Kaschgar ist eine Wüstenoase im Westen Chinas, bekannt als Wiege der uigurischen Kultur. Die charakteristischen Lehmziegelhäuser, die das Bild der Altstadt prägten, haben rund 2.000 Jahre und wechselnde Imperien überdauert. Doch Peking waren sie anscheinend ein Dorn im Auge. Dort wo früher die Ziegelhäuser standen, säumen heute Souvenirstände die Straßen – voll mit Kühlschrankmagneten und billigem Schmuck.
Dies berichtet der australische Sender ABC, eines der wenigen ausländischen Medienhäuser, dem die KP eine Tour durch die über Jahrzehnte unterdrückte Provinz gegeben hat. Laut der Regierung in Peking sind die einstigen Lehmhäuser abgerissen worden, weil man Bedenken wegen der Erdbebengefahr sowie wegen mangelnder sanitärer Einrichtungen hatte. Uigurische Aktivistengruppen bezeichnen die Zerstörung der Altstadt dagegen als „kulturellen Völkermord“.
Nach chinesischen Angaben ist die Region bereits ein beliebtes Ziel für heimische Touristen. Allein in diesem Jahr sollen mehr als 180 Millionen Touristen nach Xinjiang gereist sein, angelockt durch staatlich finanzierte Gutscheine für ermäßigte Reisen. Besucher können sich beispielsweise in einem elektrischen Buggy durch die Menschenmassen fahren oder für ein Fotoshooting auf den Stufen einer Moschee in ein traditionelles uigurisches Kostüm kleiden lassen. Die Polizeikontrollpunkte wurden zurückgefahren und durch ein riesiges Netzwerk hochentwickelter Überwachungskameras mit Gesichtserkennung ersetzt.
Hartes Vorgehen gegen den Terror
Laut der ABC sind diese Kameras eines der wenigen sichtbaren Zeichen, das an das über Jahrzehnte harte Vorgehen gegen die uigurische Bevölkerung und andere muslimische Minderheiten in der Region erinnert. Erst im vergangenen Jahr hatte ein Bericht der Vereinten Nationen die Aktionen gegen die dortigen Menschen noch als ein mögliches „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet. Aus chinesischer Sicht ging es bei der Kampagne jedoch rein um Extremismusbekämpfung. Denn vorausgegangen waren Unruhen in der Hauptstadt Urumtschi, bei denen 2009 Hunderte Menschen getötet wurden, sowie ein Autoangriff auf Fußgänger auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking im Jahr 2013, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen.
Als ein Jahr später dann ein Messer- und Sprengstoffangriff auf den Bahnhof von Urumtschi die Reise des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in die Provinz überschattete, befahl er den Beamten, „hart gegen den Terror vorzugehen“. Seitdem haben Forscher, Journalisten und Rechtswissenschaftler Misshandlungen der Bevölkerung durch die Regierung dokumentiert, darunter Masseninternierungslager, Zwangsarbeit und Maßnahmen zur Geburtenverhütung. China selbst hat derartige Maßnahmen stets geleugnet und ist inzwischen dabei, das Image der gebeutelten Provinz völlig umzukrempeln. „Das große Rebranding von Xinjiang ist in vollem Gange“, sagten die australischen Reporter in ihrem Bericht.
Akribisch choreografierter Besuch
Während der von der chinesischen Regierung akribisch organisierten Tour wurde den Australiern ein uigurischer Kindergarten gezeigt, in dem die Schüler im Klassenzimmer Verse auf Mandarin aufsagten und auf dem Spielplatz zu traditioneller Musik tanzten. Außerdem durften sie eine Fabrik besuchen, in der angeblich jeder fünfte Arbeiter einer muslimischen Minderheit angehörte. Ein Interviewpartner, der der ABC zur Verfügung gestellt wurde, sagte, dass die Veränderungen in Xinjiang „großartig“ seien. Er führte Verbesserungen beim Verkehr, der Infrastruktur, im Alltag, bei der Beschäftigungssituation wie auch beim allgemeinen Wohlergehen der Menschen an. „Wir können das glückliche Lächeln auf den Gesichtern der Menschen sehen“, meinte Nie Zhaoyu.
Während der Tour sprach die ABC aber auch einen Souvenirverkäufer an, der nicht von den Reiseleitern gestellt war. Der Mann behauptete, Zeit in einem Internierungslager verbracht zu haben. „Als wir anfingen, ihn zu interviewen, erschien ein anderer Mann, den wir noch nie getroffen hatten, mit einer Kamera, stellte sich neben uns und filmte jede seiner Antworten“, schrieben die australischen Journalisten. Der Händler habe rein äußerlich keine Anzeichen von Einschüchterung gezeigt und habe eher teilnahmslos die „extrem radikalen religiösen Ideologien“ beschrieben, die dazu geführt hätten, dass er sieben Monate lang eingesperrt wurde. „Ich habe meiner Frau nicht erlaubt zu arbeiten“, gab Imamu Maimaiti Sidike als ein Beispiel. Er bestritt jegliche Misshandlungen in der Einrichtung und behauptete, er habe gut gegessen, Schach gespielt und Bücher gelesen und sei sogar am Wochenende nach Hause gegangen. „Durch mein Studium wurde mir klar, dass radikale religiöse Ansichten den Menschen schaden“, berichtete er. Diese Denkweise würde er nun nicht mehr haben. „Ich komme mit Menschen jeder ethnischen Zugehörigkeit und jeden Glaubens klar.“
„Narrativ aus Angst“
Laut Peter Irwin vom Uyghur Human Rights Project (UHRP) entsprechen diese Kommentare einem „Narrativ aus Angst und der allgegenwärtigen Strafandrohung“, wenn die Menschen aus der Reihe tanzten. „Die Menschen haben Todesangst davor, das Falsche zu sagen, die falsche Person zu treffen oder mit dem Ausland zu kommunizieren“, sagte Irwin. Menschen seien bereits wegen der grundlegendsten religiösen Ausdrucksformen inhaftiert worden. Wenn man beispielsweise einen Koran zu Hause habe, könne man zehn Jahre lang eingesperrt werden.
Das UHRP habe die Zerstörung Tausender Moscheen dokumentiert sowie mehr als 1.500 Fälle, wo uigurische Imame und andere religiöse Führer inhaftiert worden seien oder völlig von der Bildfläche verschwanden, berichtete Irwin weiter. Den verbliebenen Imamen sei nur eine Predigt gestattet, die direkt mit den Aussagen der chinesischen Regierung übereinstimme. „Religionsfreiheit gibt es also überhaupt nicht“, sagte er. „Sie wurde weitgehend durch diese touristische Konsumhaltung ersetzt.“
De Maart
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