandidaten massiv eingeschränkt. Immer wieder seit 2001 wurden Oppositionskandidaten aus fadenscheinigen Gründen nicht registriert, und noch nie hatte die Opposition in den Wahlkommissionen eine ebenbürtige Vertretung.

Grundrepression im Alltag

So gibt es in Belarus zwar über ein Dutzend politische Parteien, doch die meisten von ihnen hausen in über Hinterhöfe für Eingeweihte erreichbaren Privatwohnungen. Sie kämpfen um Mittel und Mitglieder, denn wer sich ihnen anschließt, ist Gängelungen am Arbeitsplatz, in der Schule der Kinder und weiteren Nachstellungen der Staatsorgane ausgesetzt.

Diese Grundrepression hat sich bei der letzten, bisher sechsten angeblichen Wiederwahl von Lukaschenko nur noch einmal verstärkt. Wegen des miserablen Managements der Corona-Krise schien es im Frühsommer 2020 zum ersten Mal so weit, als könnte Lukaschenko am 9. August der Gefahr ausgesetzt sein, abgewählt zu werden. Die Antwort des Regimes war einfach: Die aussichtsreichsten Herausforderer Wiktor Babariko und Sergej Tichanowski wurden kurzerhand festgenommen. Registriert wurde einzig Swetlana Tichanowskaja, die der amtierende Präsident als politisch unerfahrene Hausfrau verhöhnte. Das Regime traute ihr ganz offensichtlich nicht zu, viele Stimmen zu gewinnen.

Doch es kam anders. Tichanowskaja vereinigte dank einer Zusammenarbeit aller oppositionellen Wahlstäbe mutmaßlich mehr Stimmen auf sich als Amtsinhaber Lukaschenko. Als sich dieser dennoch zum Wahlsieger erklärte, liefen die traditionellen Nachwahlproteste gegen die Wahlfälschungen aus dem Ruder. Das weißrussische Volk erwachte, Hunderttausende zogen durch Minsk und forderten faire Neuwahlen. Nur der massive Einsatz von allen dem Regime zur Verfügung stehenden Sicherheitskräften, die Armee und Schusswaffen inklusive, vermochten den Volksaufstand bis zum Spätherbst niederzuringen.

Nun ist die Zeit der Abrechnung gekommen. Woche für Woche werden gewöhnliche Protestteilnehmer nicht mehr zu Kurzstrafen wie im August verurteilt, sondern zu jahrelangem Arbeitslager. Oppositionelle Parteikader und einflussreiche Journalisten, wie Roman Protassewitsch vom Telegram-Kanal „Nexta“, werden zu „Extremisten“ erklärt und müssen mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen. Die Repression hat damit ihren bisherigen Höhepunkt erreicht.