Eineinhalb Stunden nach Beginn von Wladimir Putins Pressekonferenz kam der Kreml-Chef endlich auf die Causa Nawalny zu sprechen. Putin nannte Nawalny wie üblich nicht beim Namen, sondern bezeichnete ihn als „Patienten in der Berliner Klinik“. Er bezichtigte Nawalny, mit „Tricks“ seine Bedeutung erhöhen zu wollen, und unterstellte ihm Kooperation mit dem US-Geheimdienst.
Zu Wochenbeginn hatten die Rechercheplattform Bellingcat und mehrere Medien berichtet, dass ein Kommando aus FSB-Agenten Nawalny seit 2017 beschattet hätte. Auf mehr als 30 Reisen innerhalb Russlands hatten ihn die Männer beschattet, die eine berufliche Spezialisierung in Medizin und chemischen Waffen aufweisen. Die Agenten folgten dem Oppositionspolitiker zuletzt auch nach Sibirien, wo er in Tomsk am 20. August nach Kontakt mit dem Kampfstoff Nowitschok zusammenbrach.
Naheliegender Verdacht
Der Verdacht liegt nahe, dass die Geheimdienstler für die Planung des Attentats verantwortlich sind. Anhand von Telefon-Metadaten vor und nach der Vergiftung ist ersichtlich, dass die Agenten ihren Vorgesetzten minutiös Bericht erstatten, es also klare Befehlsketten gibt und davon auszugehen ist, dass auch die Staatsspitze über den Einsatz informiert war. Bisher hatten russische regierungsnahe Experten angenommen, dass der Kreml von der Operation nichts gewusst haben könnte. Diese Version scheint nun recht unwahrscheinlich. Nawalny ging nach der Veröffentlichung noch einen Schritt weiter und machte Putin persönlich für den Anschlag gegen seine Person verantwortlich.
Putins gestrige Reaktion markierte eine Fortführung der Linie des Kreml, der eine Auseinandersetzung mit den bisher bekannten Labor-Untersuchungen zum eingesetzten Gift sowie den neuen, detaillierten Vorwürfen schlichtweg ablehnt. Es handle sich um keine journalistische Untersuchung, sondern um „Legalisierungen“ von Materialien der US-Geheimdienste, führte Putin am Donnerstag aus. Nawalny kooperiere offensichtlich mit dem US-Geheimdienst.
Wenn es jemand gewollt hätte, dann hätte er die Sache zu Ende gebracht
Die Vorgehensweise des Kreml folgt einem alten KGB-Muster: Der Ruf des Opfers wird angekratzt, indem man insinuiert, dass es für gegnerische ausländische Mächte arbeite, kurz: ein Verräter sei. Das Gesagte ist auch ein Hinweis darauf, dass Nawalny bei einer etwaigen Rückkehr in die Heimat Strafverfolgung drohen könnte. Noch eine Aussage Putins erregte in dem Zusammenhang Aufmerksamkeit, als er das Attentat mit den zweideutigen Worten kommentierte: „Die Geheimdienste müssen ihn im Auge behalten. Aber das bedeutet überhaupt nicht, dass man ihn vergiften muss. Wer braucht ihn schon? Wenn es jemand gewollt hätte, dann hätte er die Sache zu Ende gebracht.“
Den politischen Kräften im Land riet der Kreml-Chef, konstruktive Vorschläge zu machen und keine „privaten Ambitionen“ zu verfolgen. Anders gesagt: die Grundfeste von Putins Herrschaft nicht infrage zu stellen. Etwa die umstrittene Verfassungsänderung und die dadurch ermöglichte Verlängerung seiner Regierungszeit, über deren Fortsetzung nach 2024 er „noch nicht entschieden“ habe, wie Putin erklärte.
Aufruf zur Impfung
Die alljährliche Pressekonferenz musste wegen der Corona-Krise in einem ungewohnten Format stattfinden. Drängten sich früher hunderte Journalisten in einem Saal, ging man dieses Jahr auf Distanz. Die Berichterstatter landesweiter und internationaler Medien saßen in Moskau locker auf Stühlen verteilt. In den Regionen waren Journalisten aus Pressezentren in Großstädten wie Wladiwostok, Nowosibirsk, Jekaterinburg oder St. Petersburg zugeschaltet. Staatschef Wladimir Putin wiederum saß in seinem eigenen Studio – in seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo.
Ob es nur ein schlechtes Jahr gewesen sei, fragte eine Journalistin aus Magadan zum Auftakt. Natürlich habe es „ein Meer an Problemen“ gegeben, antwortete der Staatschef im dunkelblauen Anzug, und nahm damit auf die Corona-Krise Bezug. Russland habe sich aber im internationalen Vergleich gut geschlagen. Putin rief die Bevölkerung zur Impfung mit der russischen Vakzine „Sputnik V“ auf. Und er verriet, dass er sich selbst noch nicht habe immunisieren lassen, weil der Impfstoff bisher nur für Menschen zwischen 18 und 60 Jahren freigegeben wurde. Der Staatschef ist 68 Jahre alt.
De Maart
"Wenn es jemand gewollt hätte, dann hätte er die Sache zu Ende gebracht" Na wenn das kein Geständnis ist über Methoden des KGB!? Der Mann weiß wo's lang geht in Sachen Regimekritiker. Diese Äusserung liegt auf der Hand,das wäre wohl jedem eingefallen." Es waren die Amerikaner". Wie wär's mit Tchernobyl oder dem gesunkenen U-Boot mit 93 Toten usw.Der böse Westen hat breite Schultern.