ÖsterreichÖVP zeigt im Streit um Aufnahme von Moria-Kindern auch Koalitionspartner die kalte Schulter

Österreich / ÖVP zeigt im Streit um Aufnahme von Moria-Kindern auch Koalitionspartner die kalte Schulter
Es riecht nach Koalitionskrach in Österreich: Kurz’ ÖVP und die grünen Regierungspartner streiten über die Moria-Folgen  Foto: dpa/Roland Schlager

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Die ÖVP lässt die Grünen einmal mehr spüren, wer das Sagen hat: Deren Forderung nach Aufnahme von Kindern aus Moria wird von Kanzler Sebastian Kurz einfach ignoriert.

Der Konflikt war schon im März hochgekocht, dann aber vom Ausbruch der Corona-Pandemie verdrängt worden: Österreichs Grüne forderten die Aufnahme von Frauen und Kindern aus dem schon damals völlig überfüllten Lager auf der griechischen Insel Lesbos. Keine Chance: Kanzler Kurz lehnte jede Diskussion darüber ab, worauf Vizekanzler und Grünen-Bundessprecher Werner Kogler seine Forderung zur bloß „persönlichen Meinung“ degradierte. Der Corona-Hype erspart den Grünen eine intensivere Debatte dieser Peinlichkeit.

Doch jetzt flammt der Streit neu auf. Und die Grünen treten nach der Zerstörung des Lagers in Moria offensiver für die Aufnahme von Kindern ein, obgleich sich an den migrationspolitischen Frontverläufen in Wien nichts geändert hat. Außer vielleicht, dass nun auch die ÖVP bedingt durch den Wahlkampf in der Bundeshauptstadt noch schärfere Töne anschlägt. So wetterte Außenminister Alexander Schallenberg gegen „das Geschrei nach Verteilung“. Für diese von dem gelernten Diplomaten bisher nicht gekannte Wortwahl erntete der ÖVP-Minister umgehend Kritik des Vizekanzlers: „Ich erwarte mir mehr europäischen Geist und mehr Menschlichkeit und weniger Zynismus“, so Kogler. Auch die Grünen-Fraktionschefin Sigrid Maurer findet, dass Schallenbergs Äußerungen „eines Außenministers unwürdig“ und die ÖVP kaum noch von der FPÖ zu unterscheiden sei. Anders als Anfang März will sie aber nun nicht klein beigeben, sondern erklärt, die Grünen seien „durchaus kampfbereit“.

Kein Mangel an Plätzen

Das klingt schon sehr nach Koalitionskrach. Und dieses Mal wird er trotz wieder stark steigender Infektionszahlen vom Virus nicht zugedeckt. Die Grünen-Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic ist bereits nach Moria aufgebrochen, um vor Ort mit erschütternden Berichten über die Lage der Menschen dort den Druck auf die ÖVP zu erhöhen. Zugleich formiert sich in Österreich eine neue Bewegung der Solidarität. Eine von Prominenten und dem ehemaligen ÖVP-Abgeordneten Ferdinand Maier getragene Initiative „Courage“ bietet konkret 144 Plätze zur Aufnahme von Kindern aus Moria. Die praktische Umsetzung einer humanitären Aktion wäre also nicht das geringste Problem.

Die ÖVP argumentiert wie schon immer mit dem „Pull-Faktor“ dagegen: „Wenn wir das Lager Moria räumen, ist es gleich wieder gefüllt“, sagt Außenminister Schallenberg. Sende man Signale der Hoffnung auf Aufnahme in Europa aus, würden bald wieder Tausende Flüchtlinge an den Grenzen stehen.

Für Sigrid Maurer ist das nur „eine bequeme Ausrede, um nicht helfen zu müssen“. Sie setzt auf den wachsenden Druck auf die ÖVP, auch innerhalb der Partei. Tatsächlich gibt es die alten Christlichsozialen wie Ferdinand Maier, die sich von ihrer Partei eine Rückkehr zur humanitären Tradition in der Asylpolitik wünschen. Doch einflussreich sind diese meist ehemaligen Politiker nicht mehr wirklich. Sie prallen mit ihren Forderungen ebenso an der von Sebastian Kurz errichteten Wand ab wie der grüne Koalitionspartner.

Grüne als türkises Anhängsel

Obwohl also von Kurz kein Einlenken zu erwarten ist, wäre es übertrieben, die Regierung wackeln zu sehen. Für die Grünen wird es allerdings allmählich zum Problem, wenn sie sich vom Koalitionspartner derart eiskalt vorführen lassen. Je lauter sie vergeblich die Aufnahme von Kindern aus Moria fordern, desto mehr entlarven sie sich als einflussloses Anhängsel der türkisen Truppe. Der eher zur SPÖ tendierenden Parteibasis war das Experiment mit Kurz ohnehin von Anfang an nicht geheuer. Sollten die Grünen bei den Wiener Wahlen am 11. Oktober schwächeln, könnte das Rumoren unter der Oberfläche lauter und es auch für den Kanzler ungemütlich werden.

Asselborn nennt Kanzler Kurz wegen Flüchtlingspolitik „Missetäter“

Außenminister Jean Asselborn hat Österreichs Kanzler Sebastian Kurz wegen des Scheiterns der europäischen Flüchtlingspolitik scharf attackiert. „Europa bleibt krank, solange es aus der Flüchtlingskrise keinen Ausweg gefunden hat“, sagte Asselborn dem Spiegel. Der Sozialdemokrat fügte hinzu: „Für mich heißt der Missetäter Sebastian Kurz. Er hat diese erbärmliche Situation als Allererster zu verantworten.“
Kurz fährt in der Flüchtlingspolitik seit Jahren einen harten Kurs. Ganz Europa sei Kurz’ Gerede auf den Leim gegangen, „man müsse nur die Grenzen schließen, damit sich das Flüchtlingsproblem erledige“, kritisierte Asselborn in dem Nachrichtenmagazin. Er sieht nun vor allem EU-Kommissionschefin Ursula Von der Leyen in der Pflicht. „Es ist an der Zeit, dass die Kommissionschefin alle Hebel in Bewegung setzt, um auch jene zwei Drittel der EU-Länder, die immer noch so tun, als gingen sie die Flüchtlinge an Europas Haustür nichts an, dazu zu bringen, sich solidarisch zu zeigen.“ (dpa)