Mittwoch22. Oktober 2025

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PolenPiS-Regierung von Frauenprotest in Ecke gedrängt

Polen / PiS-Regierung von Frauenprotest in Ecke gedrängt
Auch in Polen lehnen immer mehr Frauen – aber auch Männer – es ab, dass religiöse Fundamentalisten die gesellschaftspolitische Richtung im Staat bestimmen Foto: AFP/Janek Skarzynski

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Die schaurigen Erlebnisse eines Teilnehmers der Frauenproteste haben Polen am Dienstag erschüttert. Ein 41-jähriger Warschauer Kleinunternehmer wurde von mehreren Polizisten nach seiner Festnahme zuerst auf der Straße und dann im Polizeiauto so lange mit Schlägen traktiert, dass nun das im Büro des Bürgerombudsmanns angesiedelte Komitee zur Verhinderung von Folter einschreiten musste.

„Ich lag schon am Boden, sie legten Handschellen an, schnürten mir die Kehle ab und nannten mich Schwuchtel und eine Null“, erzählte Michal dem Nachrichtenportal onet.pl. Nun fordert der Bürgerombudsmann von der Polizei eine Erklärung, während in der oppositionellen Presse Michals blaue Flecken zur Schau gestellt werden.

Brutale Festnahmen wie jene Michals könnten der Abschreckung dienen, vermutet die Opposition. Dazu kommt die Drohung der Staatsanwaltschaft, führende Protestteilnehmer für bis zu acht Jahre hinter Gitter zu bringen. Die Staatsanwaltschaft beruft sich dabei auf das coronabedingte Versammlungsverbot von über fünf Personen. Denn auch zwölf Tage nach dem umstrittenen Verfassungsgerichtsurteil gegen Abtreibungen gehen die wütenden Proteste in ganz Polen weiter. Erst am Montag wurden Dutzende von wichtigen Verkehrsadern von Menschenketten lahmgelegt. Die meisten Autofahrer nahmen es gelassen, viele hupten aus Solidarität mit den demonstrierenden Frauen. Erst am Wochenende hatten landesweit 400.000 Bürger gegen das Verfassungsgerichtsurteil und die PiS-Regierung demonstriert. Alleine in Warschau waren 100.000 Bürgerinnen und Bürger, darunter auffallend viele junge Frauen, vor das Wohnhaus von PiS-Chef und Vize-Premierminister Jaroslaw Kaczynski gezogen. „Verpiss dich, hau ab!“, riefen sie in Sprechchören. Und: „Mein Körper gehört mir!“

Bisher hatte sich der machtverliebte Taktiker Kaczynski nie verrechnet, wenn es darum ging, politisches Kapital aus der Antagonisierung der polnischen Gesellschaft zu schlagen. Nun allerdings scheint das Urteil des völlig der PiS unterworfenen Verfassungsgerichts (14 von 15 Richtern wurden von PiS berufen) die Regierungspartei zu schwächen. Neuste Umfragen zeigen, dass PiS seit dem Urteil vom 22. Oktober von rund 40 auf 30 Prozent Zustimmung abgesackt ist. Eingebrochen ist auch die oppositionelle, wertkonservative rechtsextreme „Konföderation“. Etwas gewonnen hat dagegen die liberale „Bürgerkoalition“, die zwei Prozentpunkte gutmachen konnte, mit 25 Prozent PiS aber immer noch nicht überrundet hat.

Angesichts dieser Zahlen hat sich die Kaczynski-Regierung dazu entschieden, das Verfassungsgerichtsurteil einstweilen nicht zu publizieren. Kanzleichef Michal Dworczyk begründete den ungewöhnlichen Entscheid – das Urteil hätte bis spätestens 2. November publiziert und damit zum Gesetz erhoben werden müssen – am Dienstag mit einem Abtreibungsgesetzesvorschlag von Staatspräsident Andrzej Duda. Die Gesetzesnovelle Dudas wird von PiS als Kompromisslösung beworben. Sie läuft darauf hinaus, dass die durch das Verfassungsgerichtsurteil nun verbotenen Abtreibungen von „schwergeschädigten Föten“ weiterhin vorgenommen werden könnten, wenn medizinisch nachgewiesen werden kann, dass das Kind sofort nach der Geburt sterben würde. Damit wären jährlich rund 50 bis 100 weitere Abtreibungen möglich. Duda hat das Gesetz am Dienstag im Sejm, Polens Großer Kammer, eingereicht. Doch dieser vertagte seine auf heute Mittwoch geplanten Beratungen – angeblich wegen Covid-19 – um zwei Wochen. Laut der linken und liberalen Opposition kann sich Kaczynski inzwischen selbst nicht mehr sicher sein, dass eine Mehrheit seiner Regierungsfraktion Dudas Kompromissvorschlag zustimmt.

Rechtsextreme Paramilitärs drohen

Von Premierminister Mateusz Morawiecki angeregte Konsultationen mit der Opposition über Corona und ein neues Abtreibungsgesetz waren am Montag gescheitert. Sowohl die Linke wie die liberale Bürgerkoalition verweigerten eine Teilnahme. Einzig die kleine Bauernpartei PSL zeigte sich bereit, mit PiS zu sprechen. Die wertkonservative PSL will wohl einen eigenen Abtreibungskompromiss einreichen. Alle diese Kompromisse müssen indes das neue Verfassungsgerichtsurteil berücksichtigen, das rund 98 Prozent der bisher noch rund 1.100 legal vorgenommenen Abtreibungen für illegal erklärt hat.

In der polnischen Gesellschaft ist die Diskussion über Abtreibungen während der vergangenen zwölf Frauen-Protesttage indes mit Siebenmeilenstiefeln weiter gegangen. Immer mehr Polinnen und Polen – allerdings noch keine Mehrheit – fordern inzwischen eine Liberalisierung des sehr restriktiven Abtreibungsgesetzes, nicht deren etwas „weichere Verschärfung“, wie es Duda will. Die Auseinandersetzungen nach dem umstrittenen Verfassungsgerichtsurteil sind inzwischen so hitzig geworden, dass am Montag rund 200 Generäle in einem offenen Brief vor einem Blutvergießen gewarnt haben. Sowohl Demonstranten wie Polizei müssten sich zurückhalten und friedlich bleiben, fordern die Generäle.

Der rechtsextreme Aktivist Robert Bakiewicz hat inzwischen bekannt gegeben, dass 10.000 bis 20.000 Mitglieder seiner paramilitärischen „Volksgarden“ bereitstünden, um Kirchen und Tradition zu verteidigen. Kaczynski hatte vor Wochenfrist seine Sympathisanten in einer „Ansprache zur Nation“ zur Bildung solcher Bürgerwehren aufgerufen.