Der Tod ist in Rumäniens völlig überfüllten Covid-Kliniken ein Dauergast. Am Dienstag kletterte die tägliche Zahl von Corona-Toten mit 574 auf einen neuen Rekordwert. Gemessen an der Bevölkerung wies der Karpatenstaat bereits letzte Woche die zweithöchste Todesrate der Welt auf: Statistisch alle fünf Minuten ist im Oktober ein Rumäne an den Folgen einer Covid-Infektion gestorben. „Etwa 90 Prozent der Verstorbenen waren nicht geimpft“, berichtet Daniel Coriu, der Vorsitzende der nationalen Ärztekammer: „Wir haben eine enorm hohe Anzahl vermeidbarer Todesfälle.“
Schweden und Dänemark haben die Pandemie mit Abschaffung fast aller Präventivmaßnahmen bereits für beendet erklärt. Und auch in West- und Mitteleuropa blasen Würdenträger hoffnungsfroh zum Aufbruch ins Post-Corona-Zeitalter und die ersehnte Rückkehr in die Normalität. Doch im Osten und Südosten des Kontinents ist Corona noch keineswegs besiegt. Im Gegenteil: Vom Baltikum bis zum Balkan wogt die Pandemie wieder mit voller Wucht.
Den steigenden Todesraten stehen sehr niedrige Impfquoten gegenüber: Es sind vor allem Ungeimpfte, die in den vor dem Kollaps stehenden Covid-Kliniken sterben. Nur 36,3 Prozent (Stand: 20.10.) aller Rumänen sind bisher mindestens einmal geimpft – nach Bulgarien (25 Prozent) der zweitniedrigste Wert in der EU. „Wenn die Impfrate bei 70-80 Prozent liegen würde, hätten wir zehnmal weniger Todesfälle“, klagt der Bukarester Intensivarzt Claudiu Rusu.
Das Vertrauen in den eigenen Staat, Würdenträger und Institutionen ist in Südosteuropa aus leidvoller Erfahrung sehr gering. Dafür sitzt die Impfskepsis in einer Region der leidenschaftlich gepflegten Verschwörungstheorien und fragwürdiger Quacksalber besonders tief: Über die rückläufige Elternbereitschaft zur Vorsorgeimpfung für ihre Kinder klagen Epidemiologen auf dem Balkan schon seit Jahren.
Fast völlig freier Lauf
In einer europaweiten Umfrage des deutschen Max-Planck-Instituts zu Monatsbeginn erklärten 54 Prozent der befragten Rumänen, sich auf keinen Fall gegen Corona impfen lassen zu wollen. „Aufgrund der hohen Zahl der Impfverweigerer“ dürfte es sehr schwierig sein, eine Herdenimmunität durch Impfung zu erreichen, so die Autoren der Studie.
Serbien hat mit einer 7-Tage-Inzidenz von 638 (Stand: 19.10) den seit fast einem Monat gehaltenen „Titel“ des Infektionseuropameisters nun zwar an Lettland (765) abgetreten. Doch als besorgniserregend empfinden es Epidemiologen, dass Infektions- und Todeszahlen seit Wochen auf einem unverändert hohen Niveau verharren: Außer der seit Monaten stagnierenden Impfquote (44 Prozent) ist es im Balkanstaat der fast völlige Verzicht auf Präventivmaßnahmen, der die derzeitige Welle einfach nicht abflauen lässt.
Während der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 verdonnerte Belgrad Serbiens Rentner noch wochenlang zum Zwangshausarrest. Nun sind die Covidkliniken so voll wie nie, aber lässt die nationalpopulistische Regierung der Pandemie aus wahltaktischen Erwägungen und auf Druck der starken Gastronomie-Lobby fast völlig freien Lauf. Immerhin: Nach monatelangen Debatten der Tatenlosigkeit soll sich Serbiens Krisenstab laut Presseberichten am Mittwoch zur Einführung einer Covid-App durchgerungen haben.
„Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren“, mahnt nun auch Rumäniens Präsident Klaus Johannis spät verschärfte Maßnahmen an – „egal wie unpopulär das scheint“. Selbst schien der Landesvater allerdings genauso wie die nur noch geschäftsführende Regierung in den letzten Wochen eher mit der Koalitionskrise und politischen Ränkespielen statt mit der Pandemie beschäftigt. Nach deren Abklingen müsse die Frage nach den Schuldigen „auch aus strafrechtlicher Sicht gestellt“ werden, fordert bereits Ärztekammerchef Coriu, der Bukarest „etliche Fehler“ vorwirft: Ein digitales Covid-Zertifikat und die Impf- und Testpflicht für das Gesundheitspersonal hätte längst eingeführt werden müssen.
De Maart
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