Freitag24. Oktober 2025

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AnalyseUnter der Oberfläche gärt es: Österreichs türkis-grüner Regierung blüht ein verflixtes zweites Jahr

Analyse / Unter der Oberfläche gärt es: Österreichs türkis-grüner Regierung blüht ein verflixtes zweites Jahr
Vizekanzler Werner Kogler, in Babyelefanten-Kostüm gezwungenes Kind, Kanzler Sebastian Kurz: Österreichs türkis-grüne Koalition lieferte vergangenes Jahr mehr als nur ein bizarres Bild – 2021 dürfte noch ärger an dem Bündnis zupfen Foto: dpa/APA/Herbert Neubauer

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Wer eine konfliktreiche Beziehung erwartet hatte, wurde enttäuscht: Seit einem Jahr koalieren ÖVP und Grüne in Pandemie-bedingter Harmonie. Doch ganz so rund wie zu Beginn läuft es nicht mehr.

Österreich hat die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg, die Menschen blicken pessimistisch wie noch nie ins neue Jahr. Unter normalen Umständen stünde eine Regierung, die Derartiges zu verantworten hat, vor dem Ende. Aber was ist schon normal in pandemischen Zeiten?

Normalität gab es für Türkis-Grün gerade einmal vier Wochen, obwohl schon diese Konstellation alles andere als normal war. Zwischen ÖVP und Grünen liegen ideologische Welten. Sebastian Kurz wollte das Beste aus beiden Welten vereinen. Konkret: „Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen.“ Seinen zweiten Anlauf als Kanzler inszenierte der ÖVP-Chef am 7. Januar wie seinen ersten mit der FPÖ als Harmonieshow.

Niemand weiß, wie lange die Fassade der Eintracht normalen politischen Stürmen getrotzt hätte. Denn seit elf Monaten ist diese ungewöhnliche Koalition so wie alle Regierungen dieser Welt hauptsächlich mit dem Schutz vor dem Coronavirus beschäftigt. Grenz- und Klimaschutz sind gelegentlich Thema, aber nicht im Fokus.

Weil Österreich die erste Coronawelle besser als die meisten anderen Länder überstand, hatten Bedenkenträger nicht viel zu melden. Die Opposition hielt sich im Auge des viralen Hurrikans staatstragend zurück, während die Umfragewerte der Regierungsparteien auf Rekordhöhe schnellten und die messianische Ambition des ohnehin nicht von Selbstwertproblemen geplagten Jungkanzlers über Österreich hinauswuchs.

Grüne hören oft ÖVP-Njet

Kurz schmiedete eine Corona-Allianz mit Staaten, die ebenfalls gut durch die erste Welle gekommen sind. Das Selbstbewusstsein des Alpenrepublikaners bekamen auch EU-Partner zu spüren: Im Streit um EU-Budget und EU-Corona-Hilfspaket inszenierte sich Kurz als Wortführer der „frugalen Vier“ (Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden), die eine Vergemeinschaftung von Schulden und nicht rückzahlbare Corona-Hilfen ablehnten.

In dieser Auseinandersetzung beschlich die Grünen das Gefühl, Kurz könnte mehr das Beste aus seiner Welt und weniger das Beste aus ihrer im Sinn haben. Vizekanzler Werner Kogler präferierte anders als sein frugaler Koalitionspartner nicht rückzahlbare Zuschüsse. Einen „Krieg der Welten“ riskieren die Grünen deshalb aber nicht. Das tun sie nicht einmal bei ihren Kernthemen. Umweltministerin Leonore Gewessler präsentiert ein Konzept für Pfand auf Plastikflaschen – die ÖVP sagt Njet. Sozialminister Rudolf Anschober will ein Bleiberecht für abgelehnte Asylwerber, die erfolgreich eine Ausbildung absolviert haben – die ÖVP sagt Njet. Parteichef Kogler fordert die Aufnahme von Migranten aus griechischen Lagern – die ÖVP sagt Njet.

Gut, CO2-Schleudern im Straßenverkehr werden höher besteuert und es soll ein günstiges Öffi-Ticket geben, ob das aber reicht, um die ohnehin nicht ÖVP-freundliche grüne Basis zu besänftigen, ist fraglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass bislang unter der Corona-Decke gehaltene Konflikte aufbrechen, ist umso größer, als auf der politischen Bühne wieder die alte Normalität herrscht: Die im Frühjahr handzahme Opposition lässt kein gutes Haar am gar nicht mehr so glänzenden Krisenmanagement der Regierung.

Zenit ist überschritten

Genüsslich verweist die SPÖ auf Kurz‘ Corona-Verbündeten Israel, wo schon mehr als eine Million Menschen geimpft sind, während Österreich von 60.000 eingelangten Dosen seit Weihnachten gerade einmal zehn Prozent eingesetzt hat. Weil die Infektionszahlen nicht im erhofften Ausmaß runtergehen, bleibt Österreich mindestens bis 25. Januar im Lockdown. Die Möglichkeit des Freitestens eine Woche davor haben SPÖ, FPÖ und Neos mit der Androhung eines Vetos im Bundesrat verhindert.

Das koalitionäre Konfliktpotenzial wächst auch durch das Schrumpfen des grünen Trostpflasters: Im Frühjahr sonnte sich nicht nur Kurz in der Umfragesonne. Sie strahlte auch auf die Grünen: Zeitweise lagen sie in der Sonntagsfrage bei 19 Prozent, fünf Punkte über ihrem Wahlergebnis vom Oktober. Zwar hat auch die ÖVP ihren Frühjahrszenit überschritten, doch mit knapp unter 40 Prozent bleibt sie unangefochtene Nummer eins.

Was den Grünen Sorge bereiten muss, ist der Aufstieg der liberalen Neos. In der Bundeshauptstadt Wien hat die dort regierende SPÖ schon von Rot-Grün auf Rot-Pink umgesattelt. Die Neos sind für Regierungsbündnisse in alle Richtungen – ausgenommen FPÖ – offen. Koglers Truppe wird nach der Pandemie also viel Profilierungsbedarf haben, was die türkis-grüne Harmonieshow stören wird.