Ein Hungerstreik ist weder leicht noch gesund. Warum haben Sie sich trotzdem dazu entschieden?
Was wir am Wahltag erlebten, war ein schamloser Diebstahl der Wahl, vor allem in Belgrad. Meine Entscheidung zum Hungerstreik bis zur Annullierung der Wahl dient auch dazu, den Stimmenklau zumindest öffentlich zu machen – in Serbien, aber auch auf internationaler Ebene.
Wie würden Sie jemandem, der Serbien nicht kennt, erklären, was hier passiert ist?
Das Hirn dahinter ist Präsident Aleksandar Vucic. Weil ihm die Bürger nicht passen, die ihn nicht mehr wählen, hat er entschieden, das Volk zu ändern: Er lässt aus dem Ausland Wähler importieren, die für seine Partei stimmen.
Und wie ging das am Sonntag bei der Stadtratswahl in Belgrad genau vor sich?
Im Eilverfahren wurden vermutlich über ein Jahr lang Unmengen neuer Staatsbürgerschaften für Menschen in Bosnien mit fiktiven Meldeadressen in Belgrad ausgestellt. Zu Tausenden wurden sie dann zu Sammelstellen wie die Belgrad Arena gekarrt und von dort weiter verteilt, um in Serbien abzustimmen.
Inwiefern finden Sie das problematisch?
Mit der Staatsbürgerschaft haben die Leute zwar das Recht erhalten, in Serbien an der Parlamentswahl teilzunehmen. Aber sie haben sicher nicht das Recht, sich an Kommunalwahlen in Städten zu beteiligen, in denen sie gar nicht leben. Zum Beispiel Nenad Nesic, Sicherheitsminister in Bosnien. Der hat hier darüber abgestimmt, wie man in Belgrad lebt, die Kinder in die Schule schickt, die Autos parkt, was gebaut und abgerissen werden soll. Dabei ist sein Lebensmittelpunkt nachweislich woanders. Ein bosnischer Minister half also, in Serbien ein kriminelles Regime zu unterstützen – mit Vucic an der Spitze.
In welchem Staat in der EU wäre es denkbar, dass Wähler ihren Stimmzettel in der Wahlkabine mit ihrem Ausweis daneben fotografieren müssen als Beleg für ihre Stimmabgabe für die Regierungspartei?
Kam es in anderen Regionen des Landes zu ähnlichen Vorfällen?
In Belgrad war der Wahlbetrug am sichtbarsten und am massivsten. Doch Wahlverstöße gab es praktisch überall: Wähler ohne Ausweis oder Pass; Wähler, die in mehreren Wahllokalen registriert waren und abstimmten; offener Stimmenkauf und Bestechung. In welchem Staat in der EU wäre es denkbar, dass Wähler ihren Stimmzettel in der Wahlkabine mit ihrem Ausweis daneben fotografieren müssen als Beleg für ihre Stimmabgabe für die Regierungspartei?
Welche Wähler stehen Ihrer Ansicht nach am meisten unter Druck?
Bei uns ist der Staat immer noch der größte Arbeitgeber. Und das nutzt die SNS als größte Wählerressource aus. Nur über die Partei erhält man eine Anstellung. Und danach werden die Leute malträtiert, um für die SNS zu stimmen.
Finden Ihre Klagen über Wahlmanipulationen bei Ihren Landsleuten Gehör?
Wir leben in einem gekaperten Staat und leider auch im Mediendunkel. Alle TV-Sendelizenzen mit nationaler Reichweite sind an (regierungsnahe, TR) Skandalsender vergeben. Der öffentlich-rechtliche Sender RTS ließ uns zwar an 45 Wahlkampftagen zu Wort kommen – aber an den anderen 300 Tagen des Jahres sind wir nicht gefragt. Die Boulevardblätter sind die brutalsten Knüppel der Macht: Sie dienen zur Verfolgung von Andersdenkenden.
Und wie wirkt sich das aus?
Außerhalb der Großstädte haben die Leute kaum Zugang zu freien Medien – und haben keine Ahnung, was im Land eigentlich geschieht. An den Wahlergebnissen sind die verfügbaren Informationsquellen direkt abzulesen. In den Städten, wo es freie Medien gibt, hat die Opposition deutlich mehr und die SNS wesentlich weniger Stimmen erhalten.
Was hier passiert, darf sich ein EU-Beitrittskandidat nicht erlauben. Und das hat nun hoffentlich auch die EU begriffen.
Wie bewerten Sie die Reaktion der internationalen Wahlbeobachter und der EU?
Die EU hat in Serbien zu lange weggeschaut, obwohl wir stets auf Wahlverstöße und Missstände hingewiesen hatten. Vielleicht dachten sie, dass dies Einzelfälle seien. Doch nun scheinen mir nicht nur die Wahlbeobachter der OSZE, des Europarats und des Europaparlaments, sondern auch die EU-Partner das Ausmaß des Problems erkannt zu haben. Die Reaktionen kamen ungewohnt schnell – und waren ernsthaft und deutlich.
Wie sollte die EU gegenüber Serbien unter der derzeitigen Führung auftreten?
Ich habe nicht verstanden, warum hier kurz vor der Wahl Frau Von der Leyen (EU-Kommissionschefin, Anm.) auftauchte, um die angeblich guten Bedingungen für die Medien zu loben und neue Finanzhilfen in Aussicht zu stellen. Gut finde ich es, dass – abgesehen von Orban – keine einzige EU-Regierung Vucic zu dem Wahlergebnis gratuliert hat. Was hier passiert, darf sich ein EU-Beitrittskandidat nicht erlauben. Und das hat nun hoffentlich auch die EU begriffen.
Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, das Wahlergebnis revidieren zu können?
Ich habe den Eindruck, dass auch Vucic den Ernst der Tatsache erkannt hat, dass er auf frischer Tat beim Wahlbetrug ertappt worden ist. Er versucht nun, mit dem Hinweis auf fehlende Stadtratsmehrheiten einen Grund zur Wiederholung der Wahl als Ausweg zu ersinnen. Doch wir beharren auf einer Annullierung. Die SNS hat die Stadtratswahl nicht gewonnen. Und darum werden wir die vor aller Augen verfälschten Ergebnisse auch nicht anerkennen.
Zur Person:
Profilierteste Stimme der Opposition
Die 1974 in Pancevo geborene Marinika Tepic gilt in Serbien als eine der profiliertesten und prominentesten Stimmen der Opposition. Die Angehörige von Serbiens rumänischer Minderheit engagierte sich seit 2008 für die sozialdemokratische Regionalpartei LSV in der Lokalpolitik. 2012 übernahm die frühere Grundschullehrerin und Journalistin das Amt der Jugend- und Sportsekretärin der Regionalregierung der Vojvodina, bevor sie 2014 erstmals als Abgeordnete in Serbiens Parlament gewählt wurde. Nach zwei Parteiwechseln wurde die engagierte Aktivistin für Menschen- und Minderheitenrechte 2019 zur stellvertretenden Vorsitzenden der sozialdemokratischen SSP gewählt. Bei der Parlamentswahl am Sonntag trat sie als eine der beiden Spitzenkandidaten des proeuropäischen Oppositionsbündnisses „Serbien gegen die Gewalt“ an. (tro)
De Maart
Immer schwach und armselig wenn ein politiker vom ausland eine haertere gangart gegen sein eigenes land und dessen regierung fordert.
Man hat im irak und in libyen u.a. gesehen zu was solche forderungen meist fuehren.