Am 19. Mai fast alles wieder offenÖsterreichs Tanz auf dem Covid-Vulkan

Am 19. Mai fast alles wieder offen / Österreichs Tanz auf dem Covid-Vulkan
Zurzeit noch in Lockdown-Ruhe: Vor dem Stephansdom in Wien dürfte bald wieder mehr los sein Foto: AFP/Joe Klamar

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Während Deutschland ab einer regionalen Inzidenz von 100 die Notbremse zieht, gibt Österreich ungeachtet viel höherer Inzidenzen schon wieder Gas: Der 19. Mai soll Tag der großen Öffnung werden.

Die Zahl der Todesopfer hat den Bereich der Vierstelligkeit verlassen. Bis Montag starben in Österreich 10.089 Menschen am bzw. mit dem Coronavirus, das bereits 1,1 Promille der Bevölkerung hinweggerafft hat. Doch die tägliche Trauerbilanz wird mittlerweile nur noch beiläufig wahrgenommen. Der vor einem Jahr erschütternde Schlagzeilen liefernde Tod wird immer mehr zur Randnotiz für zunehmend abgestumpfte Menschen, die sich nur nach einem sehnen: ein bisschen Normalität.

Weil das Sterben nicht mehr diese schockierende, zur widerspruchslosen Hinnahme von Lockdowns führende Wirkung hat, agiert auch die türkis-grüne Regierung nicht mehr nach der Maxime „Leben retten, koste es, was es wolle“. Restriktive Schutzmaßnahmen kosten nämlich nicht nur Geld, sondern auch Prozentpunkte in den Umfragen. Also reden Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein grüner Vize Werner Kogler jetzt lieber darüber, was die Mehrheit hören will: vom Öffnen.

Zahlen mahnen zu Vorsicht

Dabei geben die Zahlen das nicht her. Mit einer Wochen-Inzidenz von 182 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner steht Österreich zwar etwas besser da als Luxemburg, jedoch schlechter als das benachbarte Deutschland, wo in zahlreichen Städten und Landkreisen wegen Inzidenzen über 100 gerade die Notbremse mit weitreichenden Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen gezogen wird. Vier der neun österreichischen Bundesländer weisen eine fast oder mehr als doppelt so hohe Inzidenz auf.

Nichtsdestotrotz verkündete die Regierung schon den „Tag der offenen Tür“: Am 19. Mai sollen im ganzen Land die meisten Branchen wieder aufsperren dürfen. Die Gastronomie darf nach halbjähriger Zwangspause wieder Gäste bewirten, die allerdings entweder eine Impfung oder einen negativen Test vorweisen beziehungsweise schon eine Covid-Erkrankung überstanden haben müssen. Im Restaurant dürfen maximal vier Erwachsene zusammen am Tisch sitzen, im Gastgarten maximal zehn Erwachsene. Sperrstunde ist um 22 Uhr. Die Nachtgastronomie muss sich also noch gedulden.

Auch ins Hotel wird man nur mit Test oder Impfung kommen und Maske tragen müssen. Allerdings sind Buffets erlaubt, was die Einhaltung der in Restaurants geltenden Zwei-Meter-Abstandsregeln illusorisch erscheinen lässt. Geöffnet werden auch Fitnessstudios, Thermen sowie andere Freizeiteinrichtungen. Jede Art von Sport ist wieder erlaubt. Sportevents dürfen wieder von Zuschauern verfolgt werden – maximal 1.500 bei Indoor-Veranstaltungen, bis zu 3.000 im Freien.

Urlauber willkommen

Nicht zufällig fällt die große Öffnung in die Woche vor Pfingsten. Die Tourismuswirtschaft hatte massiv Druck gemacht, um nach der verlorenen Wintersaison am verlängerten Pfingstwochenende in einen besseren Sommer durchstarten zu können. Deshalb sind ausdrücklich auch ausländische Urlauber willkommen. Ein starker Sommer soll zumindest einen teilweisen Ausgleich für das vergangene Horrorjahr liefern. Ob die Deutschen als wichtigste Gästegruppe aber wirklich in Scharen kommen werden (können), steht in den Sternen. Die Buchungslage soll aber, wie man aus der Branche hört, schon ganz gut sein.

Die Regierung hofft, die Lage mit Tests und Impfungen unter Kontrolle zu halten. Den auf EU-Ebene geplanten „Grünen Pass“ soll es in Österreich schon früher geben, wenngleich völlig unklar ist, wie er technisch und bürokratisch umgesetzt werden soll. Dass die Verwaltung diese Herausforderung binnen drei Wochen bewältigt, ist mehr als fraglich.

Vorarlberg-Test gescheitert

Experten bezweifeln aber vor allem die Sinnhaftigkeit einer derart umfassenden Öffnung auf nach wie vor hohem Infektionsniveau. Sie verweisen dabei auf das Beispiel, an dem die Regierung die Effektivität der Kombination von Kontrolle und Öffnung beweisen wollte. Vorarlberg hat schon Mitte März die Gastronomie geöffnet. Doch dieser Test ist in die Hosen gegangen. Das westlichste Bundesland hatte vor sechs Wochen die niedrigste Sieben-Tage-Inzidenz, mittlerweile markiert es mit 240 Österreich-Rekord. Obwohl im „Ländle“ auf regionale Cluster sofort mit Ausreisetest reagiert wurde, bekam man den Infektionszuwachs nicht in den Griff. Diese „Modellregion“ zeige, wie es ab 19. Mai auch in Österreich sein könne, warnt der Virologe Norbert Nowotny.

Hinzu kommt einmal mehr das Sorgenkind Tirol, wo die neue Virusmutation B1.1.7+E484K Kopfzerbrechen bereitet, weil Impfstoffe dagegen weniger wirksam und auch Reinfektionen möglich sein könnten.

Trotzdem bittet der gar nicht mehr so populäre Kanzler die Nation zum Tanz auf dem Covid-Vulkan. Und sollte es mit den Zahlen doch zu weit raufgehen, will nicht er der Spaßverderber sein. Die Bundesregierung überlässt es den Bundesländern, bei steigenden Zahlen strengere Beschränkungen zu verhängen. Bei den Landeshauptleuten hält sich die Neigung zu unpopulären Maßnahmen allerdings ebenfalls in Grenzen.

de Schéifermisch
27. April 2021 - 9.32

In Österreich wird die Pandemie, wie in den meisten anderen Ländern auch, verzweifelt ergebnislos bekämpft. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Von einem Lockdown ins nächste.