Freitag24. Oktober 2025

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ÖsterreichSicherheitspannen vor Attentat bringen Innenminister Nehammer in Bredouille

Österreich / Sicherheitspannen vor Attentat bringen Innenminister Nehammer in Bredouille
Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) steht wegen des islamistischen Attentates am Montag unter Druck Foto: dpa/APA/Roland Schlager

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Eine verschlampte Warnung und eine möglicherweise verratene Razzia: Gegen Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) werden nach dem Wiener Islamisten-Anschlag erste Rücktrittsforderungen laut.

In Österreich herrschte am Donnerstag noch die dreitägige Staatstrauer, die nach dem Attentat Montagabend verhängt worden war. Das trug wohl dazu bei, dass die Opposition mit Ausnahme der FPÖ nicht gleich ihre schwersten Geschütze auffuhr. Dennoch stand die Bundesregierung, in erster Linie der Innenminister, unter Beschuss. Denn seine anfängliche Taktik, die Verantwortung dem grünen Justizministerium zuzuschieben, ist nicht aufgegangen. Es trifft zwar zu, dass der Montagabend nach der Ermordung von vier Menschen von der Polizei erschossene Islamist Kujtim F. im Dezember vorzeitig aus der Haft entlassen worden war. Doch das entsprach nur den Regeln. Und selbst wenn der spätere Attentäter aufgrund des Jugendstrafrechtes nicht schon nach einem halben Jahr, sondern erst – wie bei guter Führung ansonsten üblich – nach Verbüßung von zwei Drittel seiner Strafe das Gefängnis verlassen hätte, wäre er seit Juli frei gewesen. Die Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der Anschlag wäre nicht passiert, hätte die Justiz den 20-Jährigen nicht freigelassen, stimmt also nicht. Eher trifft sie auf gravierende Fehler im Ressort seines Parteifreundes Nehammer zu.

Verschlampte Warnung

Der Verfassungsschutz hat eine dringende Warnung aus der Slowakei verschlampt. Am Donnerstag wurde der Inhalt jenes Schreibens bekannt, mit dem das slowakische Innenministerium die österreichischen Sicherheitsbehörden darauf hingewiesen hatte, dass am 21. Juli „zwei Personen in Waffengeschäften in Bratislava Munition des Typs 7,61 x 39 mm für das Sturmgewehr AK-47 (Kalaschnikow) zu kaufen versuchten“. Da die mangels Waffenschein abgewiesenen Kunden im Auto mit Wiener Kennzeichen vorgefahren waren, wurde die österreichische Polizei um Hilfe ersucht. Diese meldete am 10. September nach Bratislava, dass man einen der beiden Männer identifiziert habe: Kujtim F. Unterwegs war das Duo im Auto einer Wiener Kosovo-Albanerin, deren Sohn den Behörden ebenfalls als Dschihadisten-Sympathisant bekannt war. Der Versuch, Waffen zu kaufen, war ein klarer Verstoß gegen die Bewährungsauflagen.

Verratene Razzia?

Trotzdem läuteten in Nehammers Ressort nicht alle Alarmglocken. Oder etwa doch? Gestern machte in Wien das – vom Innenministerium weder bestätigte noch dementierte – Gerücht die Runde, wonach in der Nacht auf Dienstag eine Großrazzia gegen die österreichische Islamistenszene geplant war. Diese soll aber von einem Dolmetscher verraten worden sein, weshalb der Attentäter vorgewarnt war und sich spontan zum mörderischen Sprint durch die Wiener Innenstadt entschlossen habe. Sollte die Razzia tatsächlich geplant gewesen sein, würde es das ungewöhnlich schnelle Eingreifen massiver Polizeikräfte fast zeitgleich mit dem Attentat erklären. Die Spezialkräfte waren schon zusammengezogen …

Die Opposition forderte gestern in einer Sondersitzung des Nationalrates lückenlose Aufklärung. SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner warf Kurz und Nehammer vor, die politische Verantwortung abzuschieben. „Es geht um die Übernahme von Verantwortung – mit allen Konsequenzen, Herr Innenminister“, sagte die Sozialdemokratin, ohne das Wort Rücktritt schon in den Mund zu nehmen. Auch die liberalen Neos wollen erst die Ergebnisse einer Untersuchung abwarten. Aber, so der Wiener Neos-Chef Christoph Wiederkehr, „sollte sich herausstellen, dass es große Verfehlungen gegeben habe, dann müsse als Erster der Minister selbst Konsequenzen ziehen“. FPÖ-Fraktionschef Herbert Kickl, der bis Mai 2019 Innenminister war, machte Nehammer direkt verantwortlich für den Tod der Terroropfer: „Der Preis für Ihr Versagen war das Leben von vier Menschen. Der Preis, den Sie zu zahlen haben, ist vergleichsweise gering, nämlich Ihr Rücktritt.“

Die Sozialdemokraten stimmten einem von der FPÖ eingebrachten Misstrauensantrag gegen Nehammer zu. Die liberalen Neos gingen nicht mit, drohten aber, das bei nächster Gelegenheit nachzuholen. Das muss Nehammer noch kein Kopfzerbrechen bereiten. Erste Rücktrittsaufforderungen gab es gestern aber auch schon aus den Reihen des grünen Koalitionspartners.