SpionagenetzÖsterreich: Putins Einfallstor in Europa

Spionagenetz / Österreich: Putins Einfallstor in Europa
Ein ehemaliger Verfassungsschützer wurde festgenommen, weil er den russischen Geheimdienst mit brisanten Informationen versorgt haben soll Foto: AFP/Joe Klamar

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Österreich bleibt eine geheimdienstliche Schwachstelle Europas. Russland hatte in Wien einen Maulwurf an der Leine des in Russland untergetauchten Ex-Wirecard-Vorstandes Jan Marsalek.

Im Berner Club, der verschwiegenen Runde der europäischen Geheimdienste, wird Österreich seit Jahren mit Argusaugen betrachtet. Vor allem von 2017 bis 2019, als die mit Wladimir Putins Regierungspartei „Einiges Russland“ per Kooperationsvertrag liierte FPÖ mitregierte, herrschte größtes Misstrauen, das der damalige Innenminister und heutige FPÖ-Chef Herbert Kickl auch bestätigte: Er erwirkte sogar eine Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), bei der die Polizei zum Entsetzen der Partnerdienste auch sensible Daten mitnahm. Kickl interessierte sich insbesondere für BVT-Maßnahmen gegen ihm ideologisch nahestehende Rechtsextremisten. Österreichs Mitgliedschaft in Berner Club wurde daraufhin zeitweise suspendiert. Erst eine Reform des in Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) umbenannten BVT beruhigte die Partner.

Jüngste Enthüllungen dürften dort neues Stirnrunzeln verursachen. Nicht, dass Wien völlig ahnungslos war: Schon 2017 war in der BVT-Zentrale aufgefallen, dass ein Mitarbeiter Geheimdokumente im Internet vom dienstlichen auf seinen privaten Account überspielt hatte. Der Beamte wurde wegen Spionage angezeigt und vorübergehend suspendiert. Die Ermittlungen verliefen jedoch im Sand.

Erst sieben Jahre später und aufgrund von Informationen des britischen Geheimdienstes klickten nun in Kärnten die Handschellen: Der ehemalige BVT-Mitarbeiter Egisto O. sitzt seit Montag in Untersuchungshaft. Bislang leugnet er jegliche Agententätigkeit, doch die Suppe ist nicht mehr so dünn. Bislang durchgesickerte Informationen lassen Wien einmal mehr als Putins geheimdienstliches Einfallstor in Europa erscheinen.
Grundlage der Anschuldigungen bilden von den Briten sichergestellte Chats eines bulgarischen Agentennetzwerkes, in dem ein Österreicher eine tragende Rolle spielte: Jan Marsalek, Ex-Finanzvorstand des nach einem Bilanzfälschungsskandal untergegangenen deutschen Finanzdienstleisters Wirecard.

Der heute 44-Jährige hatte sich 2020 durch Flucht nach Russland einer Strafverfolgung entzogen. Dort dürfte er jetzt seine nicht neue Leidenschaft als Agent voll ausleben. Die aus London überspielten Bulgaren-Chats belegen jedenfalls einen regen Austausch mit Marsalek und dessen Spionageaktivitäten in Österreich.

Seit Montag in Untersuchungshaft

Überrascht sollte niemand sein. Schon im Zuge der Ermittlungen zum Ibiza-Skandal waren auf dem beschlagnahmten Handy des früheren FPÖ-Vize Johann Gudenus vor vier Jahren Hinweise gefunden worden, wonach Marsalek die FPÖ mit Informationen aus dem BVT versorgt hatte. Im Sommer 2018 hatte der damals noch gefeierte Wirecard-Wunderwuzzi sogar Londoner Börsianern streng geheime Dokumente unter die Nase gehalten. Die Financial Times berichtete seinerzeit über die skurrile Episode am Höhepunkt der Affäre um den mit seiner Tochter in Salisbury mit Nowitschok vergifteten russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal. Die Vermutung, Marsalek könnte die Nervengift-Formel über seine schon damals guten Beziehungen nach Russland ergattert haben, war jedoch falsch. Der Österreicher hatte ein heimisches Leak genützt. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), als deren Mitglied Österreich über die Nowitschok-Daten verfügt, hatte die Bundesregierung über die Herkunft der von Marsalek herumgezeigten Papiere informiert. Sie konnten über einen Strichcode eindeutig dem österreichischen Datensatz zugeordnet werden.

Mögliche Informanten sind der nun in U-Haft sitzende Egisto O. bzw. der ehemalige Spionageabwehrchef Martin W., der ebenfalls engen Kontakt zu Marsalek pflegte und sich seinerseits im Vorjahr in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt hatte. Abu Dhabi hat kein Auslieferungsabkommen mit Österreich.
Von Moskau aus soll Marsalek in Wien die Spionagefäden gezogen haben. So unterhielt er sich in den Chats über „aktive Maßnahmen“ gegen den bulgarischen Investigativjournalisten Christo Grozev, der sich mit seinen Recherchen zum Fall Skripal einen Platz auf einer russischen Fahndungsliste eingehandelt hatte. Grozev lebte bis vor einem Jahr in Wien, fürchtet aber mittlerweile in den USA weniger um seine Sicherheit.

Putin-Versteher in allen Parteien

Einen Coup soll Marsalek vor zwei Jahren gelandet haben: die Beschaffung von drei Diensthandys ranghoher Mitarbeiter des Innenministeriums. Die Geräte waren 2017 bei einem Bootsausflug ins Wasser gefallen und wurden danach zwecks Datensicherung einem BVT-Techniker übergeben. Die gespiegelten Handys landeten jedoch bei Egisto O., der sie laut Ermittlungsakt im Juni 2022 in einer Wohnung in Wien-Floridsdorf an von Marsalek geschickte Männer übergab.

Auf den so zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB gelangten Smartphones befanden sich sensible dienstliche und private Daten der Spitzenbeamten. O. soll den Russen kurz darauf auch sogenannte SINA-Laptops organisiert haben, auf denen sich hochsensible Daten eines EU-Staates befunden haben sollen. SINA steht für Sichere Inter-Netzwerk Architektur, dem einzigen vom deutschen Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bis zum höchsten Geheimhaltungsgrad zugelassenen Kryptosystem.
Zumindest einen dieser Laptops sollen russische Agenten in Wien abgeholt und über Istanbul direkt in die Moskauer FSB-Zentrale gebracht haben. 20.000 Euro Honorar ließ Marsalek, wie aus den Chats hervorgeht, dafür springen.

In Wien ist Feuer am Dach. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat für kommenden Dienstag den Nationalen Sicherheitsrat (NSR) einberufen. „Wir müssen verhindern, dass russische Spionagenetzwerke unser Land bedrohen, indem sie politische Parteien oder Netzwerke unterwandern oder instrumentalisieren“, so der ÖVP-Chef. Den unzweideutigen Hinweis auf die FPÖ weist diese zurück: Der Spionage-Skandal habe seine Wurzeln in der Zeit, da die ÖVP das Innenministerium führte, versucht FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker den Verdacht in eine andere Richtung zu lenken. In puncto Russophilie ist die FPÖ zwar kaum zu überbieten, Putin-Versteher tummelten sich jedoch in allen Parteien. Und der Ex-KGB-Chef im Kreml wusste dieses Wiener Substrat offenbar zu nützen.